Nicht außergewöhnlich, aber gewiss auch nicht schlecht und voller Neuinterpretationen: Der unermüdliche amerikanische Rocker Bruce Springsteen legt sein neues Album „High Hopes“ vor.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Nanu, hat Bruce Springsteen plötzlich die Seiten gewechselt? Fast könnte man es glauben, denn der Musiker aus New Jersey hat auf seinem neuen Album einen Song der australischen Punkband The Saints neu interpretiert („Just like Fire would“), einen Song des New Yorker Avantgarde-New-Wave-Duos Suicide gecovert („Dream Baby dream“) und als Ehrengast den Crossoverheroen Tom Morello mit im Boot – der frühere Rage-against-the-Machine- und Audioslave-Gitarrist („Killing in the Name of“, „Bullet in your Head“, „Bombtrack“) hat nahezu alle Stücke mit eingespielt.

 

Aber ganz so „wüst“ kommt es dann doch nicht. Der frühere linke Wutbürger Morello, der einst den Alternativerock mit metrischen und saitentechnischen Kabinettstückchen bereicherte, sieht auf der Aufnahme im Booklet dieses Albums schon wie ein Jungscharpfarrer aus, sein Beitrag bleibt ebenso brav. Zwei-, dreimal darf sich seine E-Gitarre austoben, am bemerkenswertesten in der Neuinterpretation der schon leicht angejahrten Ballade „The Ghost of Tom Jaud“, aber nie so sehr, dass hier eine komplett neue oder eigenständige Handschrift erkennbar wäre.

Dieser Mann bleibt sich treu

Neuinterpretationen sind ohnehin das Stichwort, denn ein Album mit richtig neuen Stücken legt der „Boss“ keinesfalls vor. Verblüffend ist somit weder das Gastspiel Morellos, der bereits auf dem Australienteil der soeben abgeschlossenen Welttournee als Ersatz für Steve van Zandt dabei war, noch die Beiträge von Clarence Clemons. Der Saxofonhüne starb bekanntlich vor zweieinhalb Jahren, auf dem „neuen“ Album von Springsteen spielt das langjährige Mitglied seiner E-Street-Band jedoch in zwei Songs mit, die offenkundig bereits vor einiger Zeit aufgenommen worden sind.

Der amerikanische Rockmusiker macht allerdings kein Hehl daraus, dass auf „High Hopes“ eine Menge gut abgehangene Ware und allerlei Coverversionen versammelt sind. „American Skin“ und das erwähnte „The Ghost of Tom Jaud“ sind Songs, die regelmäßige Konzertbesucher gewiss schon live gehört hätten, wie Springsteen freimütig in den Linernotes einräumt. Und auch das Titel gebende „High Hope“ sei streng genommen schon in den Neunzigern erstmals eingespielt worden.

Vierzig Jahre, ein Stil

Immerhin: an Schaffenskraft mangelt es Springsteen nicht; „High Hopes“ ist sein bereits viertes Album in den vergangenen fünf Jahren. Seinem Stil bleibt er indes, und da ändert auch Morellos Einsatz nicht wirklich etwas dran, bald schon sklavisch treu. Rocknummern im Viervierteltakt, unterbrochen durch einige Balladen, immer seiner selbst treu bis fast schon hin zum Selbstplagiat – etwa in „Down in the Hole“, das exakt den Schlagzeugrhythmus seines Klassikers „I’m on Fire“ kopiert.

Bruce Springsteen ändert sich kein Stück, aber das ist schließlich auch Teil seines immensen Erfolgs. Ketzerisch formuliert hätte jedes der zwölf Stücke auf seinem achtzehnten Album genau so gut auch auf seinem vor vierzig (!) Jahren erschienenen Debütalbum „Greetings from Asbury Park“ zu hören sein können.

Und auch an der Ambivalenz, mit der Springsteen sich einerseits als ehrlicher amerikanischer Patriot und zugleich kritischer Beobachter der Zustände in seiner Heimat sieht, hat sich nichts geändert. Paradigmatisch dafür steht der Song „The Wall“, in dem er einen Besuch in Washington am Gedenkmal für die gefallenen US-Soldaten in Vietnam thematisiert. „Apology and Forgiveness got no Place here at all“ singt Springsteen dort – man könnte lange über diesen Satz nachdenken, noch länger gar, als er es in den Linernotes zu diesem Album selber tut.

Er spiegelt die Wünsche und Sehnsüchte sehr vieler wider

Mit Fundamentalkritik sollte man bei Bruce Springsteen dennoch sparsam sein. Ein junger Kollege hat es in der Online-Ausgabe des Intellektuellenfachblatts „Zeit“ in seiner Rezension dieses Albums gewagt. „So überraschend wie ein Langlaufurlaub“ sei das Werk, heißt es in seiner Suada (was freilich allein durch Angela Merkels diesbezügliche Erfahrungen widerlegt werden könnte), Springsteen sei die „Raufasertapete unter den Stadionrockern“, musikalisch „mit einem Fuß in der Steinzeit und dem anderen in einer überdimensionierten Mehrzweckhalle“ hängen geblieben.

Nun ja, am Wochenende hat sich der Jungspund – Stand gestern Nachmittag – 186 Kommentare eingefangen, die positiven lassen sich an einer Hand abzählen. Das liegt gewiss auch daran, dass der nassforsche Hipster in Gedanken vielleicht schon bei der übermorgen angesagten Eintagsfliege war und im Umkehrschluss eine Lebensleistung gering schätzt. Denn auch wenn der „Boss“ gewiss noch nie für die Neuerfindung des musikalischen Rads stand (wobei da wiederum auch an die „Seeger Sessions“ erinnert werden muss, wo Springsteen durchaus zu ganz neuen Ufern aufbrach) und sich auch auf diesem natürlich nicht schlechten, aber gewiss nicht außergewöhnlichen Werk sehr, sehr treu bleibt: Er spiegelt die Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen sehr vieler Menschen wider. Nicht umsonst trägt Bruce Springsteen seine Konzerte üblicherweise in Stadien aus.

Seine Musik mag man als relativ eindimensional, die Attitüde des „ehrlichen“ Rockers als leidlich abgedroschen empfinden. Abkanzeln sollte man diese Geisteshaltung jedoch nicht. Denn sterben darf die hehre Hoffnung auf bessere Zeiten keinesfalls.