Im Stuttgarter Wahlkreis I, wo Stefan Kaufmann (CDU) und Cem Özdemir (Grüne) fast gleichauf liegen, zählt jede Stimme. Hinter den Kulissen wird darüber diskutiert, ob die SPD dem grünen Direktkandidaten mit Erststimmen unter die Arme greifen sollte.

Stuttgart - Für die im Bundestagswahlkampf um die wahlberechtigten Stuttgarter ringenden Parteien geht es um jede Stimme. Das gilt vor allem im Wahlkreis I (Süd), wo Stefan Kaufmann (CDU) und Cem Özdemir (Grüne) fast gleichauf liegen. Im Blick auf dieses Duell wird hinter den Kulissen darüber diskutiert, ob die SPD dem grünen Direktkandidaten Özdemir mit Erststimmen aus dem sozialdemokratischen Lager unter die Arme greifen sollte, um den knappen Vorsprung des CDU-Kontrahenten Kaufmann zu eliminieren.

 

Ute Vogt kämpft in ihrem Wahlkreis I um Erst- und um Zweitstimmen“, stellt Matthias Schrumpf, Manager der SPD-Direktkandidatin, offiziell fest. Nach Ansicht von Wahlforschern liegt Vogt allerdings weit hinter Kaufmann und Özdemir zurück, die sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern und mit 34 und 32 Prozent in der Prognose eines Hamburger Instituts dicht beieinander liegen. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte Kaufmann noch mit 4,5 Prozentpunkten einen deutlichen Vorsprung vor dem grünen Konkurrenten für sich verzeichnet. Vogt landete damals mit 18 Prozent weiter hinten – die aktuelle Prognose der Wahlforscher sieht für sie bis jetzt auch nicht besser aus.

Gemeinsamer Auftritt von Vogt und Özdemir

Tatsächlich könnte mancher SPD-Sympathisant in dieser Situation darüber nachdenken, wie die Erststimme „gewinnbringender“ zu nutzen sein könnte. „Rot und Grün – gemeinsam ist der Wechsel möglich“, heißt es schließlich auch auf Vogts Internetseiten. Und am 10. September will die SPD-Kandidatin mit Özdemir um 19.30 Uhr in der Alten Scheuer in Degerloch abends über „das gemeinsame rot-grüne Projekt“ diskutieren.

„Wir und die Grünen führen natürlich einen partnerschaftlich geprägten Wahlkampf“, stellt der Vogt-Helfer Schrumpf klar. Schließlich wolle man gemeinsam den Politikwechsel in Berlin schaffen. „Das bedeutet aber nicht, dass wir Erststimmen verschenken, das sind Fehlinterpretationen“, schränkt Schrumpf ein. „Es existieren keine Absprachen für eine Erststimmenkampagne. Es gibt ja schließlich auch noch deutliche Unterschiede zwischen Rot und Grün.“

E-Mail an die SPD-Basis soll für Klarheit sorgen

Trotzdem hat die Kandidatin Vogt vorsorglich und in Absprache mit dem SPD-Kreisvorsitzenden Dejan Perc eine erklärende E-Mail an die Basis verschickt. „Wir machen keine Erststimmenkampagne für andere“, schreibt sie an die „lieben Genossinnen und Genossen“ in Stuttgart, die sich nicht durch wilde Spekulationen verunsichern lassen sollten. Es gebe in ganz Baden-Württemberg auch keine Empfehlung der Grünen für die SPD. „Nicht einmal im Wahlkreis Stuttgart II, was ja naheliegend gewesen wäre.“ Dort tritt Birgitt Bender für die Grünen an. Die Gesundheitspolitikerin ist über die Landesliste ihrer Partei abgesichert, während der SPD-Kandidat Nicolas Schäfstoß nur über das Direktmandat nach Berlin ziehen könnte.

Auch der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc hält Äußerungen zum Thema Erststimme für nicht glücklich. Trotz aller engen Prognosen gebe es im Wahlkreis I keine Hilfestellung für den grünen Partner. „Andernfalls hätte es, wie bei der OB-Wahl, bei uns einen entsprechenden Beschluss im Kreisvorstand geben müssen“, sagt Perc. Man kämpfe schließlich mit offenem Visier. Im Oktober 2012 hatte der SPD-Kreisvorstand im zweiten Wahlgang eine Empfehlung für den grünen OB-Kandidaten Fritz Kuhn beschlossen.

Informelle Gespräche im Vorfeld des Wahlkampfs

Wenn die Dinge im Vorfeld der Bundestagswahl allerdings etwas anders gelaufen wären, dann hätte es durchaus in beiden Stuttgarter Wahlkreisen eine Kampagne für Erststimmen geben können. „Entsprechende Gedankenspiele“ zwischen Rot und Grün seien allerdings „nicht über das Stadium informeller Gespräche“ hinausgekommen, ist bei den Sozialdemokraten zu hören. Leider habe dabei das Prinzip Leistung und Gegenleistung nicht gestimmt. Bei einer SPD-Kampagne für Özdemir hätten die Grünen im Wahlkreis II für Nicolas Schäfstoß werben müssen, heißt es.

Hilfe für den politischen Partner

OB-Wahl in Karlsruhe
Im OB-Wahlkampf haben sich die Sozialdemokraten und die Grünen nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Karlsruhe unterstützt. Dort wurde im vergangenen Jahr SPD-Kandidat Frank Mentrup zum Oberbürgermeister gewählt. Er setzte sich mit gut 55 Prozent durch, sein CDU-Kontrahent Ingo Wellenreuther erreichte 35 Prozent. Mentrup war es gelungen, neben den Grünen auch die Unterstützung der Piratenpartei und der Karlsruher Liste (KAL) zu erhalten.

Prominente Helfer
Um die CDU nach 42 Jahren im Karlsruher Rathaus abzulösen, engagierten sich auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sowie Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) im Karlsruher OB-Wahlkampf und lobten Mentrup als richtigen Kandidaten. Bis zum Sieg des SPD-Mitglieds war Karlsruhe in Baden-Württemberg die letzte OB-Domäne der CDU in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Für die Stuttgarter SPD war der Sieg in Karlsruhe ein Trost nach dem schwachen Abschneiden bei der OB-Wahl in der Landeshauptstadt.