Der Vorstandsvorsitzende der Börse Stuttgart, Christoph Lammersdorf, spricht zum Abschluss seines beruflichen Lebensweges über mögliche Anlagestrategien und Zukunftsaussichten für den Stuttgarter Handelsplatz – und für sich selbst. -

Stuttgart - Christoph Lammersdorf, Vorstandsvorsitzender der Stuttgarter Börsen AG, kann die Scheu der Privatanleger vor dem Kapitalmarkt nicht nachvollziehen. Der Fokus auf kurzfristige Schwankungen verhindere den Blick auf die langfristigen Gewinnchancen, zudem seien die Renditeerwartungen häufig überzogen, findet der Börsenchef, der Ende des Monats in den Ruhestand geht.
Herr Lammersdorf, in welche Aktie haben Sie am erfolgreichsten investiert?
Ich hatte einmal mit Pixelpark am Neuen Markt richtig Glück. Bei dem Papier gab es Kurssteigerungen von 700 Prozent. Ich habe mich nur geärgert, dass ich da so wenig Geld investiert und die Aktie zu früh verkauft habe.
Kannten Sie die Aktie vorher?
Ja, aber dass sie ein Volltreffer wurde, war Zufall.
Wie viel haben Sie als Börsenchef denn auf Kursentwicklungen spekuliert?
Wenig, weil ich den künftigen Kurs einer Aktie ebenso wenig kenne wie jeder andere. Die Börse ist verpflichtet, Kurse sofort nach ihrer Feststellung zu veröffentlichen. Ich habe also gar keinen Wissensvorsprung, auch wenn das viele vermuten. Zudem spekuliere ich persönlich nicht gerne, sondern mache lieber das, was Anlageberater allen Menschen empfehlen: eine anständige Diversifizierung umsetzen. Wobei ich zurzeit übergewichtig in Aktien unterwegs bin – weit über 70 Prozent, aber alles Dividendenwerte.
Welches Wertpapier hätten Sie im Nachhinein trotzdem lieber nicht gekauft?
Die Aktie von Wacker Chemie. In das Papier habe ich 2011 nach Fukushima investiert. Dort war eine von drei Firmen, die weltweit Platinen für Solartechnologie bauten, komplett ausgefallen. Also war anzunehmen, dass bei Wacker Chemie ordentlich was los sein würde. Das war zunächst auch so. Dann jedoch war der Solarboom zu Ende und der Aktienkurs ging in die Knie.
Wenn Sie Ihre eigenen Erfahrungen bedenken, verstehen Sie dann, dass viele Privatanleger zögern, in Wertpapiere zu investieren?
Nein, denn es ist wichtig, selbst Erfahrungen zu sammeln und so zu lernen, Chancen und Risiken einzuschätzen. Auch ich habe mir eben manchmal die Finger verbrannt, aber andererseits auch viele erfolgreiche Entscheidungen getroffen.
Was raten Sie denn Ihren drei Kindern in Sachen Geldanlage?
Geld ansparen, um es dann zu investieren. Auch wenn es in der Ansparphase derzeit keine Zinsen gibt, ist das gar nicht so schlimm. Es gibt ja auch so gut wie keine Inflation. Der Geldwert bleibt also gleich. Nach der Ansparphase können sie dann entweder in Immobilien oder in einen Mix aus Anleihen und Aktien anlegen. Zudem haben wir für unsere Kinder bereits als Jugendliche fondsbasierte Rentensparpläne abgeschlossen.
Wertpapiere sind vielen Privatleuten dennoch suspekt. Wo muss Stuttgart als Börse für Privatanleger da ansetzen?
Dass viele Privatanleger zögern, an den Finanzmärkten aktiv zu werden, hängt auch damit zusammen, dass viele nur die kurzfristigen Entwicklungen sehen. Dass einzelne Kursausschläge langfristig nicht so sehr ins Gewicht fallen, wird weniger wahrgenommen. Wir müssen daher versuchen, den Menschen bestimmte Grundprinzipien klarzumachen. Dazu gehört, dass es für den normalen Bürger nicht das Ziel sein sollte, Renditen in zweistelliger Höhe zu erreichen. Denn dafür müsste man auch hohe Risiken eingehen. Empfehlenswerter sind Renditeerwartungen um die fünf Prozent, die sich realistisch mit einer guten Aktienmischung langfristig erzielen lassen.
