Ob Tränen oder grenzenloser Jubel – der Kampf um Auf- und Abstieg hat extreme Ausschläge. Hamburg bekommt gegen Fürth noch eine Chance, Nürnberg und Braunschweig steigen ab – und Paderborn schafft sensationell den Aufstieg ins Oberhaus.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Ob Hoffnungen, Tränen oder grenzenloser Jubel – der Kampf um Auf- und Abstieg hat extreme Ausschläge. Der Rückblick auf ein Fußballwochenende mit Siegern und Verlierern – und auf viele unterschiedliche Emotionen.

 

Hamburg hofft

Schlusspfiff in Mainz – der Hamburger SV darf trotz der 2:3-Niederlage in die Relegation gegen den Zweitliga-Dritten Greuther Fürth, weil Nürnberg und Braunschweig im wochenlangen Dreikampf der lahmen Enten am Tabellenende auch wieder verlieren. Die Hamburger jubeln nicht. Sie umarmen sich teilweise verhalten, klatschen sich in der Kurpfalz-Arena nur kurz ab. Dann bilden sie vor ihren Fans einen Kreis und präsentieren sich als verschworene Truppe, nachdem sie um den direkten Abstieg noch einmal herumgekommen sind. Dieses Szenario hat auch etwas von Reue gehabt. Der einst so große HSV, der Dino, der so stolz darauf ist, seit Bestehen der Bundesliga als einzige Mannschaft noch nie zweitklassig gewesen zu sein, gruppiert sich zu einem Häuflein. Ein Häuflein, das im tiefen inneren unendlich froh gewesen ist, die Relegation mit Ach und Krach geschafft zu haben - sich aber auch ein bisschen dafür schämte, nur über diesen Umweg die Klasse noch halten zu können.

Der HSV-Trainer Mirko Slomka saß in der Pressekonferenz, als seine Spieler noch unter der Dusche standen. Sein Statement kam staatstragend herüber – und doch wirkte auch er erleichtert. „Durch die klaren Ergebnissen auf den anderen Plätzen hat das Engagement meiner Mannschaft in der zweiten Hälfte abgenommen – und das ärgert mich, weil wir heute einen Punkt hätten holen können“, sagte Slomka und verteilte eine Rüge an seine im Spielverlauf nachlassende Elf. „Und dennoch haben wir die Möglichkeit, die Klasse zu halten, wir haben heute einen kleinen Schritt gemacht. Jetzt gilt es, sich auf den Relegationsgegner vorzubereiten“, führte der Trainer noch aus. Irgendwie war er auch froh: Der HSV hatte Glück im Unglück.

Zu Gute halten muss man der Mannschaft, dass sie in Mainz das Zepter selbst in die Hand nahm und die Relegation unabhängig von den Ergebnissen der anderen Teams schaffen wollte. Antreiber des zumindest im ersten Durchgang erstaunlich gut aufgelegten HSV war der zuletzt wegen einer Verletzung so sehr vermisste Angreifer Pierre-Michel Lasogga. Der erzielte den Ausgleich zum 1:1 und machte deutlich, wie sehr der Tanker im Sturm den Hamburgern in den vergangenen Partien fehlte. Auf Lasogga ruhen nun alle Hoffnungen für die Relegation. „Es ist gut, dass er das Gefühl hat, dass alles wieder funktioniert“, sagte Slomka und meinte damit das Tor und den schmerzfreien Auftritt des Spielers, der gerade einen Muskelfaserriss auskuriert hatte. Doch der hochgelobte HSV-Hoffnungsträger warnte auch vor dem Relegationsgegner: „Auch die schicken elf Mann auf den Platz“, sprach Lasogga, das dürfe man niemals vergessen. Und so machte er sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg in den Bus. Noch ist nichts gewonnen für den Hamburger SV.

