Nicht nur in Peking oder anderen Metropolen, in ganz China wird Smog zum existenziellen Problem. Die Regierung hat das erkannt und plant gigantische Gegenmaßnahmen.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Tangshan - Herr Du war einmal in Deutschland, vier Monate lang. Hat geschaut, wie die Deutschen denn ihren Stahl härten, wie sie leben. Vor allem aber hat Herr Du geatmet. Ganz tief Luft geholt, jeden Tag. Er hat gen Himmel geschaut und gestaunt. Blau war er manchmal, manchmal auch grau. Aber nie sei er so gewesen „wie hier“, sagt er. Grün-gelb, rötlich, braun, dann und wann auch ein Mix aus allem. „Stinkendes Zeug.“ Eine gefährliche Mischung, die dem Chinesen, seit er klein ist, die Luft zum Atmen nimmt – weil „hier“ die Fabriken über die Jahre wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.

 

Stahl-, Zement- und Elektrizitätswerke säumen die Straße, mit Sand, Steinen und Kohle beladene, lange klapprige Lastwagen brettern über die Schlaglöcher, so manches Material landet da im gerade gefallenen Schnee. Die nassen Flocken binden den Staub in der Luft, der sich über die Provinz Hebei, die die chinesische Hauptstadt umgibt, ausbreitet. Den gefährlichen Smog, den „Dunst“, wie die Chinesen sagen, kann der Schnee nicht verdecken. An diesem Tag haben die Feinstaubwerte, die Ministäube von kleiner als 2,5 Mikrometer (PM 2,5), wieder einmal die Messskala gesprengt. Bis 500 reichen die Werte eigentlich. 25 hält die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits für grenzwertig. In Hebei klettert die Skala oft über 400, bei 115 liegt der Jahresdurchschnitt. Die Luft driftet nach Peking, hüllt die Hauptstadt regelmäßig in einen grauen, nach Kohle und Schwefel riechenden Schleier. Hebei ist gesegnet mit Kohle und Eisenerz. Ein Viertel des chinesischen Stahls wird hier produziert, 250 Millionen Tonnen im Jahr. Sieben der zehn schmutzigsten Städte Chinas liegen in der Region, in der mehr als 70 Millionen Menschen zu Hause sind. Die meisten leben vom Stahl. Leben in einer Luft, die sie schneller sterben lässt, auch Herrn Du.

Am Boden, im Wasser, in der Luft: die Umweltverschmutzungf ist allgegenwärtig. Foto: imagestate/Impact Photos

Shuidong, ein kleines Dorf mit ein paar schmalen Straßen, einigen Holzhütten und fünfstöckigen Steinhäusern. Hühner picken Maiskörner auf, ein Hund spielt in der Pfütze. Der Ort klebt regelrecht an der Industriestadt Tangshan, die vor bald 40 Jahren durch ein Erdbeben zerstört wurde und seitdem eine Fabrik nach der anderen eröffnet. Vor den Olympischen Spielen 2008, als Peking versprach, grün zu werden, wurden einige Werke aus der Hauptstadt einfach nach Hebei verfrachtet. In manchen Unternehmen wuchsen die Produktionskapazitäten innerhalb von fünf Jahren um mehr als 100 Prozent. Das war gut für Chinas sprichwörtlich atemberaubenden Aufschwung und schlecht für die Menschen, das Wasser, den Boden, die Luft.

Das sei der Widerspruch, mit dem China lebe, sagt Herr Du, ein Mann von Mitte 40, eine blaue Mütze auf dem Kopf, den dunkelgrünen Fleischwolf neben sich. Tagsüber steht er hier, an seinem Stand, verkauft Essen. In der Nacht fährt er zu seiner Schicht in der Stahlfabrik von Tangshan. Das Staatsunternehmen Hebei Iron and Steel Group ist der größte chinesische Stahlproduzent. Es ist Mittagszeit, die Hauptstraße im Dorf hat sich in einen Markt verwandelt. Bei Herrn Zhang gibt es Nudelsuppe, Frau Chen verkauft Zigaretten und Limonaden. Sie hat eine Maske vor dem Gesicht. „Um es warm zu haben“, sagt sie und bricht in lautes Gelächter aus. Auf die Luft achte sie nicht mehr. „Sie ist schlecht.“ Schon immer – allerdings, da sind sich viele in Shuidong einig, werde sie immer besser. Die Regierung rückt der Stahlhochburg zu Leibe und schließt vor allem private Stahlwerke. Die KP hat erkannt, dass sie vor dem Desaster in der Luft nicht länger die Augen schließen kann.

Wird die Luft besser, ziehen die Jungen weg: Die Arbeit fehlt

Im vergangenen Winter erreichten die PM-2,5-Werte in Peking mehr als 900, im Dezember husteten sich auch die Menschen in Shanghai und weiten Teilen Zentral- und Ostchinas die Lunge aus dem Leib. Diese Woche lagen auch Peking und Hebei wieder unter einer schweren Smogwolke. Die Luftverschmutzung verursacht etliche Krankheiten. Studien besagen, dass die Menschen in Nordchina fünf Jahre weniger zu leben hätten als in Südchina, dass Kinder an Krebs erkrankten, weil sie schlechte Luft einatmeten, dass Männer unfruchtbar würden. Aus Peking fliehen? Nach Shanghai? Guangzhou? Der Feinstaub holt die Chinesen überall ein. Das Problem ist nicht auf die Metropolen beschränkt. Das beunruhigt die Bevölkerung.

