Kurze Dialoge, eine lakonische Sprache und eine zweifelhafte Moral: Castle Freeman erzählt in „Der Klügere lädt nach“ von Männern, die sich ihre Gesetze selber machen. Georg Patzer hat das Buch für Killer & Co. gelesen und für gut befunden – wenn auch mit einer kleinen Einschränkung.

Stuttgart - Viel reden tun sie nicht. Viel handeln auch nicht. Wie das bei den drei Alten ist, weiß man nicht, beim Sheriff Lucian Wing ist es nicht nur Faulheit. Er hat inzwischen gelernt, dass es manchmal besser ist, man tut nichts, hat Geduld. Dass sich die Dinge dann doch ein bisschen von selbst regeln. Und dass die Probleme größer werden, wenn man sich einmischt. Aber manchmal muss man es eben doch.

 

So maulfaul ist diese „Fargo“-Gegend. Die Geschichte beginnt damit, dass er er ins Krankenhaus fährt, um Terry St. Clair zu besuchen. Der hing an zwei Infusionen: „In der einen war Blut, in der anderen hätte eine ordentlich Dosis Hirn sein sollen, aber wahrscheinlich enthielt sie bloß hauptsächlich Wasser.“ Sein linker Arm endete jetzt etwa zehn Zentimeter über dem Handgelenk. Terry war ein Kleinkrimineller, der nicht viel gelernt hatte, außer, dass man nicht mit Bullen redet. Und so meinte er, er habe Heu gemacht: „Bin mit der Hand in die Presse gekommen.“ Auf die ungläubige Nachfrage nickt er nur. „,Mitten in der Nacht?‘ wieder sah Terry mich an. Es war ein langer Blick. ‚Genau‘, sagte er.“

Den Sheriff auf dem Kieker

Wer aber richtig nervt, ist Stephen Roark, „der Vorsitzende“. Den Vorsitz über den Gemeinderat hat er erst vor kurzem übernommen, er ist auch kein Alteingesessener, sondern ein Pensionär, der in die Gegend gezogen ist. Früher war er im Pentagon tätig. Mischt sich in alles ein, weiß alles besser, und jetzt hat er den Sheriff auf dem Kieker.

Und dann ist Terry verschwunden. Wing findet ihn, ohne sich groß anzustrengen, später noch einmal, aber es ist nichts aus ihm herauszukriegen, auch nicht aus seinen Eltern. Nicht einmal, als sein neuer Deputy Gilfeather, eine schießwütige Frau, die bei den Marines war und von der Wing meint, „dass weibliches Einfühlungsvermögen womöglich nicht zu ihren Stärken gehört. Vielleicht ist das Schwesterliche in ihr nicht besonders ausgeprägt, vielleicht fehlt ihr einfach die Begabung dafür.“

Die Alten nehmen die Sache in die Hand

Und dann verliert Nelson Butterfield ein Auge. Und verschwindet spurlos. Auch er ein Tunichtgut, nicht ganz so schlimm wie Terry, aber auch nicht viel besser. Und dann verliert Roark die Nerven und verlangt eine Untersuchung gegen den Sheriff, warum der nichts tut. Und holt Unterstützung vom Büro des Gouverneurs in die Provinz. Und dann nehmen die drei Alten, Cola, Homer und Ex-Sheriff Wingate, die Sache in die Hand. Und es stellt sich heraus, dass sie das immer schon gemacht haben.

Alle ein bisschen außer der Spur

Castle Freeman ist berühmt für seine lakonischen Romane, die ein bisschen wie Wildwest-Kaurismäki-Filme klingen: düstere Charaktere, die nicht viel reden, eine irgendwie neblig-schaurig-melancholische Atmosphäre, aufrechte, wenn auch moralisch nicht immer einwandfreie Männer und natürlich die Frauen, die auch nicht so ganz normal sind: Wings Mutter, Wings Frau und Wings Deputy - alle ein bisschen außer der Spur. Wings Mutter fängt an, mit ihrem verstorbenen Mann zu reden und zieht zu einem ehemaligen Liebhaber von ihr, im Koffer nur eine Riesenkollektion Schlafhemden; Wings Frau Clemmie, die ihn rausgeworfen und sich einen Liebhaber genommen hat, der jetzt bei ihr wohnt (Wing schläft im Büro); Wings Deputy, die natürlich ein Auge auf ihn geworfen hat und gern mehr von sich auf ihn werfen würde.

Freeman kann in nur wenigen Worten seine Helden präzise umreißen, sodass man sie direkt vor Augen hat. In kurzen Dialogen erschafft er eine innere und äußere Welt, wie ich es hierzulande nur von Christiane Geldmacher kenne.

Das ist alles präzise geschrieben und macht auch Spaß zu lesen, auch die Eheprobleme der beiden Wings, die Versuche des Schwiegervaters, ihnen zu helfen - aber natürlich will er sich nicht einmischen. Wings Versuche, den Kontakt mit Clemmie möglichst zu meiden, aber ihr dennoch ein bisschen hinterherschnüffelt und ihr die Fenster repariert und mit der Katze redet.

Dennoch bleibt ein unguter Geschmack zurück. Denn das Verschwinden der drei Männer (auch Clemmies neuer Lover verschwindet plötzlich auf Nimmerwiedersehen) ist das Werk der drei Alten. Systematisch „reden“ sie mit den Nichtsnutzen, die sie in ihrer Gegend nicht haben wollen. Und diesmal hilft Wing ihnen sogar: Er erschießt Roark, den die Alten in eine Falle gelockt haben. Und der Untersuchungsbeamte stellt trotz einiger Indizien für den Mord die Ermittlungen ein, weil Roark „ein Arschloch“ gewesen ist, um den es nicht schade sei.

Das Buch ist wirklich gut und spannend zu lesen, es hat viel Witz, und mit dem Ich-Erzähler Wing entwickelt man schnell Sympathie. Niemandem ist zu trauen, nicht einmal der eigenen Mutter. Aber diese Art von Selbstjustiz, die er da unternimmt? Regelt man die Dinge so in Vermont und umgebenden Staaten? Macht man das auch mit Schwulen und Schwarzen und Linken? Da ist es kein Wunder, dass Trump Präsident geworden ist.

Castle Freeman: Der Klügere lädt nach. Roman. Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Verlag Nagel & Kimche. 202 Seiten, 19 Euro