Nürnberger Fans beschimpften Mannschaft

Nürnberg glaubt nicht mehr an sich

Es war ein geradezu paradoxer Moment, als die Nürnberger Mannschaft auf die Stadionecke mit den eigenen Fans zuschritt, auf Menschen, die Fäuste durch die Luft wirbelten, die schimpften, die Becher warfen und ein großes Transparent entrollt hatten. „Manchmal hasst man das, was man doch liebt!“, war dort zu lesen. In gebührender Entfernung ließen die abgestürzten Helden die Schmähungen über sich ergehen, während sie vom Rest der Arena mit warmem Trost überschüttet wurden.

„Der FCN steigt wieder auf“, sang der königsblaue Teil des Publikums, der eine Fanfreundschaft mit den Franken unterhält. Selten wurde ein Gegner derart pietätvoll in den Abgrund begleitet. Dass dieser achte Abstieg des fränkischen Traditionsvereins sportlich in Ordnung geht, war aber auch den mitfühlenden Schalkern nicht verborgen geblieben. Wieder einmal ist der 1. FC Nürnberg chancenlos gewesen, am Ende verloren sie mit 1:4, vorne waren sie zu harmlos, hinten zu inkonsequent. „Wenn man sieht, dass der HSV mit 27 Punkten in die Relegation geht, dann weiß man, dass wir verdient abgestiegen sind“, resümierte Per Nilsson. Irgendwie war diese Mannschaft schon vor dieser finalen Chance tot, die sieben Niederlagen in Serie am Saisonende sind ein eindrucksvoller Beleg für diese Annahme.

Und die verheerende Gesamtbilanz lasse sich auch „nicht mit Pech, Schiedsrichterentscheidungen oder den vielen Pfostenschüssen erklären“, meinte Nilsson, die Mannschaft habe einfach versagt. Natürlich kann man nun fragen, ob die beiden Trainerentlassungen von Michael Wiesinger und Gertjan Verbeek klug waren, besonders die Beförderung von Roger Prinzen, der während der drei letzten Spieltage auf der Bank saß, blieb ohne die erhoffte Wirkung. Aber mit solchen Überlegungen wollte sich Martin Bader, der Hauptverantwortliche Sportchef, im Augenblick der Trauer nicht beschäftigen. „Ich bin einfach nur leer“, sagte der Mann, der zuletzt selbst in den Fokus der Kritik geraten ist. Der Aufsichtsrat hat jedoch bereits signalisiert, dass Bader im Amt bleiben darf, die meisten seiner Entscheidungen waren ja gut begründet und nachvollziehbar.

In Nürnberg sind keine katastrophalen Fehler gemacht worden, vielmehr ist eine mächtige Dynamik des Niedergangs entstanden, die sich nur ganz schwer bis ins letzte Detail erklären lässt. „Jetzt geht es bei uns erst einmal darum, die sportliche Führung breiter aufzustellen“, sagte Martin Bader. Offenkundig lautet eine Erkenntnis dieser Saison, dass mehr sportliche Kompetenz in der Clubführung hilfreich sein könnte.

Braunschweigs Fans sind erstklassig

Fans feiern trotz Abstieg

Als ihr einjähriges Intermezzo in der ersten Liga beendet war, als finalen Tusch sozusagen, da bekamen die Eintracht-Spieler vom eigenen Anhang gelbe Rosen überreicht. Für jeden Akteur gab es eine Blume. „Und zwar Rosen ganz ohne Dornen“, wie der Braunschweiger Trainer Torsten Lieberknecht nach dem 1:3 in Hoffenheim noch verriet, während sich sein Spieler Mirko Boland verdutzt den Hinterkopf rieb: „Wir sind abgestiegen – und die Fans feiern uns, als hätten wir Unglaubliches geleistet.“

6000 Eintracht-Anhänger (Motto: „Einmal Löwe, immer Löwe!“) hatten in der Südkurve der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena zunächst eine imposante gelbe Wand gebildet. Ein Sieg hätte nach Lage der Dinge ja gereicht, und Braunschweig, an 31 von 34 Spieltagen Tabellenletzter, wäre an Hamburg und Nürnberg vorbeigezogen und hätte die Klasse über die Relegation auf fast wundersame Weise doch noch halten können. Doch dafür, das wusste hinterher auch die Leverkusen-Leihgabe Karim Bellarabi, waren die Niedersachsen in der Realität personell einfach zu dünn bestückt: „Wenn du von den letzten fünf Spielen keines gewinnst, dann reicht es eben nicht“, sagte Bellarabi, der rechte Offensivmann, dessen individuelle Klasse keiner der Braunschweiger Kollegen erreichte.

