Faszinierende Bühnenbilder in Bregenz: David Pountney erzählt in berückenden Bildern Mozarts „Zauberflöte“ als ein Drama um Macht, Liebe und den Terror wild gewordener Weisheitspriester.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Drei riesige Höllenhunde bewachen neuerdings Vorarlberg. Und? Ist das verwunderlich? Das Faszinierende an den Bregenzer Seebühnen jüngerer Zeit ist ja, dass sich die Bühnenbildner immer wieder die verrücktesten Sachen ausgedacht haben. Und wenn sie fertig waren, hat kein Mensch je gefragt, was das dort eigentlich zu suchen hat. Es ist halt Kunst. Es ist halt Bregenz. Festspielzeit.

 

Darum diesmal drei Höllenhunde mit langen Hörnern, buntem Fell, Glupschaugen und scharfem Gebiss – der südafrikanische Bühnenbildner Johan Engels hat sich das einfallen lassen, inspiriert von uralten mythischen Geschichten und der modernen Street-Art seiner Heimat. Den mitteleuropäischen Betrachter mag es eher an Monsterknautschfiguren aus dem Kinderzimmer erinnern, einerlei. Denn die eine wie die andere Spur führt uns schnurstracks in jene knallbunte Märchenwelt voller Abenteuer und Gefahren, in der David Pountney, der Intendant der Bregenzer Festspiele, Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ spielen lässt – für ein Publikum, das, so teilt der Regisseur in 140 höchst kurzweiligen Minuten mit, vor manchem in der Welt Furcht haben kann, aber ganz sicher nicht vor der Oper.

Die Geschichte wird schlüssig erzählt

Auch auf der großen Plattform unterhalb der Hunde, dem überdimensionierten Panzer einer Schildkröte, geht es darum spektakulär zu. Aus einem Blätterwald kriechen Schlangen und Vogelfänger hervor, leuchten Tieraugen auf oder reiten riesige Damen auf ihren gepanzerten Drachen (alles erdacht von der Kostümbildnerin und Puppendesignerin Marie-Jeanne Lecca, phänomenal), krachen Böller und Raketen, fliegen Menschen und Mutanten. Während gleich darauf drei engelsgleiche Knaben mit großen Puppenköpfen wunderschön singend in einem Kahn vorbeischippern. Oder sich überhaupt die ganze Bühne dreht, die Königin der Nacht auf einem riesigen Auge meterhoch in den Nachthimmel wächst und dazu ihre berühmte Arie bringt. Nein, viel tuscheln darf man hier mit seinem Sitznachbarn nicht. Sonst hat man schon wieder etwas verpasst.

Vieles gelingt Pountney. Die erste große Leistung: er erzählt die Geschichte der „Zauberflöte“ schlüssig. Und das ist bekanntlich gar nicht einfach bei einem Libretto, das ungefähr so wie beim üblichen TV-„Tatort“ dem Zuschauer ungefähr zur Hälfte mitteilt, dass alles bisher Gezeigte gar nicht so gemeint war und die gerade noch Hochverdächtigen in Wirklichkeit reinste Unschuldslämmer sind (und umgekehrt). Britisch-gewitzt zieht sich Pountney aus der Affäre, indem er uns schon zur Ouvertüre die Vorgeschichte der „Zauberflöte“ erzählt: Da sehen wir die Königin der Nacht und den Weisheitspriester Sarastro am Sarg des Zauberers; hier die Vertreterin vor-vernünftiger Macht, dort den Lordsiegelbewahrer der Weltvernunft, und während sich der Deckel noch schließt, fängt auch schon der Streit ums Erbe an, um die Welt- und Himmelsscheibe – und um Pamina, die Tochter, die Zukunft.

Prüfungen der Sarastro-Sekte

Pamina wird entführt, aus edelsten Motiven, versteht sich. Aber glaube niemand, dass es ihr darum gut ginge im Priesterreich. Sie wird gejagt und gequält von Monostatos – und dies ist der zweite Streich des Mister Pountney, denn Monostatos ist nicht einfach Sarastros Sklave, sondern sein zweites Ich, das in Bregenz bei der Beerdigung plötzlich unter seinen Beinen hervorkullert. Monostatos ist das Dunkle und Unbeherrschte, das es in diesem Vernunftreich wohlgesetzter Basstöne eigentlich gar nicht geben darf und das deswegen abgespalten und verleugnet werden muss.

In der Bregenzer „Zauberflöte“ lebt die Nachtwelt der Königin ebenso von der Lüge wie der Feuerkult des Priesters. Und während der Prinz Tamino auf seinem Selbstfindungstrip die schrägen Prüfungen der Sarastro-Sekte willig befolgt, kommt Rettung allein von den Frauen. Ganz zum Schluss wird Pamina ihren Geliebten nicht nur durchs, sondern vor allem übers Wasser ans rettende Seeufer führen, mitten ins Publikum. Ach ja, und Papageno bekommt natürlich seine Papagena.

Die Wiener Symphoniker lassen Zukunftsmusik erklingen

Am schönsten, am herrlichsten ist an diesem ganz erstaunlichen Abend die Musik bei den Arien der Jungen. Das ist sozusagen Zukunftsmusik. Dafür lässt der Dirigent Patrick Summers die Wiener Symphoniker ganz weich und zart, fast frühromantisch klingen. Dann besingt Norman Reinhardt als Tamino das bezaubernd schöne Bildnis, als wenn er es selbst gerade für sich malen würde. Dann singen Gisela Stille als Pamina und Daniel Schmutzhard als Papageno ebenso schwebend wie wahrhaftig von der alles rettenden Liebe – aber auch vom Tod, der hinter der Verzweiflung lauert.

Alfred Reiter als Sarastro und Ana Durlovski als Königin der Nacht kommen in ihren Partien deutlich formelhafter daher – aber so ist nun mal dieses Regiekonzept, und tiefster Bass und höchster Sopran liefern ordnungsgemäß Glanzstücke. Aber es ist ein Glanz, der frösteln lässt. Wer möchte schon auf Dauer leben in einer Welt, in der eine Versammlung der Immerrechthaber die ewige Herrschaft von Natur, Vernunft und Wahrheit beschwört, bewacht natürlich von drei Höllenhunden – und gleich daneben ihre Folterknechte mit Peitschenhieben auf Fußsohlen für Ordnung sorgen?

Das ist womöglich das Allererstaunlichste an diesem Bregenzer Abend, der vom Premierenpublikum bejubelt wird: wie Pountney auf dieser riesigen Bühne neben allem Spektakel kleine dichte Bilder intimen Schreckens setzt. Auf zwei Krücken muss Monostatos nach seiner Bestrafung zurück auf die Bühne humpeln, und als er dann seinen Dienst im Reich der Guten quittiert, pfeffert er Sarastro eine davon vor die Priesterfüße. Mit eben dieser Krücke sehen wir später den Vater Vernunft immer wieder über die Bühne tapern. Das ist der Preis, den er glaubt, der Welt im Namen des Guten abfordern zu müssen. Und dies Bildnis ist erschreckend wahr.