Eine Stunde erst dauert die Verhandlung, da steht die Angeklagte auf. „Ich kann nicht mehr“, sagt sie eher genervt als ergriffen und will schon aus dem Gerichtssaal schlurfen. So genau scheint sie ohnehin nicht zu verstehen, warum sie hier im Tübinger Landgericht sitzen soll. „Ich wollte ja niemanden umbringen. Ich wollte mich selber umbringen“, ruft sie ungefragt dazwischen, als eine Beamtin vom Kriminaldauerdienst mit ihrem Bericht beginnt. Immer wieder dreht sie sich zu ihrer Anwältin um und fragt irgendetwas. Dann tastet sie sich mit den Fingern am Mund, als ob da eine Zigarette wäre. „Rauchen Sie auch?“, fragt sie den Richter unvermittelt. Sie werde nämlich an Lungenkrebs sterben. Es ist eine ihrer Wahnvorstellungen.
Drei Menschen sind bei dem Brand in einer Psychiatrischen Einrichtung der Bruderhaus Diakonie in Reutlingen im Januar ums Leben gekommen. Sie waren Bewohner, so wie die 58-jährige Angeklagte, die abends das Feuer in ihrem Zimmer gelegt haben soll. Als eine Pflegerin dem Gericht auf einem Lageplan die Verteilung der Zimmer in der Wohngruppe erklärt, schafft sie das nur unter Tränen.
Kommt die Frau dauerhaft in die Psychiatrie?
Die Angeklagte, die damals gerettet werden konnte, ist zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs zurück ins Psychiatrische Landeskrankenhaus in Bad Schussenried. Da sei es ganz fürchterlich, sagt sie vorher noch. Ohne sie geht es dann darum, ob sie dauerhaft in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden muss. Die Staatsanwaltschaft hält sie für eine Gefahr für sich und andere.
Dass etwas passieren könnte, vermuteten offenbar auch die Pflegekräfte in der Wohngruppe. Das sei mehrfach Thema gewesen, berichten Pflegekräfte vor Gericht. Häufig habe sie damit gedroht, sich umzubringen. Zwar sei es immer gelungen, die Frau aus ihren Wahnanfällen herauszuholen. Aber für die Struktur einer offenen Wohngruppe sei das nichts gewesen. „Wir können diese Verantwortung nicht tragen“, hieß es immer wieder. Das sei auch mit der Klinik für Psychiatrie besprochen worden, wo die Angeklagte in dem halben Jahr vor dem Brand zweimal stationär behandelt wurde. Eine Reaktion sei ausgeblieben.
Schon vor dem Brand gibt es Ärger
Am Brandtag sei die Angeklagte schon am Morgen mit zwei Patienten, mit denen sie sonst gut auskam, in Streit geraten. Mit dem Ellenbogen habe sie sie im Gesicht verletzt. Später sei sie zweimal in die Küche gekommen und habe nach Messern gegriffen. Nach dem zu Bett gehen, habe sie plötzlich wieder Straßenkleidung angehabt. Wenige Minuten später ging der Brandalarm am Telefon im Stationszimmer los. Auf den Stationen gab es keinen hörbaren Alarm – möglicherweise ein Grund, warum sich drei Patienten nicht retten konnten.
Die Angeklagte ist gezeichnet durch eine schwere schizophrene Erkrankung und ein Leben in der Psychiatrie. „Ich kann plus, minus und mal rechnen“, sagt sie ungefragt, als sie noch im Gerichtssaal ist. „Geteilt kriege ich nicht hin“ – das sei wegen der Medikamente. Auch der sachverständige Psychiater stellt fest, dass sie nicht bei der Sache ist. Es könnte der Angeklagten helfen, wenn das auch für sie einschneidende Ereignis in ihrem Beisein aufgearbeitet werde, meint er zunächst noch. Aber „sie hört gar nicht zu“.
Beim nächsten Prozesstag am 9. Oktober will das Gericht einen neuen Anlauf wagen, nicht unbedingt zur Freude der Angeklagten. „Ich verstehe nicht, warum für die Verhandlung nicht ein Tag reicht.“ Ein Urteil soll Mitte Oktober fallen.