Seit vergangenem Jahr bietet die Industrie- und Handelskammer zusammen mit Einzelhändlern und dem Kaufmännischen Schulzentrum Böblingen ein neues Ausbildungsmodell an. Die Akteure ziehen Bilanz.

Böblingen - Alle vier Betriebe, die im vorigen Jahr den Start des Ausbildungsmodells „Einzelhandel hoch³“ ermöglicht haben, sind weiterhin dabei. Weder bei Hofmeister noch Ikea, XXXL Gamerdinger oder Zinser denkt man daran abzuspringen. Denn das Angebot speziell für gute Realschüler, die innerhalb von dreieinhalb Jahren drei Abschlüsse ablegen können, beschert den drei Möbelhäusern und dem Bekleidungsgeschäft ältere und damit reifere, aber auch engagiertere Bewerber.

 

Romana Pranic ist froh über das neue Ausbildungsmodell. „Wir bieten damit für Realschüler eine deutlich attraktivere und anspruchsvollere Ausbildung als dies bislang möglich war“, sagt die Ausbildungsleiterin bei XXXL Gamerdinger in Böblingen. Wer sich zum Einzelhandelskaufmann oder -kauffrau ausbilden lassen will, dem genügt ein Hauptschulabschluss. Wer dagegen den Handelsfachwirt machen möchte, muss schon das Abitur mitbringen. Das neue Modell bietet Realschülern – nach den Erhebungen der Agentur für Arbeit hat immerhin fast die Hälfte der Berufseinsteiger (49 Prozent, Stand 2012) einen mittleren Bildungsabschluss – bessere Aufstiegschancen. Das ist gerade in der Region Stuttgart mit der starken Konkurrenz durch die Automobil- und Zuliefererindustrie wichtig.

Voraussetzung: mindestens guter Realschulabschluss

Der Einzelhandel – mit seinen Arbeitszeiten zum Teil bis 22 Uhr – musste etwas tun. Deshalb haben die Möbelhäuser XXXL Gamerdinger, Ikea und Hofmeister sowie das Modegeschäft Zinser zusammen mit der Böblinger Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem Kaufmännischen Schulzentrum Böblingen das Ausbildungsmodell „Einzelhandel hoch³“ entwickelt. Die Kandidaten müssen mindestens einen guten Realschulabschluss haben. Am Ende ihrer dreieinhalbjährigen Ausbildung sind sie Einzelhandelskaufmann, haben den Abschluss als Handelsfachwirt und einen Ausbilderschein in der Tasche. Damit haben die Absolventen das nötige Rüstzeug, um möglichst rasch in ihren Betrieben Führungsaufgaben zu übernehmen.

Zwei Auszubildende hat XXXL Gamerdinger in die Startklasse des Kaufmännischen Schulzentrums geschickt. „Ihre schulischen Leistungen sind gut, sie wissen, dass der Betrieb in sie investiert“, sagt Pranic. Denn die Kosten für das letzte Ausbildungsjahr, an dessen Ende der Handelsfachwirt-Abschluss steht, übernimmt der Lehrbetrieb. Pranic hofft, dass sie im September wieder zwei Azubis in die „Einzelhandel hoch³“-Klasse schicken kann. Sie will das Modell sogar verstärkt anbieten.

Mit 16 Schülern startete die Pilotklasse voriges Jahr. Ob es im September schon mehr sein werden, kann Heinrich Amann, Abteilungsleiter im Kaufmännischen Schulzentrum, noch nicht sagen. Erfahrungsgemäß gehen bei ihm den ganzen Sommer über die Anmeldungen aus den Einzelhandelsunternehmen ein. Die „Einzelhandel hoch³“-Klasse ist beliebt bei den Lehrern. Die Kollegen, sagt Amann, seien froh über die „sehr disziplinierten und sehr engagierten Schüler“.