Da die KP soziale Instabilität mehr fürchtet als jeden Lungenkrebs oder Herzinfarkt, hat sie mittlerweile 179 Städte mit Luftwertmessern ausgestattet und ein nationales Programm aufgelegt. Bis 2030 sollen die Jahresdurchschnittswerte bei 35 Mikrometern liegen, also um fast 70 Prozent sinken. So steht es im „Aktionsplan Blauer Himmel“. 1,75 Billionen Yuan, das sind umgerechnet 210 Milliarden Euro, seien bis 2017 im Kampf gegen die Luftverschmutzung nötig, rechnete Chinas Akademie für Umweltplanung vor einem Monat vor. „Unqualifizierte Unternehmen“ – 4000 haben die Funktionäre im Land ausgemacht – sollen abgewickelt werden. Viele von ihnen stehen mittlerweile still, auch in Hebei. Was aus den Industrieruinen werden soll, hat die Regierung aber noch in keinem Programm verzeichnet.

„Die Fabriken schließen, die Menschen werden arbeitslos, die Jugend zieht weg. Was soll sie auch hier?“, fragt Herr Du. „Das Werk da vorne raucht schon seit einigen Jahren nicht mehr, das da hinten hat erst vor Kurzem geschlossen“, sagt er und fährt mit der Hand durch die kalte, trübe Luft. Die Menschen hier leben mit den Fabriken. Manche von ihnen Tür an Tür. Sie laufen in ihren Schutzhelmen über die Straße nach Hause, holen sich in zusammengezimmerten Hütten warme Nudeln, radeln später durch den Dunst, durch die Trostlosigkeit, zur nächsten Schicht. In Shuidong genauso wie in Shuihou, in Jiaanzi oder Yougezhuang. Unauffällige Orte, zu Tausenden in Hebei verteilt. „ Früher hatten wir genug Land, um Lebensmittel anzubauen, jetzt gehört alles dem Werk“, sagt Frau Wang.

China will seine Industrieproduktion wegen der Umwelt drosseln. Foto: EPA

60 Jahre alt ist sie, nie aus Yougezhuang herausgekommen, einem Dorf mit rund 100 Familien, 30 Kilometer von Tangshan entfernt. Es sind aufgeräumte, gerade Straßen, mit der Verwaltung vorne und dem Elektrizitätswerk nebenan. Das Dorf endet dort, wo die Fabrik anfängt, seit 30 Jahren bereits. Am Anfang dachten die Betreiber, die Menschen zögen hier weg. Frau Wang aber blieb genauso wie ihre Nachbarn. „Es ist mein Zuhause.“ Wie Geister tauchen die langen Schornsteine aus dem Smog auf. Alle paar Minuten erfüllt Lärm die bräunliche Luft. Es klingt, als holten Dutzende Lastwagen Glascontainer ab. „Nachts ist es schlimmer“, erzählt Frau Wang, die einen Spaziergang um den Spielplatz macht.

Strom gibt es, aber alle im Dorf – wie auch die Werke – verbrennen Kohle. Ein blauer Himmel? Den Traum hat Frau Wang nie geträumt. Auch Huang Wei ist skeptisch. Seit Jahren ist sie bei Greenpeace für Klima und Energie verantwortlich und sagt: „Ich sehe nicht, dass die Werte besser werden.“ Von 2006 bis 2010 sei der Kohleverbrauch um fast 50 Prozent gestiegen, die Kraftwerkskapazitäten hätten um 80 Prozent zugenommen. Der Dreck in der Luft, sagt Huang, sei gar nicht so schlecht. „Endlich begreifen Regierung und Bürger, dass das Problem existiert, dass jeder dazu beitragen muss, es zu lösen.“ Das hieße: weniger Kohlenbrand, weniger Autoverkehr, mehr erneuerbare Energien.

Bis zu 200 000 Menschen könnten arbeitslos werden, wenn die Provinzregierung von Hebei ihre Pläne umsetzt, die sie mit „Operation Sonnentag“ überschrieben hat. Bis 2015 müsste demnach die Produktionskapazität von Stahl um 17 Millionen Tonnen im Jahr reduziert werden, in den vier Jahren danach noch einmal um 43 Millionen Tonnen. Das sind Dreiviertel des landesweiten Ziels. Wo sollen die jetzigen Stahlarbeiter hin? Die Verwaltung von Hebei hat darauf keine Antwort, das eigens für die Umweltfragen in der Region eingerichtete Ökobüro sei nicht berechtigt, darauf etwas zu sagen. Herr Du glaubt an Verbesserungen. „Wir hätten dann vielleicht auch einen grauen Himmel, aber nur, weil hin und wieder das Wetter einfach trüb ist.“