Die Ermittlungen nach den tödlichen Schüssen an einer Schule in Offenburg gehen weiter. Polizei und Staatsanwaltschaft geben sich am Wochenende bedeckt. Und ein Experte gibt Auskunft über junge Tatverdächtige.

Auch wenn tödliche Schüsse an Schulen wie jetzt in Offenburg immer für Schlagzeilen sorgen: Mord und Totschlag sind seltene Delikte in der Jugendkriminalität. „Insgesamt wurden 2022 in ganz Deutschland bei Mord und Totschlag 513 vollendete und 1723 versuchte Fälle von der Polizei registriert“, sagte Professor Klaus Boers vom Institut für Kriminalwissenschaften der Universität Münster. Von den ermittelten Tatverdächtigen sei ein Viertel im Alter zwischen 8 bis 20 Jahren.

 

Derweil gehen die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft weiter, wenngleich sich beide am Wochenende nicht weiter dazu äußern wollten. Es handle sich um ein laufendes Strafverfahren, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Die Polizei hatte eine Sonderkommission mit dem Namen „Mühlbach“ eingerichtet. Der 15 Jahre alte Schüler, der am Donnerstag in einer sonderpädagogischen Schule zwei Schüsse auf einen gleichaltrigen Mitschüler abgefeuert haben soll, sitzt wegen des Verdachts auf Totschlag in Untersuchungshaft. Als Motiv geben die Ermittler bislang Eifersucht an.

Das Opfer wurde von zwei Schüssen getroffen. Danach sei eine Lehrerin im Flur vor dem Klassenzimmer auf den mutmaßlichen Täter getroffen. Der Tatverdächtige habe ihr auf den Kopf geschlagen. Die Frau sei leicht verletzt worden. Die Schusswaffe, die der Schütze benutzte, ist nach dpa-Informationen eine alte Beretta gewesen. Es sei noch nicht bekannt, ob die Waffe etwa in rechtmäßigem Besitz eines Familienangehörigen war oder ob ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorliege. Die „Bild“ meldete, es handle sich um ein Erbstück des Großvaters.

Generell ist laut Boers spätestens seit Mitte der 2000er Jahre die Jugendgewalt stark zurückgegangen. „Das Phänomen wird „Crime Drop“ genannt und ist auch international zu beobachten.“ In Deutschland sei die polizeilich registrierte Jugendgewalt im Jahr 2022 zum ersten Mal seit Langem gestiegen. „Ob das eine Eintagsfliege oder eine Trendwende ist, können wir erst in zwei, drei Jahren sagen“, erklärte Boers. Verglichen mit den 1990er Jahren bewege sich die Jugendkriminalität aber noch immer auf einem niedrigen Niveau.

Sozialisierung sei entscheidend

Ob ein junger Mensch gewalttätig werde, hänge ganz wesentlich von seiner Sozialisierung ab. Einfluss auf das Verhältnis zu Gewalt habe neben Freundeskreisen und Lehrern vor allem das Elternhaus. „Wenn Kinder geschlagen werden, verstehen sie Gewalt unter Umständen als Mittel der Kommunikation“, sagte Professor Boers. Bei den Eltern und in der Schule lerne ein junger Mensch soziale Normen. „Also, was erlaubt ist und was nicht.“

Grundsätzlich sei man in der Pubertät am gefährdetsten, um in die Kriminalität abzurutschen, sagte der Experte. Zwischen 12 und 16 Jahren seien junge Menschen in einer sensiblen Lebensphase. Ab Mitte des Jugendalters werde es in der Regel wieder weniger kritisch.

„Wir können solche brutalen Fälle wie in Offenburg nicht verhindern“, sagte der Landes- und Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand. VBE-Vorsitzender Brand und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lobten Schritte wie die Notfallpläne, die nach dem Amoklauf in Winnenden 2009 von Schulen aufgestellt wurden. „Die Pläne haben sich bewährt, das haben die jüngsten Fehlalarme nach Amokmeldungen gezeigt“, sagte GEW-Geschäftsführer Matthias Schneider. „Wichtig ist es, so gut wie möglich präventiv zu arbeiten“, sagte Brand. Sozialarbeiter und auch Schulpsychologen seien wichtige Pfeiler, um auf die Kinder und Jugendlichen zuzugehen und Problemfälle früh zu erkennen.