Handwerkliche Exzellenz verdient mehr Aufmerksamkeit, meint Lokalchef Jan Sellner als Fazit einer großen Schau des Bundes der Kunsthandwerker im Stuttgarter Haus der Wirtschaft.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Handwerk hat goldenen Boden. Das sagt man, um auszudrücken, dass sich in Handwerksberufen glänzende Berufsaussichten bieten. Und das entspricht ja auch der Wirklichkeit. Handwerker sind allerorten gefragt, die Auftragsbücher der Betriebe sind voll und die Wartelisten lang. Nach der Coronadelle steigen auch die Auszubildendenzahlen wieder an, wenn nach Meinung der Handwerkskammern auch nicht stark genug, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Allerdings erschließt sich der Glanz des Handwerks nicht jedem sofort, weil es einem häufig in der Arbeitskluft von Malern, Fliesenlegerinnen, Bäckern, Dachdeckerinnen oder Elektrikern gegenübertritt.

 

Auch sollte man sich vom „goldenen Boden“ des Handwerks nicht blenden lassen. In der ursprünglichen Bedeutung des Sprichworts war damit nämlich das Gegenteil eines guten Auskommens gemeint. „Goldene“ Zeiten erlebten die Handwerksmeister im Mittelalter nur insofern, als die Sonne in ihre leeren Brotbeutel schien. Dieser „goldene Boden“ drückte Armut aus. Das ist zum Glück Geschichte.

Eines der stillen Jubiläen im Land

Und wie ist es mit dem Kunsthandwerk? Und dessen goldenem Boden? Es schätzt sich schon glücklich, wenn es festen Boden unter den Füßen hat – wie derzeit unter dem Dach des Hauses der Wirtschaft. Dort ist an diesem Samstag noch die höchst gelungene Ausstellung „Achtung: Kunsthandwerk!“ zu sehen. Anlass ist das 75-Jahr-Jubiläum des just im Haus der Wirtschaft gegründeten Bundes der Kunsthandwerker, der Nachfolgeorganisation des Württembergischen Kunstgewerbevereins. 1974 schloss er sich mit dem Badischen Kunstgewerbeverein zusammen.

Eines der stillen Jubiläen im Land. Dabei verdient dieser Bund der Kreativen mit seinen rund 200 Mitgliedern breite Aufmerksamkeit – deutlich mehr, als ihm häufig zuteilwird. Denn die Arbeit der Kunsthandwerkerinnen und -handwerker kann sich nicht nur sehen lassen. Ihr virtuoser Umgang mit Glas, Keramik, Textilien, Holz oder Metall ist ausdrücklich sehens- und ausstellungswert. „Achtung“ ist geboten, wie es der doppeldeutige Ausstellungstitel signalisiert, und damit auch Wertschätzung für die Mischung aus handwerklicher Exzellenz und künstlerischen Ideen.

Die Grenzen einerseits zum Handwerk, andererseits zur Kunst sind in diesem Fall fließend. Ohnehin ist es oft ein Zusammenwirken. Das bildet sich auch in der Arbeit großer Künstlerpersönlichkeiten ab. Die Keramikarbeiten eines Pablo Picasso etwa verbinden sich eng mit dem südfranzösischen Töpferdorf Vallauris. Dort sind sie entstanden. Übrigens trägt dieses Dorf „Gold“ (lateinisch aurum) in seinem Namen – in Anspielung auf seine reichen Tonvorkommen. Dort zumindest hat das Kunsthandwerk ebenfalls einen goldenen Boden.

Im Mai ist die Ausstellung in Karlsruhe zu sehen

Und wie an die Kunst knüpfen sich auch an das Kunsthandwerk wunderbare lokale wie internationale Geschichten – etwa wenn speziell gewobene Textilien das Glitzern von Stromschnellen im finnischen Tampere spiegeln. Merkwürdigerweise werden diese Geschichten selten weitererzählt oder gehört. Die Anerkennung bleibt deshalb gedämpft. Auch die des Landes. Seine Bemühungen, kunsthandwerkliche Spitzenarbeiten ins Schaufenster zu stellen, sind überschaubar. Jenseits der jährlich verliehenen Staatspreise gibt es in Baden-Württemberg – anders als etwa in Bayern – nur wenig. Da ist die Jubiläumsausstellung im Haus der Wirtschaft schon viel.

Sie findet demnächst in Karlsruhe eine Fortsetzung. Vom 20. Mai bis 26. Juni werden die etwa 100 Musterbeispiele aus Stuttgart in der dortigen Majolika gezeigt. Und weil es in diesen kunsthandwerklich-künstlerischen Kontext gehört, sei auch auf die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn hingewiesen. Noch bis 15. Mai ist dort die Ausstellung „Fragile! Alles aus Glas“ zu sehen. Zerbrechlich, aber glänzend.