„Der Dalai Lama lässt sich von Insekten stechen, damit die auch ne Freude haben.“ Diese und 469 weitere Nachrichten hat Katharina Göppert in ihrem Buch "Nachrichten von Mama" zusammengefasst. Ihre Mutter lebt mit schizophrenen Psychosen. Das bedeutet, dass es für sie eine zweite Wirklichkeit gibt. "Dies drückt sich bei meiner Mutter vor allem durch ihre Kommunikation aus", so die 26-Jährige Tochter.
Gedanken ohne Grenzen
Katharina erklärt: „Die Beziehung zu meiner Mutter ist geprägt von Liebe und Fürsorge. Allerdings auch von Ängsten, Sorgen und Grenzüberschreitungen. Da die eigenen Grenzen in der Psychose so sehr verschoben sind, fällt es auch schwer, die Grenzen anderer Menschen einzuhalten. Das wird unter anderem in der Regelmäßigkeit deutlich, in der meine Mutter sich bei mir meldet. Fast jeder Gedanke, der in ihren Kopf schießt, wird mir entweder telefonisch oder über eine WhatsApp-Nachricht mitgeteilt.“
Krankheiten wie Schizophrenie brauchen mehr Aufklärung
Mit ihrem Buchprojekt will die Kunst- und Philosophiestudentin auf unterhaltsame Art und Weise die "bittersüße" Gedankenwelt ihrer Mutter zugänglich machen, um damit ein Bewusstsein zu schaffen. Denn das Bild von psychischen Ekrankungen wie Schizophrenie sei noch immer mit Voruteilen behaftet: "Leider werden Menschen mit schizophrenen Psychosen von der Gesellschaft häufig als verrückt abgestempelt. Viele kennen diesen Begriff nur aus Horrorfilmen oder Crime Dokus. Wir brauchen mehr Aufklärung."
Ihre Kindheit verbringt Katharina zwischen den paranoiden Episoden und Zwangseinweisungen der Mutter in einem Gefühlswirrwarr aus Überforderung, Ängsten, Lügen und Scham. Erst als die Jugendliche 15 Jahre alt ist, bekommt die Mutter eine offizielle Diagnose. "Der Diskurs um psychische Krankheiten war damals ja auch ein riesen Tabu. Selbst heute ist diese Thematik mit großer Scham behaftet - sowohl für Betroffene, als auch für deren Angehörige."
Einblicke in eine andere Wahrnehmungswelt
Das Buch beginnt mit einer Einleitung. Es folgen 470 Nachrichten mit Zeit und Datum - die erste vom 15.12.2015. Alle Beiträge bleiben unkommentiert, ohne Wertung. "Ich möchte den Betrachter:innen die Möglichkeit geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden", so die Künstlerin.
Katharinas Mutter bekommt damals ihr erstes Smartphone geschenkt. "Für sie war das super, weil sie plötzlich allen schreiben konnte und das hat sie auch täglich mehrmals gemacht.“ Das Gefühl, dass in diesen meist kurzen Sätzen viel mehr steckt, spürte die 26-Jährige erstmals auf einer Reise in Paris, als sie eine Nachricht ihrer Mutter Freund:innen vorliest. "Alle mussten schmunzeln und fanden es total süß."
Seitdem sammelt und archiviert Katharina, die seit 2017 an der Kunstakademie studiert. Dort stellt sie eine Auswahl der Nachrichten auch zum ersten Mal im Rahmen eines Hochschulrundgangs aus - allerdings ohne Kontext. "Ich war mir auch einfach unsicher, da ich sie ja als Person schützen will und es eben ein sehr sensibles Thema ist. Damals hatte sie auch keine Krankheitseinsicht. Heute weiß sie, dass sie schizophren ist, dass sie zum Arzt muss und warum."
Ihre Mutter ist mit dem Buch einverstanden. Nur sieht sie selbst nicht, was so besonders, so poetisch und lyrisch an ihren Worten ist. Sie sagt mir immer, ich soll doch lieber schöne Blumen zeichnen", lacht Katharina. "Zwar fühlt sie sich durch meine Arbeit geschmeichelt, doch möchte ich sie damit auf gar keinen Fall bloßstellen. Schizophrene leiden schon genug unter der Stigmatisierung der Gesellschaft und es gibt zu wenig Raum für die Betroffenen."
Der konstruktive Umgang mit psychischen Erkrankungen
Die letzte Nachricht im Buch stammt vom 24.12.2019. "Ich musste damals einen Cut machen." Katharina legt damals eine Pause ein, geht in eine Klinik und wird dort selbst mit einer Borderline-Störung diagnostiziert. "In dieser Zeit hatte ich das Gefühl, die Diagnose meiner Mutter noch nicht richtig verarbeitet zu haben und dann kam meine eigene dazu."
Sie nutzt die Zeit, findet einen konstruktiven Umgang mit ihrer Vergangenheit und der eigenen psychischen Gesundheit. Teil davon ist es, öffentlich in Podcasts wie "Danke, gut." vom Westdeutschen Rundfunk oder Impulsraum des Asta der Filmakademie Baden-Württemberg aufzuklären.
Crowdfunding-Ziel erreicht
Die Crowdfunding-Kampagne zum Buch ist bereits erfolgreich beendet. Das ursprüngliche Fundingziel von 750 Euro wurde sogar überstiegen. Mit dem Geld hat Katharina die ersten 150 Exemplare drucken lassen. Einige davon gibt's aktuell auch im Superjuju in Stuttgart zu kaufen. Das Buch kostet 20 Euro, der Versand 5 Euro. Bestellungen nimmt Katharina auf Instagram entgegen. Was sie besonders rührt, ist der Zuspruch von Freund:innen und Bekannten, aber auch von außen: "Dafür bin ich wirklich sehr dankbar und das gibt mir auch Hoffnung, dass wir als Gesellschaft uns immer mehr öffnen für das Thema psychische Krankheiten."