Sehr knapp ist Richard Pitterles Einzug vor vier Jahren in den Bundestag gewesen. Seine Chancen auf eine Wiederwahl sieht er positiv. Er hat einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste
Sindelfingen - Wie wohnt ein bekennender Linker, der sich als Anwalt der Armen versteht? Als Mieter in einer Plattenbausiedlung? So etwas gibt es kaum in Sindelfingen. Eine gehobene Landhausvilla oder schicke Stadtwohnung hat Richard Pitterle, seit vier Jahren Bundestagsabgeordneter der Linken für den Kreis Böblingen, aber auch nicht. Das wäre auch unpassend. Er lebt in einer Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus am Rand des Stadtteils Eichholz. Nicht weit von hier, in der Watzmannstraße, ist er aufgewachsen – keine Gegend, in der Begüterte leben. Elf Jahre war er alt, als er aus Tschechien nach Sindelfingen kam, die Familie durfte als Spätaussiedler einreisen. Die Eltern arbeiteten beim Daimler.
Mit elf kommt der Umzug in die Fremde
Die Erfahrung des Neubeginns in einem fremden Land und einem komplett anderen System habe ihn geprägt, sagt Pitterle. Deshalb fühle er sich innerhalb der Partei der Linken auch eher dem ostdeutschen Flügel zugehörig, dessen Mitglieder die Erfahrung eines Systemwechsels teilten.
Eher ost- als westdeutsch ist auch sein Lebensweg. Er heiratete früh, wurde bereits mit 22 Jahren Vater. „Meine Frau hat als Lehrerin den Familienunterhalt verdient, ich habe unsere Tochter betreut, gleichzeitig in Tübingen Jura studiert.“ In den Semesterferien jobbte er bei Daimler.
Anwalt wollte er werden. „Die Werke von Karl Liebknecht haben dafür den Ausschlag gegeben“, sagt der 54-Jährige, der sehr belesen ist. Deshalb gehört auch seine Urlaubslektüre, zu den drei Gegenständen, die er auf unseren Wunsch hin als für ihn wichtig ausgewählt hat. Der Kochlöffel steht für sein Hobby Kochen, der Plattenkoffer für seine Salsa-Leidenschaft. Pitterle ist ein ausgezeichneter Salsa- und Tangotänzer. Damit baue er Stress ab, so der Parlamentarier. Gelegentlich lege er auch als DJ lateinamerikanische Rhythmen auf.
Sein Berufswunsch erfüllte sich. Der Jurist Pitterle spezialisierte sich auf Arbeitsrecht: „Es ist sehr befriedigend, wenn man Menschen helfen kann, ihnen bei Kündigung eine Abfindung erstreitet.“ Die Arbeit als Bundestagsabgeordneter in der Opposition sei nicht immer so zufriedenstellend. „Woran macht man den Erfolg fest, wenn alle Anträge, egal wie gut, grundsätzlich von den anderen Parteien abgeschmettert werden“, fragt er. Akzente habe seine Partei trotzdem gesetzt. „Vor vier Jahren wurden wir ausgelacht, als wir für einen Mindestlohn eintraten. Heute fordert dies auch die SPD, und sogar in der CDU wird darüber diskutiert.“ Als persönlichen Erfolg verbucht Pitterle es, wenn ihn Bürger und Kommunalpolitiker aus dem Kreis um Hilfe bei konkreten Projekten bitten – zum Beispiel für den Ausbau der Altdorfer Kreuzung. Dabei arbeitet er auch mit seinen Wahlkreiskollegen von der CDU und FDP zusammen. Mit dem CDU-Abgeordneten Clemens Binninger ist er per Du.
Als Stadtrat ist er in Sindelfingen bekannt
Überhaupt sind ideologische Grabenkämpfe nicht Pitterles Sache. Auch im Sindelfinger Gemeinderat, in dem er als einziger Linker sitzt, hat er keine Scheu, bei Entscheidungen, die ihm vernünftig erscheinen, auch mal mit den Freien Wählern oder der CDU zu stimmen.
Populär sei er im Kreis sowieso mehr als Stadtrat denn als Bundestagsabgeordneter, sagt Pitterle. Samstags, wenn er auf dem Markt die Zutaten für sein abendliches Menü einkaufe („meine Spezialität ist Fisch“), werde er öfters auf Sindelfinger Themen angesprochen. „Manchmal wissen die Leute gar nicht, dass ich auch im Bundestag sitze.“ Seine Popularität als Stadtrat liegt sicher auch daran, dass der als sehr fleißig bekannte Abgeordnete so gut wie keine Sitzung des Gemeinderats und dessen Ausschüsse verpasst, und dafür oft mehrmals pro Woche zwischen Berlin und Sindelfingen mit dem Flieger hin- und herjettet. Im Wahlkampf ist er vor allem mit einem feuerroten Fahrrad unterwegs, das er mit ein paar Handgriffen zu einen mobilen Infostand umbauen kann.
Wie schätzt er seine Chancen auf eine Wiederwahl ein? Die seien nicht schlecht. Immerhin steht er auf Platz vier der Landesliste. Zu Gute komme ihm wohl auch das neue Wahlrecht, hofft Pitterle. „Obwohl wir dagegen gestimmt haben, weil damit das Parlament riesig wird.“