Für Botaniker Arno Wörz besteht Baden-Württemberg aus 1161 Quadraten, denen er genau auf den Grund gehen möchte. Seit 2005 trägt er mit drei Kollegen und rund 180 Ehrenamtlichen zusammen, welche Farne und Blütenpflanzen wo zu finden sind – und zwar bereits zum zweiten Mal. Das Projekt hat Modellcharakter.

Stuttgart - Für den Botaniker Arno Wörz ist Baden-Württemberg recht kleinkariert. In seinen Augen besteht das Land aus 1161 Quadraten. Seit 2005 erforschen er, drei Kollegen aus Stuttgart und Karlsruhe sowie rund 180 ehrenamtliche Helfer diese Gebiete genau. Sie tragen zusammen, welche Farne und Blütenpflanzen wo zu finden sind.

 

Das Projekt hat in Deutschland Modellcharakter. Da das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart (SMNS) bereits von 1970 bis 1998 eine solche Erhebung durchgeführt hat, sind jetzt erste Vergleiche möglich. Rund ein Drittel der Quadrate sind bereits zum zweiten Mal erfasst. „Acht bis zehn Jahren wird es schon noch dauern, bis wir fertig sind“, erzählt der 57-Jährige, der verheiratet ist, bei Leonberg wohnt und in seiner Freizeit gerne klassische Musik hört. „Schützen kann man nur, was man auch kennt“, schreibt eine Museumssprecherin über das Projekt. Von den rund 2100 wild wachsenden Pflanzenarten im Südwesten sind mehr als ein Drittel gefährdet. Mit dem Forschungsprojekt möchte das Naturkundemuseum einen Beitrag zu ihrem Schutz leisten. Die langjährige Bestandsaufnahme dient beispielsweise als Grundlage für die Rote Liste und für Artenschutzprogramme der Landesanstalt für Umweltschutz. Zudem fließen die Ergebnisses in bundes- und europaweite Atlanten der Farn- und Blütenpflanzen ein.

Ehrenamtliche Helfer zählen

Jedes Quadrat, das untersucht wird, entspricht dem Viertel einer topografischen Karte im Maßstab 1:25 000 und umfasst rund 62 Quadratkilometer. Zunächst schwärmen die ehrenamtlichen Helfer aus. In der Natur zählen sie, was ihnen vor die Füße kommt. Ihre Hilfe ist wertvoll, und gern hätte Wörz noch mehr Helfer für die Schwäbische Alb und den Schwarzwald. Die Standorte werden per GPS ermittelt und notiert. Begegnet den Mitarbeitern ein unbekanntes Gewächs, lassen sie es von Wörz und seinen Kollegen bestimmen.

Die Ergebnisses fließen direkt in eine digitale Karte ein, auf der sich schnell erkennen lässt, wo die entsprechende Pflanze jeweils wächst. Die Karte ist auf der Web-Site des Museums zu finden. Taucht eine Pflanzenart in der untersuchten Fläche auf, wird diese als kleines schwarzes Quadrat festgehalten. In der früheren Zählung wurden die Arten mit einem Punkt markiert.

Ein Million Belege im Herbarium

Viele Pflanzenarten werden im Herbarium des Museums aufbewahrt. Rund eine Million Belege lagern dort, darunter etwa 500 000 von Farn- und Blütenpflanzen. „Einige ganz seltene fehlen noch“, sagt Wörz. Wenn die Pflanzen trocken und käferfrei gelagert würden, hielten sie ewig. „Das ist wie beim Papyrus. Der hält auch Jahrtausende.“

Da die Flora Baden-Württembergs in den vergangenen 250 Jahren sehr gut erforscht wurde, bleiben laut Wörz ganz große Überraschungen bei der Kartierung aus. „Ein gewisser Aha-Effekt ist aber schon dabei“, sagt er. So verbreiten sich manche Einwanderer-Pflanzen – sogenannte Neophyten – bevorzugt in der Nähe von Autobahnen oder im Schotterbett von Bahngleisen, weil andere Pflanzen dort einen schweren Stand haben und ihnen Raum lassen. Einige besonders salzresistente Arten siedeln sich zum Beispiel gern auf Mittelstreifen der Autobahnen an, darunter das Fuchsschwanzgewächs Verschiedensamige Melde. In Stuttgart und am Oberrhein macht sich derzeit der Sommerflieder breit, der auch Schmetterlingsblume genannt wird und vielen Hobbygärtnern von ihrem heimischen Grün bekannt ist. Ihn sieht man beispielsweise häufig an den Bahngleisen Richtung Hauptbahnhof.

Riemenzunge breitet sich aus

Von der Klimaerwärmung profitiert die Riemenzunge, eine Orchideenart. Sie breitet sich sehr stark im Nordosten des Landes aus, und zwar in Hohenlohe und an der Tauber. Landesweit besonders häufig sind die Große Brennnessel und der Weiß-Klee.

Immer wieder verschwinden dagegen auch Arten komplett von der Landkarte. Als Beispiel nennt Wörz den Bodensee-Steinbrech. Er war noch bis 1950 am Bodensee zu finden, inzwischen gibt es ihn nicht mehr. „Er ist weltweit weg.“ Gerade die Beobachtung solcher Entwicklungen würde den wissenschaftlichen Wert ihres Projekts ausmachen. „Wenn die zweite Kartierung durch ist, können wir dazu mehr Aussagen machen.“