Die US-amerikanischen Stadionrocker machen Werbung für ihr neues Album und ihre Deutschlandkonzerte im Sommer. Und das alles am Samstagabend im Stuttgarter Club Zapata.

Stuttgart - Man fühlt ja mit. Man möchte aufschreien: „Aaaaaargh!“ oder so. Und dann fragt man sich: Woher kommt nur dieser Schmerz? Oder anders gefragt: Warum sind diese Multimillionäre mit ihren Gitarren derart fleißig damit beschäftigt, den Schmerz zu verkörpern?

 

Da hat die SWR-3-Moderatorin Anneta Politi die 750 Leute im Stuttgarter Club Zapata auf Jubel eingeschworen, da haben die Leute von zehn auf null runtergezählt, und dann sind die Superstars der US-amerikanischen Rockband Bon Jovi tatsächlich leibhaftig auf dieser für Zapata-Verhältnisse beachtlich ausladenden Bühne erschienen. Und wie guckt Richie Sambora, der Gitarrist, während er die ersten Akkorde von „Lost Highway“ in die Saiten drischt? Er guckt so schmerzverzerrt, als trample jemand mit schweren Arbeitsstiefeln ausdauernd auf seinen Zehen herum. Später dann, ungefähr in der Mitte des anderthalbstündigen Konzerts, hat der Sänger Jon Bon Jovi seinen stärksten Auftritt als Schmerzensmann: Als sein brandneuer Song „Amen“ verhallt, blickt er so verzweifelt zu Boden, als läge dort – unsichtbar für das Publikum – nach Agententhriller-Art seine große Liebe tot in einer Blutlache.

Werbung in eigener Sache

„Tausend Pferde rennen durch mein Hirn“, singt Jon Bon Jovi grob übersetzt in dieser, ja doch, berührenden Ballade, „Gnade, Gnade – was sonst kann ich sagen“. „Amen“ verlangt dem Fünfzigjährigen ein paar stimmliche Verrenkungen ab, die er alle souverän meistert. Und „Amen“ ist einer der Gründe, weshalb dieses winterliche Clubkonzert der Stadionrocker – das einzige in Deutschland übrigens – überhaupt stattgefunden hat. Denn „Amen“ wird „What about now“ bereichern, das im März erscheinende zwölfte Studioalbum von Bon Jovi. Und was liegt näher, als die Werbung in eigener Sache in einer Stadt zu veranstalten, in der man im Juni Zigtausende auf eine staubige Brachfläche namens Cannstatter Wasen lotsen möchte.

Also hat der Radiosender SWR 3 Eintrittskarten verlost und das Konzert live übertragen. Also werden die Leute im Zapata von der SWR-3-Moderatorin „Gewinner“ genannt. Und was sagt Jon Bon Jovi so über das Gewinnen? „Es macht keinen Unterschied, ob wir es schaffen oder nicht“, sagt er bekanntlich in „Livin’ on a Prayer“, einem der packendsten Songs seiner auch schon seit drei Jahrzehnten aktiven Band.

Im Zapata allerdings präsentiert Bon Jovi das Lied in einer schmerzvoll zerdehnten Unplugged-Version. Fast weinerlich klingt der Song mit der angezogenen Handbremse. Richie Samboras Gitarre verströmt dabei zwar schaurig schöne Kuschelklänge. Aber seinem Mund entfleuchen Klagelaute, die an schlecht imitierte Mönchsgesänge erinnern. Womöglich wollte Bon Jovi bei diesem Tiefpunkt eines ansonsten konzentrierten und trotzdem lustdurchfluteten, also solide gelungenen Konzerts auch mal überraschend klingen.

Da will einer das Publikum zum Kreischen bringen

Doch musikalische Überraschungen sind nie die Stärke der Band aus New Jersey gewesen, seit sie Mitte der achtziger Jahre ihre kulturelle Großtat erfolgreich durchzuexerzieren begann: die Versöhnung der wirklich großen Massen mit härteren Klängen unter Zuhilfenahme eines stets auf hymnisch gestimmten Keyboards und einer kaum vernehmbaren aber ordentlich glänzenden Westerngitarre. Überraschend ist eher, dass es Jon Bon Jovi nach all den Jahrzehnten immer noch schafft, seinen Antrieb in Stuttgart sehr amerikanisch weißzähnig, sehr schwiegermutterkonform aber deshalb trotzdem nicht richtig unglaubwürdig mit den Worten herauszuposaunen: „Ich bin aus einem einzigen Grund hierher gekommen: Ich will euch zum Kreischen bringen!“

Andererseits gilt diesbezüglich nach wie vor eines der hübschesten Bon-Jovi-Zitate: „I play my part, and you play your game“, schallt es zur Eröffnung der zweiten Konzerthälfte mächtig in „Bad Name“. Da ist es wieder, dieses gurgelnde Gitarrengrollen aus dem Schlund unsterblicher Sehnsucht, dieser wie beiläufig hochgezoomte Hymnengesang, diese eindrucksvolle Machtdemonstration eines versierten Schlagzeugers in Zeiten elektronischer Tricks. Und Jon Bon Jovis Rolle in diesem Spiel?

Ach so, ja eigentlich ist er an diesem Abend ja dafür zuständig, die neuen Lieder vom neuen Album zu präsentieren und sie plausibel im Gesamtwerk zu verankern. Sympathisch eigentlich, dass er sich trotzdem von alten Knallern wie „It’s my Life“ oder „Bad Medicine“ immer noch hinforttragen lässt. Ein halbes Dutzend neue Lieder streut er also zwischen die alten Hits, und – nun ja – bis auf die Ballade „Amen“, die herausragt, verblüffen sie nicht, aber stören die enthusiastische Bon-Jovi-Show auch nicht weiters: Im designierten Titelsong „What about now“ perfektioniert die Band ein weiteres Mal ihre bewährt anschwellende Laut-und-leise-Mixtur samt sich anschleichendem Explosiönchen. „That’s what the Water made me“ ist ein energisch vorwärtsstrebender Uptempo-Song, und die erste Single „Because we can“ verwirrt ein bisschen mit merkwürdiger Militärmetaphorik („Ich bin kein Soldat, aber ich bin hier, um Farbe zu bekennen.“)

Verfolgter Cowboy auf Stahlross

Spannender als die neuen Lieder selbst ist die professionelle aber trotzdem nicht abgeschmackte Art, wie Jon Bon Jovi sie im Zapata, das er „ziemlich klein“ und gerade deshalb „gut“ findet, unter Einbeziehung des Clubs präsentiert. Seine ausladenden Gesten, die von Siegern und Verlierern erzählen, ballen sich Richtung Pantomime. Seine Mimik braucht hier keine Großbildleinwand. Er beherrscht dieses schelmische Oh-ertappt-Grinsen, er hat seit neuestem ein vieldeutiges David-Bowie-Lächeln drauf, und wenn ihm danach ist, kann er ein Lied auch ganz allein vor dem Ertrinken in David Bryans zuweilen literweise verschütteten Keyboard-Sößchen retten.

Vielleicht kommt daher dieser Schmerz: dass Jon Bon Jovi sich dauernd im Rettungseinsatz befindet, obwohl er sich doch eigentlich als verfolgten Cowboy empfindet, der auf einem Stahlross reitet. Im Zugabenblock dann die Erlösung: „Wanted dead or alive“. Seine Verfolger werden ihn nicht kriegen. Denn er ist vielleicht nicht schneller als sie – aber geschickter allemal.