Bruce Springsteen legt ein neues Album vor. Doch wer überraschende Musik mit klaren Aussagen erwartet, wird diesmal leider enttäuscht. Der Boss wirkt müde.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Macht er es sich nicht so einfach? Oder macht er es einfach? Oder macht er es – aber stets einfach? So sieht es aus, das Dreieck der künstlerischen oder eben nicht sonderlich künstlerischen Positionen, entlang dessen Ecken sich der amerikanische Musiker Bruce Springsteen seit 39 Jahren bewegt.

 

Keiner hat einerseits das saudumme Klischee des „ehrlichen“ Rockers so gut bedient wie der Mann aus New Jersey. Als Stadionrocker, dem man das Etikett „The Boss“ angeheftet hat. Breitbeinig, hemdsärmelig im wahrsten Sinne des Wortes, wahlweise in Weste und T-Shirt oder im Holzfällerhemd seine bisweilen vierstündigen Liveshows durchrackernd. Unangenehm sich dem Mainstream als Rock-’n’-Roll-Arbeiter anbie- dernd. „Born in the USA“, „Streets of Philadelphia“ oder „I’m on Fire“ intonierend. Fernfahrerseligkeit verströmend. Gähn.

Und überhaupt: was bitte soll das denn sein, „ehrliche“ Musik? Kunst ist ein zweckfreier und der nüchternen Ratio entgegengewandter Befindlichkeitsausdruck, gewiss nicht um Bodenständigkeit, sondern um das Gegenteil bemüht; wobei: bemüht schon mal gar nicht! Und wenn dort schon Sendungsbewusstsein dazugehören soll, dann doch bitte sublim, mit dem feinen Pinsel nuanciert aufgetragen, aber doch nicht mit dem Quast breit aufs Tapet gestrichen, auf dass auch noch der letzte Holzkopf die Botschaft verstehen möge.

So gesehen scheitert Bruce Springsteen häufig an sich selbst, und zwar seit seinem Album „Nebraska“, veröffentlicht vor dreißig Jahren, einem Ton gewordenen Ausdruck der Innerlichkeit, einem großen Songwriterepos, dem nach wie vor besten Album, das der amerikanische Musiker in seiner langen Karriere veröffentlicht hat. Der „Boss“ danach, er setzte allzu oft auf schlichtere Töne und vage Aussagen, seinen sehr interpretationsfähigen Gassenhauer „Born in the USA“ etwa hat er je nach Zeitgeistbedarf wahlweise als patriotische Hymne oder kritische Bestandsaufnahme verklärt.

„Wrecking Ball“ ist auf Deutsch die Abrissbirne

Doch da wäre ja auch noch die andere Seite des Dreiecks, die künstlerisch interessanten Statements, die Bruce Springsteen bisweilen vom Stapel lässt. Relevante Botschaften an die Nation, genauer: an seine Nation. Denn keiner erfüllt das Bild des All American Guy getreuer als er. Die Zustände in seiner Heimat, sie wühlen ihn auch auf seinem heute erscheinenden neuen Album „Wrecking Ball“ wieder auf. Und Springsteen singt einige Klagelieder mit vernehmbarer Schärfe. Den „Wrecking Ball“, zu Deutsch die Abrissbirne, sieht er metaphorisch das Bauwerk namens USA platt machend. Die Birne steht in seinen Texten sinnbildlich für die Banker, Spekulanten und Gierhälse, die dem ganz normalen Menschen das Erschaffene nehmen und ihm den Garaus machen wollen. Grimmig und bitter klingt, was Springsteen über das Amerika Obamas singt, den der Musiker einst unterstützte, was den Politiker wiederum zu der schönen Aussage „Ich bin der Präsident, aber er ist der Boss“ trieb. Weit sieht dieser Boss sein Land von den „Glory Days“ entfernt, die der unprätentiöse Patriot Springsteen ja auch schon einmal besang. So gesehen, könnte man meinen, ist dieses Album nötig.

An der Synthese, dem Inhalt auch eine Form zu geben, scheitert Springsteen jedoch. Schon der Eröffnungssong „We take care of our own“ lässt in seiner simplen Burschenherrlichkeit erahnen, wohin die Reise diesmal geht. Der Ahnung folgt Gewissheit, die spätestens in der rasch nahenden lahmen Pianoballade „Jack of all Trades“ sogar in Vorhersehbarkeit umschlägt, ehe Springsteen aus der großen amerikanischen Instrumentierungskiste alles ausgräbt, was sich nur zu einem unschlüssigen Mischmasch versammeln lässt.

Springsteen liefert alles auf einmal, das ist zu viel

Irische Tin-Whistles fiepen, Mardi-Grass-Töne klingen an, eine Funeralband hört man marschieren, Gospelchöre flankieren das Ganze. Hier kommt eine Ballade, dort wird „gerockt“, zwischendurch wird ein wenig gerappt, sogar ein elektrisches Schlagzeug ist zu vernehmen, stellenweise wirkt alles – besonders durch das pastose Keyboard – reichlich überinstrumen-tiert. Mal klingt Springsteen wie auf den vor sechs Jahren veröffentlichten „Seeger-Sessions“, mal nach jenem schlichten Viervierteltakt-Pathos, mit dem man auf seinen Welttourneen die Arenen beglücken kann. Er liefert alles auf einmal, und doch ist nichts richtig ausformuliert.

„Wrecking Ball“ ist daher zumindest musikalisch ein Album von blasser Durchschnittlichkeit, auf dem selbst die Reminiszenz an seinen vor Kurzem verstorbenen Saxofonisten Clarence Clemons beinahe untergeht, der auf dem bisher immer nur live gespielten „Land of Hope and Dreams“ posthum noch ein letztes Mal in die Kanne bläst. Der „ehrliche Rocker“ Bruce Springsteen scheitert auf diesem Album vor allem jedoch an dem zugegebenermaßen nahezu unmöglichen Unterfangen, inhaltliche Ernsthaftigkeit mit heiterer Musizierfreude zu paaren. Er hat es sich vielleicht einfacher vorgestellt.

Bruce  Springsteens  Album  „Wrecking Ball“ ist am Freitag bei Sony erschienen. Der „Boss“ tritt am 25., 27. und 30. Mai in Frankfurt,Köln und Berlin mit seinerE-Street-Band auf, jeweils in den dortigen Fußballstadien.