Stuttgart hat sich von der zweitkleinsten Regionalbörse zum größten deutschen Parketthandelsplatz entwickelt. Was kennzeichnet den Stuttgarter Börsenplatz?
Der Stuttgarter Weg war und ist so erfolgreich, weil sich die Makler und die Börse zusammengetan haben. Eine Börse möchte einen Markt organisieren, auf dem Orders hocheffizient und mit einer möglichst engen Spanne zwischen An- und Verkaufspreis ausgeführt werden. Aber eine Maklerfirma verdient natürlich mehr, je größer diese Spanne ist. Diesen Grunddissens kann man nur auflösen, wenn beide, Makler und Börse, am gleichen Strang ziehen. In Stuttgart ist das der Fall.
Nicht jeder Sonderweg, den die Stuttgarter Börse eingeschlagen hat, war jedoch erfolgreich. Die Mittelstandsanleihen, Bond-M, konnte die Börse Stuttgart nicht am Markt etablieren. Sie selbst werden damit zitiert, dass sie diese für gescheitert erklärt haben.
Das ist so nicht ganz richtig. Wir beobachten, dass der Markt für Anleihen mittelständischer Unternehmen ausgetrocknet ist. Bond-M ist 2010 als erstes Segment für solche Anleihen gestartet. Für Firmen war es damals schwierig, Kredite zu bekommen, weil die Banken zurückhaltend waren. Heute haben wir eine andere Situation. Es gibt die Geldschwemme der EZB, die Banken können die Kreditwünsche bedienen, und für den Mittelstand sind alternative Geldquellen weniger attraktiv.
Dennoch war nicht jede Emission der Mittelstandsanleihen eine Erfolgsgeschichte. Es gab einige Ausfälle. Vielleicht funktioniert der Markt für Bond-M auch deshalb nicht mehr.
Aus Sicht der Anleger ist der Markt nach wie vor vorhanden, allerdings sind die Ausfälle bei Anleihen mittelständischer Unternehmen unerfreulich – sowohl für Emittenten als auch für Investoren. Das Handelssegment Bond-M bleibt daher weiter bestehen. Alle geltenden Verträge mit anderen Marktteilnehmern werden von der Börse Stuttgart eingehalten. Die Fortführung des Segments steht auch mit Blick auf die Transparenz für Anleger außer Frage.
Diese Verträge laufen aber 2019 aus. Ist dann Schluss?
Das ist aktuell noch nicht absehbar.
Die Börsen allgemein verlieren an Geschäft – gerade auch an außerbörsliche Plattformen. Wie kann Stuttgart da langfristig bestehen?
Wir haben unsere Marktposition in den letzten Jahren gut behauptet und in einigen Anlageklassen sogar ausgebaut. Dabei müssen wir als Börse mit Qualität und Verlässlichkeit punkten: Der Handel ist öffentlich-rechtlich organisiert. Dies ist insbesondere für Privatanleger wichtig, die damit ein hohes Maß an Schutz und ein geeignetes Umfeld für den Wertpapierhandel vorfinden. Zudem machen außerbörsliche Plattformen ja im Wesentlichen Geschäfte mit hochliquiden Papieren. An der Börse Stuttgart dagegen finden Privatanleger eine breite Produktpalette vor und können auch illiquide Papiere jederzeit handeln.
Trotzdem gewinnen nicht regulierte, außerbörsliche Plattformen an Bedeutung. Sehen Sie das als Problem an?
Ja, aber Jammern bringt nichts. Was heute von der Politik nicht gesehen wird, ist die Bedeutung der außerbörslichen Plattformen für die europäische Volkswirtschaft. Deshalb wird zu wenig über Grundregeln für diese Plattformen nachgedacht. Was wir dort brauchen, ist die Transparenz über die Volumen und Preise, die gehandelt werden.
Als Börsianer befasst man sich normalerweise mit den Zukunftsaussichten von Unternehmen. Wie sehen denn Ihre persönlichen für die Zeit nach dem 30. April aus?
Ausgesprochen positiv. Ich möchte die Dinge erleben, für die ich bisher keine Zeit hatte, beispielsweise mit meiner Frau mal eine Woche nach Barcelona fahren – ohne Plan. Zudem möchte ich entdecken, was andere Menschen mit ihrer Zeit anfangen, etwa diejenigen, die man mittwochs und donnerstags auf dem Wochenmarkt in Stuttgart trifft.