Nur noch jeder dritte Brite glaubt, dass der Brexit richtig war. Das liegt auch an den vielen negativen Folgen des EU-Austritts. Doch eine Rückkehr nach Europa ist nicht leicht.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Sieben Jahre nach dem knappen Referendum-Ja zum Brexit fragen sich immer mehr Briten, ob der EU-Austritt richtig war. Letzten Umfragen des Yougov-Instituts zufolge glaubt das inzwischen nur noch jeder Dritte im Land. Zwölf Prozent sind sich nicht schlüssig. Aber 55 Prozent halten die Entscheidung rückblickend für falsch.

 

Und während vier von zehn Briten finden, dass man sich mit dem Status quo nun mal abfinden müsse, erklären sechs von zehn der Befragten, sie würden, wenn sie die Gelegenheit hätten, für eine Rückkehr in die EU stimmen. Die negativen Folgen des von Boris Johnson erzwungenen „harten“ Brexits haben einen spürbaren Stimmungswandel im Vereinigten Königreich herbeigeführt.

Exporteinbrüche und Firmenpleiten

Kein Wunder: Statt blühendem Handel und wachsendem Wohlstand erlebt man Exporteinbrüche, Firmenbankrotts, eine Unmenge an neuer Bürokratie und an Zöllen. Das Nationale Gesundheitswesen, das durch den EU-Austritt saniert werden sollte, steht schlechter denn je da. Der Traum von einer neuen globalen Rolle, an der Seite der USA, und im triumphalen Handel mit dem Rest der Welt, ist verflogen. Und während die Brexiteers gelobten, die Zahl der Zuwanderer ins Königreich scharf zu reduzieren, hat sich diese Zahl jetzt nahezu verdoppelt (auch wenn es inzwischen keine EU-Bürger, sondern andere Ausländer sind).

Besonders die Jungen drängen auf eine europäische Zukunft

Begreifliche Ernüchterung hat so auch einen Teil derer erfasst, die einst fest im Brexit-Lager standen. Gerade in Mittel- und Nordengland, in den alten Labour-Gebieten, fühlen sich viele Brexit-Wähler jetzt erneut vergessen und oft regelrecht betrogen. Nachdenklich haben sie in diesem Sommer verfolgt, wie Ex-Premier Johnson, der ihnen einst das Blaue vom Himmel versprach, jetzt als Serienlügner abgestempelt und quasi aus Westminster verbannt wurde. Oder wie ein Land wie die Ukraine nun schnelle und volle Integration in die EU verlangt. Vor ein paar Jahren noch hatten die Tory-Hardliner prophezeit, post Brexit werde die EU wahrscheinlich auseinanderfallen, weil ihr niemand mehr angehören wolle.

Etliche Briten bereuen es mittlerweile auch, beim Referendum von 2016 nicht mitgestimmt zu haben. Nur jeder Siebte dieser „Abstinenzler“ von damals ist laut Yougov glücklich mit einem Großbritannien außerhalb der EU. Ganz zu schweigen von den jungen Leuten, die vor sieben Jahren noch nicht stimmberechtigt waren und die heute auf offene Grenzen mit „Europa“, auf eine „europäische Zukunft“ dringen: 78 Prozent der 18- bis 24-Jährigen verlangen eine erneute Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Für Labour ist die Sache kompliziert

Nicht dass die Tory-Regierung unter Rishi Sunak auf den Stimmungswandel reagieren wollte oder könnte. Sunak selbst, den wenig mit Europa verbindet, war schon immer ein überzeugter Brexiteer. Außerdem übt seine Parteirechte Druck auf ihn aus sowie die einflussreiche Rechtspresse in London, für die es Zweifel am Brexit nicht geben darf.

Für Labour ist die Sache kompliziert

Komplizierter ist die Sache für die oppositionelle Labour Party, die sich Hoffnung auf einen Wahlsieg im Laufe des nächsten Jahres macht. Sir Keir Starmer, ihr Vorsitzender, war einst als führender Proeuropäer bekannt. Inzwischen hat Starmer freilich aus den Wahlen von 2019 den Schluss gezogen, dass er zuallererst die damals abgesprungenen Labour-Stammwähler zurückgewinnen muss und keine „Wechselwähler“ mit Reden von einer möglichen Kehrtwende provozieren sollte. Einem Boulevardblatt, dem „Daily Express“, hat er darum versichert, dass „Großbritanniens Zukunft außerhalb der EU“ liege. Zugleich gelobt der Oppositionsführer, das „von den Torys lädierte“ Verhältnis seines Landes zur EU zu verbessern.

Mit vereinzelten Reformen statt mit einer erneuten Grundsatzdebatte will sich der Labour-Chef erst einmal durchlavieren – zumindest bis er die Unterhauswahlen gewonnen hat. Was danach kommt, wagen auch Starmers Mitstreiter nicht zu sagen. Einzelne Etappen wären zweifellos denkbar, bei einer Annäherung an Europa.