Ballsichere Spieler

Gegen den Hoffenheimer Hochgeschwindigkeits-Fußball, den die Herren Kevin Volland, Roberto Firmino und Sebastian Rudy an guten Tagen zelebrieren, da wirkten die Braunschweiger Spieler wie der tapfere Ex-VfB‘ler und Innenverteidiger Ermin Bicakcic zuweilen hölzern und andere, wie der Offensivkollege Havard Nielsen, eben zweitklassig. Die ballsichere, schnellere und athletischere TSG hatte vor mit 30 150 Besuchern ausverkauftem Haus sofort mehr vom Spiel, und machte so zwangläufig auch die Tore durch einen Kopfball von Sebastian Rudy (15.) zum 1:0, durch einen tollen Volley von Firmino (64.) zum 2:0 und durch einen Abstauber von Volland zum 3:0 (70.).

„Wir wollten uns eigentlich erst in der zweiten Liga etablieren“, sagte Torsten Lieberknecht, der mit der Eintracht von 2008 an einen beeindruckenden Aufstieg von der Regionalliga bis in die Bundesliga hingelegt hatte. Jetzt, so fand der Trainer, habe man gesehen, wie „schön und wie schwer“ es in der ersten Liga sei. Bezeichnenderweise rutschte Jan Hochscheidt aus, während ihm mit dem 1:3 (88.) der vorerst letzte Erstligatreffer der Eintracht gelang. „Der Verein ist aber gefestigt“, sagte Lieberknecht. Soll heißen: Mit dem Deutschen Meister von 1967 ist nun in der zweiten Liga zu rechnen. Das sieht auch Mirko Boland so, der erst neulich nach bisher 180 Einsätzen für die Eintracht um drei Jahre bis 2017 verlängert hat. „Als ich unsere Fans heute nach dem Abstieg habe feiern sehen“, sagte der beeindruckte Mittelfeldspieler: „Da wusste ich, dass das die richtige Entscheidung war.“

Grenzenloser Jubel in Paderborn

Als für den SC Paderborn das irre Fußball-Märchen wahr wurde, da warfen sich die Spieler allesamt vor Freude zu einem Haufen übereinander. Mit dem 2:1 (2:1) über den VfR Aalen machte der Provinzclub aus Ostwestfalen einen der ungewöhnlichsten Aufstiege der Bundesligahistorie perfekt. Das Team von Trainer André Breitenreiter wahrte vor 15 000 Zuschauern in der ausverkauften Benteler-Arena dank der Tore von Marc Vucinovic (14. Minute) und Mario Vrancic (21.) den Zwei-Punkte-Vorsprung auf die SpVgg Greuther Fürth, die mit 2:0 gegen den SV Sandhausen gewann. Paderborn wird damit zum 53. Debütanten im Oberhaus. Den Führungstreffer für die Gäste erzielte Joel Pohjanpalo (9.).

Wundertüte Paderborn

Die Erfolgsstory überrascht selbst die kühnsten Optimisten. Trotz eines geringen Etats von nur 6,2 Millionen Euro sicherte sich Paderborn hinter dem 1. FC Köln den zweiten Tabellenplatz. Ein starker Saison-Endspurt mit zuletzt nur einer Niederlage in zehn Spielen ebnete dem Verein den Weg ins Glück.

Auch im vorerst letzten Zweitliga-Spiel erwies sich die Mannschaft des ehemaligen HSV-Profis André Breitenreiter als nervenstark und steckte den Rückstand durch den Finnen Pohjanpalo schnell weg. Fünf Minuten später bereitete Vrancic den Ausgleich durch Vucinovic vor, danach vollendete er selbst zum 2:1. Es war zugleich der Endstand, um den Paderborn in Hälfte zwei aber bis zum Abpfiff gegen engagierte Aalener zittern musste.