Cruisergewichtler Firat Arslan hat das große Ziel, im Kampf gegen Kevin Lerena noch einmal Box-Weltmeister zu werden. Warum er das Risiko eingeht? „Weil ich es mir selbst schuldig bin.“

Göppingen - Firat Arslan ist ein unermüdlicher Kämpfer, und trotzdem neigt sich seine Karriere dem Ende zu. Einmal noch will der Cruisergewichtler zum großen Schlag ausholen – an diesem Samstag in der EWS-Arena in Göppingen, seinem sportlichen Wohnzimmer.

 

Herr Arslan, Sie sind 49 Jahre alt, gesund, haben viel erreicht. Trotzdem steigen Sie wieder in den Boxring. Warum?

Weil ich Geschichte schreiben will.

Welche?

Ich möchte der älteste Boxer werden, der je einen WM-Titel gewonnen hat, über alle Gewichtsklassen hinweg. Bisher ist das der legendäre Bernard Hopkins, der bei seinem letzten WM-Sieg 49 Jahre und 94 Tage alt war. Ich werde am 8. Februar 39 Tage älter sein als er damals. Ein Sieg würde mir einen Platz in der Historie meines Sports sichern.

Es gibt allerdings ein Problem.

Stimmt. Ich treffe auf einen richtig guten Gegner.

Der Südafrikaner Kevin Lerena . . .

. . . ist ein Weltklasse-Mann. Er boxt enorm explosiv, ist technisch sehr gut, schlagkräftig, steht voll im Saft. Er ist 22 Jahre jünger als ich, und er hat zuletzt Sefer Seferi, der gegen mich zwölf Runden tapfer gekämpft hat, in der dritten Runde k. o. geschlagen.

Dann gibt es sogar zwei Probleme.

Welches noch?

Sie kämpfen um den Titel des Verbandes IBO, der im Vergleich zu den vier großen Boxverbänden unbedeutend ist. Aus Sicht etlicher Fans zählt dieser WM-Gürtel nicht viel.

Das sehe ich, wie übrigens viele Experten, ganz anders.

Warum?

Für mich ist die IBO sehr wohl ein anerkannter Verband, unter anderem waren Größen wie Lennox Lewis, Wladimir Klitschko, Tyson Fury, Anthony Joshua, Roy Jones junior oder Gennadi Golowkin IBO-Weltmeister. Dazu kommt die enorm hohe Qualität meines Gegners: Kevin Lerena steht in der unabhängigen Weltrangliste an Nummer sechs – und damit zum Beispiel vor Superchampion Arsen Goulamirian und Weltmeister Beibut Shumenov aus dem Urverband WBA. Deshalb ist für mich klar, dass der IBO-Titel sehr wohl ein richtiger WM-Titel ist.

„Ich will zeigen, was möglich ist, wenn man an sich glaubt.“

Wie stehen Ihre Chancen, den Gürtel zu holen?

Lerena ist der klare Favorit. Trotzdem bin ich überzeugt, gewinnen zu können.

Was treibt Sie an?

Ich will zeigen, was möglich ist, wenn man an sich glaubt, Ziele hat, niemals aufgibt. Und ich will anderen ein Vorbild sein, sie motivieren. Für den Sport. Aber auch fürs Leben.

Welche Rolle spielt es, dass Sie auch die Schattenseiten des Boxens kennenlernen mussten?

Eine wichtige. Ich habe in meiner Karriere viele Ungerechtigkeiten erlebt. Fehlurteile, Herabstufungen, Respektlosigkeiten. Ich wurde oft abgeschrieben, habe viele vermeintliche Freunde gehen sehen, als es bei mir mal nicht so optimal lief – und trotzdem bin ich noch da. Ich bin seit 2014 unbesiegt und sehr froh dass ich nun endlich den großen Kampf bekomme, über den ich die ganze Zeit geredet habe. Jetzt kann ich zeigen, zu welcher Leistung ich noch fähig bin.

Wie fit sind Sie?

Meine Kraft- und Ausdauerwerte sind so gut wie eh und je, ich habe Luft und Power für zwölf harte Runden. Neulich meinte mein Sportwissenschaftler Günter Dreher zu mir, dass er solche Zahlen noch nie gesehen habe. Wenn die Werte nicht stimmen würden, würde ich niemals in den Ring steigen. Allerdings weiß ich natürlich auch, dass Boxen nicht messbar ist.

Das bedeutet?

Dass es noch andere Parameter gibt: Motivation, Wille, Erfahrung, Glaube an sich.

„Meine Kinder geben mir Motivation fürs Training“

Machen Sie sich vor einem Kampf Sorgen um Ihre Gesundheit?

Nein. Aber ich habe Respekt vor jedem Schlag, weshalb ich daran gearbeitet habe, meine Deckung weiter zu optimieren. Ziel ist, so wenig wie möglich abzubekommen.

Was sagt Ihr Umfeld zu dem Risiko, das Sie immer wieder eingehen?

