Kultur: Stefan Kister (kir)

Damit freilich ist die Brücke geschlagen von Calw nach New York, wo Uljana Wolf am Telefon davon erzählt, wie in ihren Gedichtbänden die Materialität der Sprache den Aufstand probt. Sie ist mit dem von ihr auch übersetzten Autor Christian Hawkey verheiratet, unterrichtet am New Yorker Pratt Institute Deutsch, und nährt mit ihren Gedichtbänden „Falsche Freunde“ und zuletzt „Meine schönste Lengevitch“ den Verdacht, ihre Schüler könnten einer durchaus eigentümlichen Ausprägung der deutschen „Lengevitch“ ausgesetzt sein. Denn hier wird „gebubbelt und gebabelt“, dass die Schwarte kracht. Wie Kassiber schmuggeln ihre Texte Bedeutungen über die Sprachgrenzen hinweg. Was Esther Kinsky in den Schwemmgebieten der Unordnung sucht, findet Uljana Wolf in dem unsicheren Grund, wo Ähnlichkeiten im Klang und Bau der Wörter ineinandergleiten und zu Gegensätzen werden.

 

Ihre Gedichte, die häufig in Prosa notiert sind, und bisweilen wie Weberschiffchen auch typografisch eine Textur aus Bewusstseinsfäden bilden, inspiriert nicht Natur, sondern der Hip-Hop auf den Straßen der amerikanischen Metropole, das magische Märchen-„Bricklebritt“ ihrer Herkunft, das versammelte Wissen eines literaturwissenschaftlichen Studiums, und das Gebabbel ihrer kleinen Tochter. „Ich hatte eine Schreibblockade, während mein Kind zu babbeln begann, die Gleichzeitigkeit beider Phänomene hat mich fasziniert, das Verstummen und der unwillkürliche Sprachfluss.“

In dieser Zeit hat sich Wolf mit dem Sprachwissenschaftler Roman Jakobson befasst, der nachgewiesen hat, dass Kinder in der Babbelphase die Laute aller Sprachen mit ihren Mundwerkzeugen bilden können: erst mit dem Erwerb der Muttersprache werde jene universale Fertigkeit verlernt. Alles Sprechen baut auf einem Vergessen auf. Wolfs Schreiben erinnert sich zurück, und führt das anarchische Spielpotenzial frühkindlicher Lautpoesie ihren Gedichten zu.

Am heftigsten schlägt das Herz am Rand

„Mappa“ ist ein Text überschrieben, der die Frage nach dem Wohnort wie auf Trittsteinen vom Bedeutungsfeld des englischen „map“, über das der Spiel- und Landkarte, bis in die Heimat des Schreibwerkzeugs, das Mäppchen, trägt. „Meine schönste Zeit im Englischen war jene der sogenannten falschen Freunde“, erzählt Wolf. So nennt man Wörter, die sich unter den Sprachen zu ähneln scheinen, aber eine unterschiedliche Bedeutung angenommen haben. „Menschen aus demselben Sprachkreis verstehen sich wunderbar über ihre Fehler, viele sagen zum Beispiel im Englischen statt ,map‘ für Landkarte ,card‘. Nicht-Muttersprachler übernehmen das, so wird das Englische am Ende wieder mehrsprachig und der globale Hegemonieanspruch der ,lingua franca‘ ausgehöhlt.“

In den partisanenhaften Sprachspielen Uljana Wolfs und in den Grenzüberschreitungen Esther Kinskys gebiert die strenge Konzentration auf die Materialität der Wörter das Politische. Beide untergraben je auf ihre Weise damit auch die nationalistischen Abschottungsversuche, mit der man nicht nur in der osteuropäischen Region, aus der ihre Vorfahren einmal aufgebrochen sind, auf die Wanderungsbewegungen unserer Tage reagiert. Sie erinnern, dass das Herz am heftigsten am Rand schlägt, nicht in der Mitte.

