Die Buchautorin Christina Bylow ärgert sich über Vorurteile und Diffamierungen in der Öffentlichkeit und fordert ein neues Steuermodell.

Stuttgart - Frau Bylow, was hat Sie bei der Recherche zu Ihrem Buch am meisten geärgert?

 
Das Buch selbst entstand auch aus einem Ärger heraus. Alleinerziehende werden sehr stark diffamiert – in der Presse und in Büchern, etwa bei Thilo Sarrazin. Dort wird stark betont, dass Alleinerziehende ein defizitäres Modell sind und sie die Erziehungsarbeit nicht leisten können. Es gab 2010 eine hässliche Kampagne, dass alleinerziehende Frauen bewusst nicht mit Männern zusammenleben, um das Arbeitslosengeld II zu kassieren und sich soziale Bezüge zu erschleichen. Dahinter steckte ein extrem verachtendes und herablassendes Bild.
Das Bild stimmte mit Ihren Erfahrungen offensichtlich nicht überein?
Ich war umgeben von alleinerziehenden Müttern in einer Berliner Grundschule und habe gesehen, was diese Frauen leisten. Ich hatte das Gefühl, dass da etwas höchst Manipulatives in den Medien abläuft. Eine Menschenfeindlichkeit gegen eine bestimmte Gruppe, die offiziell diffamiert wurde.
Womit ist es zu erklären, dass mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden Frauen sind – trauen es sich Männer nicht zu, ihre Kinder alleine großziehen?
Die alleinerziehenden Männer sind oft Witwer. Sind die Männer getrennte Väter, leben die Kinder sehr selten bei ihnen und wenn, dann erst wenn sie älter sind. Ich kann nur vermuten, dass noch viele alte Rollenbilder kursieren. Ich glaube, dass Männer da ganz schlau sind, weil dieses Alleinerziehen ungeheure Opfer erfordert. In der Erwerbsbiografie ist es ein sehr hohes Risiko. Das nehmen die meisten Männer nicht auf sich. Seit Mai 2013 haben nun alle Väter, auch die nicht-ehelichen, die Möglichkeit, das volle Sorgerecht zu bekommen – selbst gegen den Willen der Mutter. Es geht nicht nur um Rechte, sondern darum, im Alltag Verantwortung und Arbeit zu übernehmen. Es geht um den gelebten Alltag mit Kindern.
Was müsste sich ändern?
Als erstes muss die Politik die finanziellen Rahmenbedingungen ändern. Es kann nicht sein, dass Alleinerziehende Steuerklasse II und einen Freibetrag von 1300 Euro im Jahr haben. Das ist unfassbar ungerecht, denn sie werden damit fast wie Singles besteuert. Vor allem wenn man sie mit einem Ehepaar oder einer homosexuellen Lebensgemeinschaft vergleicht, bei dem die Einkommensverhältnisse sehr stark auseinander gehen – sie sparen mit dem Ehegattensplitting bis zu 15 000 Euro im Jahr. Das ist das Steuergeschenk des Staates. Das muss überdacht werden. Daran zeigt sich auch die mangelnde Wertschätzung. Alleinerziehende sind auch Familie, sie sind nicht eine Single-Person mit einem Anhängsel Kind. Und Familie steht unter dem Schutz des Staates.
Das ist im Grundgesetz so verankert.
Ja, im Grunde ist es eine Verfassungswidrigkeit. Vor einigen Jahren hatte eine Klage leider keinen Erfolg, doch jetzt mit der neuen Gesetzgebung zur Besteuerung homosexueller Lebensgemeinschaften könnte noch einmal ein neues Fenster aufgehen.
Haben Alleinerziehende keine Lobby in der Politik?
Es gibt einige alleinerziehende Politikerinnen. Doch die versuchen, ihren privaten Status möglichst diskret zu halten. Das ist ganz klug, um nicht in eine Mitleidsschiene zu kommen. Mitleid ist ja eine Form der Herablassung. Und sie wollen nicht, dass man ihnen eine Überforderung zuschreibt. „Ich bin alleinerziehend und das ist gut so“ – das werden sie von niemandem hören. Vielleicht, weil es viele als Übergangszustand betrachten, was es aber meist nicht ist.