Als Currentzis 2014 als Gast am Pult des Staatsorchesters stand, hat er dem letzten Satz von Tschaikowskys sechster Sinfonie, der „Pathétique“, trotz extremer Tempi zu genau jenes ganz persönliche Requiem implantiert, der dem Komponisten vorgeschwebt haben dürfte. Damals noch mit Zopf am Hinterkopf (heute trägt man die Haare eher kurz), stoppte, staute und beschleunigte der Dirigent den musikalischen Fluss in diesem Werk derart, dass man nur staunen konnte über die hohe Kunst und Disziplin des Orchesters, die in ebenso präzise gesetzten wie dramatisch packenden, wirklich unerhört wirkenden Klangmomenten gipfelte.

 

Teodor Currentzis ist ein Mann des Feuers und des trotzigen Eigensinns. Bei ihm hat alles Spannung, und jeder Takt, jeder Klang will Ereignis sein: ein Individuum. „Entscheidend ist es nicht, ein Stück zu studieren, sondern sich selbst lesen zu lernen“: Diesen Satz hat er gesagt, als er noch Chefdirigent an der Oper von Nowosibirsk war, in deren oberstem Stockwerk er damals wohnte; wenn er dann von oben zur Premierenparty im Dirigentenzimmer herunterstieg, wandelte er sich im Handumdrehen vom Einsiedler zum Lebemann der Kunst. Das steckt nämlich beides in ihm. Natürlich, hat Currentzis damals eingeschränkt, müsse ein Dirigent sich nicht nur selbst lesen lernen“, sondern außerdem noch „andere glauben machen, dass das, was er liest, richtig ist“. Aber das sei eine Kleinigkeit - wenngleich eine wichtige, denn die meisten Instrumentalisten seien heute „musikalisch tot“, weil sie mit Noten und Partituren nichts wirklich Eigenes anzufangen wüssten.

Teodor Currentzis’ eigenes Ensemble ist eine Forschertruppe

Auch um dies zu ändern, hat der Dirigent sein eigenes Ensemble gegründet: MusicAeterna soll keine Puristen-Truppe sein, sondern eine Art offenes, undogmatisches, flexibles Forscherteam, das vor allem zwei herausragende Qualitäten hat: Instinkt und Wissen. „Wenn Musiker diese Eigenschaften nicht haben, machen sie denselben Job wie Fabrikarbeiter, und als Dirigent kann man keine Liebesbeziehung zu ihnen haben, sondern ist nichts anderes als ein pragmatischer, manchmal auch grausamer Vorarbeiter.“

Ab Ende 2018 wird sich herausstellen, ob auch die Beziehung von Teodor Currentzis zum SWR-Symphonieorchester eine Liebesbeziehung wird. Sein Vertrag geht (zunächst) über fünf Jahre und legt eine Präsenz von zehn bis zwölf Wochen (einschließlich Proben) pro Saison fest. Ende Juli ist der designierte Chef als Dirigent von Mozarts „La Clemenza di Tito“ bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele zu erleben, und im Januar 2018 wird er als Gast in Stuttgart und Freiburg Bruckners neunte Sinfonie dirigieren. Man darf und muss gespannt sein, bei Currentzis immer und sowieso.