Zur gutgemeinten Folklore des Chamisso-Preises zählt das Bild des Brückenbauers. Doch mit sanfter Entschiedenheit weist Kinsky in ihrem Übersetzungs-Essay „Fremdsprechen“ jenen Gestus zurück. „Ich bin keine Vermittlerin zwischen den Kulturen“, sagt sie. „Mich interessiert die Materialität von Sprachen, was man mit ihnen machen kann, welche Mittel sie finden, um Dinge auszudrücken, wie sie unseren Horizont erweitern.“

Aus falschen werden echte Freunde

Damit freilich ist die Brücke geschlagen von Calw nach New York, wo Uljana Wolf am Telefon davon erzählt, wie in ihren Gedichtbänden die Materialität der Sprache den Aufstand probt. Sie ist mit dem von ihr auch übersetzten Autor Christian Hawkey verheiratet, unterrichtet am New Yorker Pratt Institute Deutsch, und nährt mit ihren Gedichtbänden „Falsche Freunde“ und zuletzt „Meine schönste Lengevitch“ den Verdacht, ihre Schüler könnten einer durchaus eigentümlichen Ausprägung der deutschen „Lengevitch“ ausgesetzt sein. Denn hier wird „gebubbelt und gebabelt“, dass die Schwarte kracht. Wie Kassiber schmuggeln ihre Texte Bedeutungen über die Sprachgrenzen hinweg. Was Esther Kinsky in den Schwemmgebieten der Unordnung sucht, findet Uljana Wolf in dem unsicheren Grund, wo Ähnlichkeiten im Klang und Bau der Wörter ineinandergleiten und zu Gegensätzen werden.

Ihre Gedichte, die häufig in Prosa notiert sind, und bisweilen wie Weberschiffchen auch typografisch eine Textur aus Bewusstseinsfäden bilden, inspiriert nicht Natur, sondern der Hip-Hop auf den Straßen der amerikanischen Metropole, das magische Märchen-„Bricklebritt“ ihrer Herkunft, das versammelte Wissen eines literaturwissenschaftlichen Studiums, und das Gebabbel ihrer kleinen Tochter. „Ich hatte eine Schreibblockade, während mein Kind zu babbeln begann, die Gleichzeitigkeit beider Phänomene hat mich fasziniert, das Verstummen und der unwillkürliche Sprachfluss.“

In dieser Zeit hat sich Wolf mit dem Sprachwissenschaftler Roman Jakobson befasst, der nachgewiesen hat, dass Kinder in der Babbelphase die Laute aller Sprachen mit ihren Mundwerkzeugen bilden können: erst mit dem Erwerb der Muttersprache werde jene universale Fertigkeit verlernt. Alles Sprechen baut auf einem Vergessen auf. Wolfs Schreiben erinnert sich zurück, und führt das anarchische Spielpotenzial frühkindlicher Lautpoesie ihren Gedichten zu.

Am heftigsten schlägt das Herz am Rand

„Mappa“ ist ein Text überschrieben, der die Frage nach dem Wohnort wie auf Trittsteinen vom Bedeutungsfeld des englischen „map“, über das der Spiel- und Landkarte, bis in die Heimat des Schreibwerkzeugs, das Mäppchen, trägt. „Meine schönste Zeit im Englischen war jene der sogenannten falschen Freunde“, erzählt Wolf. So nennt man Wörter, die sich unter den Sprachen zu ähneln scheinen, aber eine unterschiedliche Bedeutung angenommen haben. „Menschen aus demselben Sprachkreis verstehen sich wunderbar über ihre Fehler, viele sagen zum Beispiel im Englischen statt ,map‘ für Landkarte ,card‘. Nicht-Muttersprachler übernehmen das, so wird das Englische am Ende wieder mehrsprachig und der globale Hegemonieanspruch der ,lingua franca‘ ausgehöhlt.“

In den partisanenhaften Sprachspielen Uljana Wolfs und in den Grenzüberschreitungen Esther Kinskys gebiert die strenge Konzentration auf die Materialität der Wörter das Politische. Beide untergraben je auf ihre Weise damit auch die nationalistischen Abschottungsversuche, mit der man nicht nur in der osteuropäischen Region, aus der ihre Vorfahren einmal aufgebrochen sind, auf die Wanderungsbewegungen unserer Tage reagiert. Sie erinnern, dass das Herz am heftigsten am Rand schlägt, nicht in der Mitte.