Die Leute, die eng an mir dran sind, sehen meine Arbeit und meine Disziplin. Sie vertrauen mir. Die größte Gefahr für einen Boxer ist, dass er müde wird, sein Gegner aber nicht. Diese Gefahr besteht bei mir nicht.

Enzo Ferrari hat einmal gesagt, ein Formel-1-Fahrer, der Vater wird, sei von nun an eine Sekunde langsamer. Sie haben drei Kinder – sind Sie deshalb vorsichtiger geworden?

Ich konnte schon immer zwischen Boxen und Privatleben trennen. Das ist nötig, um stets volle Leistung bringen zu können. Aktuell ist es eher so, dass mir meine Kinder Motivation fürs Training geben – weil ich weiß, wofür ich kämpfe.

Gibt es sonst noch eine Energiequelle?

Gott! Er gibt mir Kraft. Und ich glaube, dass am Ende die Gerechtigkeit siegen wird.

In Form von Erfolgen?

Vielleicht, aber das muss nicht sein. Ich würde niemals einen Sieg haben wollen, der mir nicht zusteht.

„Ich boxe ohne Gage“

Wie wichtig ist Ihnen Geld als Antrieb?

In den vergangenen Jahren war das Boxen für mich eher ein Verlustgeschäft.

Wirklich?

Es ist nicht einfach für jemanden, der nicht nur selbstständiger Boxer ist, sondern auch sein eigener Trainer und Manager. Ich bin gemeinsam mit EC Boxing Veranstalter des Kampfabends in Göppingen, was ohne die organisatorische Arbeit meiner Frau, die vor Ort alles alleine macht, nicht möglich wäre. Ich selbst boxe ohne Gage und muss schauen, dass ich ohne TV-Einnahmen mit der Veranstaltung, die unsere bisher größte ist, kein Minus mache. Bisher ist uns das zum Glück immer gelungen.

Was bleibt für Sie als Lohn übrig?

Am wichtigsten ist für mich, mit mir im Reinen zu sein. Würde ich nicht versuchen, noch einmal Weltmeister zu werden, würde ich mir das irgendwann vorwerfen. Ich bin kein Typ, der im „Hätte ich doch . . .“-Modus leben will. Angesichts meiner Topverfassung bin ich es mir selbst schuldig, es wenigstens zu probieren. Der schönste Lohn wären für mich die Glücksgefühle, die man erlebt, wenn man etwas Großes geschafft hat.

Wird es Ihr letzter Kampf sein?

Dieses Duell ist eine so große Aufgabe, dass ich nicht schon an die nächste denken kann. Sicher ist nur: Wenn ich gerechterweise verlieren sollte, ohne mich verletzt zu haben, ist es mein letzter offizieller Kampf gewesen.

Was kommt nach Ihrer Karriere?

Mein Vater hat uns früh verlassen. Ich will meinen Kindern der Vater sein, den ich nie hatte. Und ich will versuchen, die deutsch-türkische Freundschaft zu fördern.

In welchem Rahmen?

Aktuell gibt es viele Reibungspunkte, was mich traurig macht, da ich mich beiden Ländern stark verbunden fühle – wie ein Kind, das Vater und Mutter gleichermaßen liebt. Für mich zählt nicht die Politik, sondern der Mensch. Ich werde mich in Projekten, Initiativen und den täglichen Begegnungen dafür einsetzen, die Beziehungen zwischen Deutschen und Türken positiv zu gestalten.

Und was haben Sie beruflich vor?

Ich brauche weder eine Yacht noch ein Privatflugzeug. Mir geht es gut, weil ich mit Geld ganz ordentlich umgehen kann und meine Ersparnisse gut angelegt habe. Sicher ist, dass der Sport in meinem Leben weiter eine ganz wichtige Rolle spielen wird.

Welche?

In diesem Frühjahr werde ich in Göppingen die „Sportschule Firat Arslan“ eröffnen, in der wir Boxen und Kickboxen als Fitness- und Motivationstraining anbieten. Ich werde nicht nur meinen Namen hergeben, sondern dort als übergeordneter Chefcoach fungieren, weil ich denke, dass ich Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen, viel zu vermitteln habe und sie auch ganz gut motivieren kann. Ich möchte den Menschen und meinem Sport etwas zurückgeben – als Dank für alles, was ich erleben durfte.

„Auch in Deutschland gibt es viele Talente“

In Deutschland fehlt es aktuell an Stars. Gibt es international Boxer, für die Sie um 4 Uhr aufstehen würden, um sie kämpfen zu sehen?

Einige. Zum Beispiel Joshua, Wilder, Fury, Golowkin, Usyk oder Canelo Alvarez. Und auch in Deutschland gibt es noch guten Boxsport und viele Talente. Schade, dass dies die Macher von ARD und ZDF nicht erkennen.

Von Krise keine Spur?

In Deutschland mag es derzeit eine kleine Delle geben, aber weltweit sehe ich eher Anzeichen eines Booms. Und ganz grundsätzlich ist es so, dass der Boxsport eine viel zu lange Geschichte mit viel zu großen Helden hat, als dass er jemals in der Versenkung verschwinden könnte.