Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)
Haben diese Entdeckungen Ihren Blick auf den Vater verändert?
Bei meiner Suche habe ich sehr viel Mitgefühl entwickelt. Es war ein jahrelanger Prozess. Ich konnte ihm am Ende verzeihen. Im Alter überwiegt bei mir die Dankbarkeit, dass ich mich nicht in eine andere Richtung entwickelt habe. Das hätte schlimm enden können mit mir. Heute weiß ich, dass sich in meiner Geschichte viele Flüchtlingskinder vielleicht wiedererkennen. Damals habe ich gedacht: so schlimm wie bei uns daheim ist es bei niemandem. Als meine Mutter schon alt war, habe ich sie gefragt, weshalb sie meinen Vater überhaupt geheiratet hat, schon vor dem Krieg war doch klar, er ist ein Luftikus, ein Fremdgänger und Tunichtgut.
Was hat sie gesagt?
Sie kam ja aus einer bettelarmen Familie, und sie hat gesagt: „Er war der Erste, der mir ein Stück Schokolade geschenkt hat.“
Unterstützen Ihre Kinder und Ihr Mann Sie bei Ihrer Vergangenheitsbewältigung?
Das ist eher meine Sache. Neulich habe ich einen Hinweis bekommen, dass mein Vater vielleicht bei der SS war. Das hat meinen Mann mehr geschockt als mich. Er hat mich gefragt: „Musst du Schuld abarbeiten?“ Vielleicht auch, weil ich mich im Pflegeheim ehrenamtlich engagiere. Das hat mich irgendwie getroffen.
Fühlen Sie sich heute leichter?
Wenn Sie jemandem vergeben, dieser Prozess ist Wahnsinn. Seither habe ich Frieden gefunden, kann besser schlafen. Das Wichtigste ist eine funktionierende Familie, das ist mir bewusst geworden. Man muss miteinander reden. Vor der Familie muss man Respekt haben. Vor einem Jahr wurde ich am Rücken operiert, und in der Nacht vor der Operation habe ich von meinem Vater geträumt. Er sitzt im Traum neben meinem Bett auf einem Stuhl. Er redet nichts, sitzt nur da. Zuvor hatte ich mein ganzes Leben lang immer nur Albträume über ihn. Aber aus dieser Nacht bin ich aufgewacht und habe mich getröstet gefühlt. Ich habe gedacht, jetzt ist eigentlich alles gut.