Am 28. Januar 1945 stürzt ein Lancaster-Bomber der Royal Canadian Air Force bei Waldenbuch ab. Die historische Aufarbeitung dauert bis heute an.

Als die viermotorige Lancaster K.B. 770 am Nachmittag des 28. Januar von Yorkshire in Richtung Stuttgart abhob, sollte es für fünf der sieben der britischen und kanadischen Besatzungsmitglieder ein Flug in den Tod werden. Die von Flakfeuer und wohl auch deutschen Jagdfliegern zerschossene Maschine stürzte in dieser Sonntagnacht etwa einen Kilometer von Waldenbuch entfernt mit brennenden Motoren in das Waldgebiet Lindhalde.

 

Einer der bei dem Angriff getöteten Flieger war der kanadische Bordschütze Fernand L. Jolicoeur. Er war damals erst 19 Jahre alt. Jahrzehnte später begann Jolicoeurs Großneffe Jean-Pierre Gendreau-Hétu mit Nachforschungen zum Tod seines Vorfahren. Bei seinen Recherchen kam er in Kontakt mit dem Waldenbucher Ortshistoriker Wolfgang Härtel. Gemeinsam gingen sie dem Flugzeugabsturz auf den Grund.

Die Flugzeuge warfen in dieser Nacht 10 500 Bomben ab

Wie sie herausfanden, gehörte der Flieger zum 428 Ghost Squadron, einer Nachtbomberstaffel der Royal Canadian Air Force, die im Zweiten Weltkrieg strategische Angriffe über deutschem Gebiet flog. Bei diesem letzten Doppelangriff der Royal Air Force auf den Großraum Stuttgart wurden nach Härtels und Gendreau-Hétus Erkenntnissen rund 800 Bomber eingesetzt, von denen 539 ihr Zielgebiet erreichten. Die Maschinen der ersten Welle warfen ihre Bombenlast zwischen 20.35 und 20.54 Uhr ab, die zweite Welle folgte zwischen 23.30 und 23.48 Uhr. Die Flugzeuge warfen rund 10 500 Spreng- und Brandbomben ab.

„Das Wetter war schlecht, und die Piloten mussten große Umwege fliegen. Dabei gab es zahlreiche Flugzeugabstürze“, berichtet Wolfgang Härtel auf seiner lokalgeschichtlichen Website www.alt-waldenbuch.de, wo er und Jean-Pierre Gendreau-Hétu die Hintergründe zu dem Absturz dokumentieren.

Der Bomberabsturz war in Waldenbuch in Vergessenheit geraten

Die Ereignisse der Nacht des 28. Januar 1945 waren in Waldenbuch in den Jahren nach dem Krieg in Vergessenheit geraten. „Bevor Pierre mich kontaktiert hat, wusste ich nichts von dem Absturz“, sagt Härtel. Ein Bericht in dieser Zeitung half im Februar des vergangenen Jahres dabei, mehrere Zeitzeugen und sogar einige Wrackteile zu finden. Im August 2021 war Jean-Pierre Gendreau-Hétu der mittlerweile in der Schweiz lebt und arbeitet, mit seiner Familie zu einer Gedenkfeier an die Absturzstelle gekommen. Bei weiteren Nachforschungen stieß Gendreau-Hétus auf Robert Stapleford, den Sohn des kanadischen Funkers Robert Laird Stapleford, der den Abschuss des Lancaster-Bombers als eines von zwei Besatzungsmitgliedern schwer verwundet überlebt hatte.

Trotz aller Nachforschungen sind aber noch immer viele Fragen offen – allen voran wegen einer Abweichung bei der Leichenzählung: Laut örtlichem Sterberegister von 1945 sowie einem zwei Jahre später verfassten Untersuchungsbericht einer alliierten Kommission wurden in Waldenbuch vier Leichen beigesetzt. Als diese menschlichen Überreste 1948 exhumiert wurden, um auf dem Ehrenfriedhof in Dürnbach nahe dem Tegernsee ihre letzte Ruhe zu finden, wurden gemäß Grabinschrift fünf Leichen bestattet.

Warum hier vier, dort fünf Leichen? Die Antwort auf diese Frage hat Jean-Pierre Gendreau-Hétu noch nicht gefunden.