Da sie mindestens den Realschulabschluss mitbringen, wenn nicht sogar Abitur, sind sie älter – und „reifer“, wie Stefan Rinderknecht, der Geschäftsleiter des Modehauses Zinser in Tübingen, sagt. Zwei Auszubildende aus Tübingen und einen aus Reutlingen hat der Modehändler, der auch eine Dependance in Herrenberg hat, in dem neuen Ausbildungsmodell. Noch einmal so viel werden es von September an sein. „Wir haben festgestellt“, sagt Rinderknecht, „dass wir uns mit der Rekrutierung von Nachwuchsführungskräften relativ schwer tun.“ Deshalb engagiert sich das Modehaus von Anfang an bei der kombinierten Aus- und Weiterbildung – das zahlt sich aus. „Es macht Zinser attraktiver für Bewerber“, so Rinderknecht. Einer der beiden „Einzelhandel hoch³“-Auszubildenden, die im September beginnen sollen, ziehe von Niedersachsen nach Tübingen.

Ausbildungsmodell muss noch bekannter werden

Dass das Einzugsgebiet der Bewerber größer wird, beobachtet auch Elke Werdin-Kellner, die Ausbildungsverantwortliche bei Ikea Sindelfingen. Dort wird es drei „Einzelhandel hoch³“-Azubis geben, in Ludwigsburg werden es zwei sein. Die Sindelfinger Mitarbeiter in spe kommen aus Karlsruhe, Xanten und Jockgrim. „Wir helfen bei der Wohnungssuche mit“, sagt Elke Werdin-Kellner, die schon wegen der positiven Resonanz auf das Ausbildungsangebot künftig nicht mehr verzichten will – sind immerhin fast 60 Bewerbungen dafür auf ihrem Schreibtisch gelandet.

Ingrid Lauer, die Ausbildungsleiterin bei Hofmeister, hat andere Erfahrungen gemacht. Das Unternehmen betreibt im Kreis Böblingen jeweils ein Einrichtungshaus in Leonberg und Sindelfingen. Die Ausbildung „Einzelhandel hoch³“ sei ihren Bewerbern kein Begriff gewesen. „Das ist schade“, sagt Lauer. Deshalb hat sie aus dem Pool der angehenden Azubis einen für das erst ein Jahr alte Angebot ausgewählt. Lauer geht davon, dass es noch ein paar Jahre dauern werde, bis sich das neue Modell auf dem Arbeitsmarkt etabliert hat. Davon gehen auch die anderen Akteure wie Berufsschule und IHK aus. Die Ikea-Ausbildungsverantwortliche Werdin-Kellner wünscht sich noch etwas: „Aus der Zielgruppe der Realschüler wünschte ich mir mehr Bewerber.“

Alternative im Sport

Anfang
Die Dozenten der Weiterbildungseinrichtung der beiden IHK-Bezirkskammern Böblingen und Ludwigsburg, der Verein zur Förderung der Berufsbildung (VFB), übernehmen den Unterricht im letzten Jahr der Ausbildung „Einzelhandel hoch³“. Weitere Informationen dazu finden sich auch auf der Homepage des Vereins (www.ihk-vfb.de) unter der Rubrik Ausbildung.

Fortgang
Der VFB hat für sein zweites Ausbildungsangebot mit dem Namen „Qualifizierung hoch³“ junge, sportliche Menschen im Blick. Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein und werden im Laufe von zwei Jahren zum Sportfachmann oder zur Sportfachfrau ausgebildet. Die Zusatzqualifikation zum betrieblichen Gesundheitsmanager ist möglich. Den Fachunterricht gestaltet der VFB, für die Praxis gehen die Teilnehmer in Sportvereine, -verbände und beispielsweise Rehakliniken. Die Sportfachmänner und Sportfachfrauen sollen später einmal im mittleren Management in Vereinen, Institutionen und Verbänden arbeiten. Ausbildungsstart ist voraussichtlich im Oktober diesen Jahres. Die Ansprechpartnerin beim VFB ist Gesa Jahncke (Telefon 0 71 41/9 11 07 28, E-Mail: jahncke@ihk-vfb.de).