Die Bundesliga ist mit vier Vereinen so stark wie nie zuvor im Achtelfinale der Champions League vertreten. Doch lässt sich daraus schon eine Dominanz auf Europas Fußballbühne ableiten?

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Der erste Weg hat Kevin Großkreutz zu sich selbst geführt. Dorthin, wo diejenigen stehen, die so fühlen wie er; die Borussia Dortmund ebenso im Herzen wie auf der Haut tragen. In die Fankurve. Dort hat Großkreutz, dessen Wade eine Tätowierung der Dortmunder Skyline ziert, nach seinem späten Siegtor in Marseille seine Freude und Erleichterung hinausgeschrien. Tausendfach verstärkt hat es zurückgehallt. Und der schwarz-gelbe Mann für alle Fälle wusste auch, wie sein Auftrag nach dem Schlusspfiff lautete: „Ich gehe jetzt in die Kabine – Stimmung machen.“

 

Der BVB hat allen Grund zur Freude, weshalb der Trainer Jürgen Klopp die „Happy Hour“ im Hotel ausrief. Schließlich kam der Verein dank des 2:1-Erfolges weiter und komplettierte das Bundesligaquartett im Achtelfinale der Champions League. Das ist eine bislang einmalige Konstellation für den deutschen Fußball. In den Spieljahren 1997/1998, 2003/2004 und 2012/2013 erreichten jeweils drei Bundesligisten die Runde der besten 16 europäischen Teams. Mit Borussia Dortmund und Schalke 04 sowie zuvor dem FC Bayern und Bayer Leverkusen sind es nun erstmals vier.

Zeichen einer Zeitenwende auf Europas Bühne?

Diese Entwicklungskurve dient als Beleg für die neue Stärke der deutschen Eliteklasse, die zuletzt im Champions-League-Finale zwischen dem FC Bayern und dem BVB gipfelte. Doch ob sich darin auch die Zeichen einer Zeitenwende auf der europäischen Fußballbühne ablesen lassen?

Franck Ribéry findet das auf jeden Fall. „Die Bundesliga dominiert zurzeit in Europa“, sagt der französische Ausnahmekönner in Münchner Diensten. Ribérys Einschätzung wird von vielen Experten geteilt. Allerdings ist das so eine Sache mit den kategorischen Aussagen im Fußball. Sie sind mit Vorsicht zu genießen. Denn es ist davon auszugehen, dass genauso viele Fachleute (wenn nicht sogar dieselben) die Antithese vertreten hätten – und zwar dann, wenn Großkreutz der Schuss ins Glück nicht gelungen wäre. Dann hätte es wohl geheißen: die deutschen Clubs sind doch nicht so brillant, wie sie selbst meinen.

Freilich stecken in dieser Bewertung ein paar Konjunktive. Fakt bleibt, dass sich am zweiten Dortmunder Tor zeigt, wie nah Erfolg und Misserfolg beieinanderliegen. Großkreutz hat in der 87. Minute den Ball nicht einmal richtig getroffen, es war ein Murmeltor. Ein verdientes aber allemal. Wenngleich es in die ebenfalls einmalige Situation mündete, dass der SSC Neapel mit zwölf Punkten in der Vorrundengruppe F scheiterte – während Zenit St. Petersburg in Gruppe G sechs Zähler zum Einzug ins Achtelfinale reichten.

Eine neue Ära?

Eine Viertelstunde lang durfte sich Neapel im edlen Kreis der K.-o.-Runden-Teilnehmer wähnen. Oder nur ein Törchen mehr gegen FC Arsenal (2:0) – und nicht die Italiener müssten aus der BVB-Gruppe in die ungeliebte Europa League hinabsteigen, sondern die Engländer. Doch nun stecken am nächsten Montag im schweizerischen Nyon neben vier Bundesligisten auch vier Clubs aus der Premier League sowie drei aus der spanischen Primera División in den Loskugeln der Uefa. Das sind im Augenblick die drei großen Ligen. Wobei die deutschen Vereine für sich in Anspruch nehmen können, den noch vor wenigen Jahren deutlichen Rückstand aufgeholt zu haben, auf internationaler Ebene sogar als Erfolgsmodell wahrgenommen zu werden. Fußballerisch und finanziell.

Bereits vor 200 Tagen, als der FC Bayern in London das Champions-League-Finale gewann, sagte der frühere englische Nationalstürmer Alan Shearer eine Münchner Alleinherrschaft voraus: „Ich denke, die Bayern sind im Begriff, Europa für mindestens fünf Jahre zu regieren.“ Das wäre länger, als es dem FC Barcelona (2008 bis 2012) als letztem weltweit stilbildendem Club vergönnt war. Und auf jeden Fall lang genug, um von einer neuen Ära zu sprechen.

Auswirkungen auf nationaler Ebene

Schon jetzt profitieren die Münchner davon, dass sie im Vergleich zu anderen Nobelmarken ohne Schulden und ohne Investoren hervorragend auskommen. Der Kader des Trainers Pep Guardiola sucht selbst im Luxussegment seinesgleichen. Weder der FC Barcelona noch Real Madrid oder Manchester United sind besser besetzt.

Der internationale Aufschwung führt jedoch auch dazu, dass die Bayern national als nahezu unantastbar gelten. Leverkusen und Dortmund sind dann, wenn man so will, „the best of the rest“; und schon dahinter tut sich eine immer größere Kluft auf. Was vor allem die Schalker spüren. Die hochverschuldeten Königsblauen brauchen die zusätzlichen Einnahmen aus der europäischen Monetenliga. Mit mehr als 20 Millionen Euro können die vier Bundesligisten schon jetzt rechnen – ein Betrag, der es ihnen wiederum erleichtert, sich vom hiesigen Ligamittelmaß abzusetzen.

Entsprechend groß war im Revier auch auf königsblauer Seite die Erleichterung nach dem notwendigen Sieg gegen den FC Basel. Wobei dieses 2:0 ebenfalls eine rekordverdächtige Dimension enthält. Das sechsköpfige Schiedsrichtergespann um den Italiener Paolo Tagliavento übersah vor dem zweiten Tor durch Joel Matip, dass gleich vier Schalker überdeutlich im Abseits standen. Einmalig auf diesem Niveau.