Chinas Präsident Xi unter Druck „Putsch in Peking“ – Warum sich ein haltloses Gerüchte hartnäckig hält

Am 16. September war Chinas Präsident Xi Jinping (re.) noch an der Seite seines russischen Amtskollegen Putin bei einem Gipfeltreffen in Shanghai zu sehen. Foto: AFP/Sergei Bobylyov

Auf sozialen Medien wird wild über einen Coup in China spekuliert – auch von renommierten Medien und angesehenen Professoren. Die Causa zeigt, wie wenig die Außenwelt mittlerweile vom chinesischen Machtapparat mitbekommt.

Am Wochenende schlug die China-Blase auf der Online-Plattform Twitter Alarm: Staatschef Xi Jinping befindet sich womöglich unter Hausarrest. Das Militär habe gegen den 69-Jährigen geputscht. Li Qiaoming, ein mächtiger General der Volksbefreiungsarmee, habe unterdessen die Macht übernommen.

 

Gerücht verbreitet sich millionenfach

Was sich liest, als wären mit einem Hollywood-Drehbuchautor die Pferde durchgegangen, verbreitete sich tatsächlich auf den sozialen Medien millionenfach. Auf Twitter war #chinacoup eines der meistdiskutierten Themen der letzten Tage. Renommierte Professoren ließen sich auf etwaige Spekulationen ein, seriöse Medien wie der „Guardian“ griffen die Angelegenheit auf, und auch ein indischer Ex-Minister ließ seine über zehn Millionen Follower daran teilhaben.

Der Zeitpunkt liefert tatsächlich Anlass für Spekulationen: Xi ist vergangene Woche nach Zentralasien gereist, doch trat er seit seiner Heimkehr vom ersten Auslandstrip nach Ausbruch der Pandemie nicht mehr in der medialen Öffentlichkeit auf. Zudem findet Mitte Oktober der historische 20. Parteikongress in Peking statt, während dem der 69-Jährige voraussichtlich seine dritte Amtszeit deklarieren wird. In China ist dies eine höchst umstrittene Angelegenheit, schließlich hat die Parteiführung nach dem Tod Mao Tse-tungs höchstselbst dafür gestimmt, dass sich eine derart verhängnisvolle Konzentration politischer Macht nicht wiederholen darf.

Xi unbeliebt bei Chinas Wirtschaftselite

Zudem steht ohne Frage fest, dass es innerhalb der chinesischen Elite durchaus brodelt. Erst letzte Woche wurden mehrere führende Kader des Sicherheitsapparats zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt – und das nicht nur, weil sie korrupt waren. Ihnen wurde auch vorgeworfen, eine „politische Clique“ gebildet zu haben, die sich gegen Xi Jinping positioniert hat.

Dass der amtierende Staatschef innerhalb der chinesischen Elite Hass auf sich zieht, scheint mehr als plausibel: Schließlich hat er in den letzten Jahren mit seiner Antikorruptionskampagne sowie den harschen Regulierungen gegen führende Privatunternehmen sehr viel Wohlstand vernichtet.

Dennoch sind die jetzigen Putschgerüchte absolut hanebüchen. Bei näherer Betrachtung sollten allein bei der Quellenlage sämtliche Alarmglocken schrillen: So waren es vor allem im Ausland lebende Chinesen, die der Falun-Gong-Sekte zuzurechnen sind, die auf sozialen Medien die Gerüchte gestreut haben. Als Belege führten sie an, dass die Hauptstadt angeblich vollständig abgeriegelt sei sowie ein Panzerkonvoi in der umliegenden Provinz Hebei zu sehen sei.

Normalität wie eh und je

Doch tatsächlich handelt es sich bei den Beweisen um leicht zu widerlegende Halbwahrheiten: Die Flüge und Zugverbindungen nach Peking sind tatsächlich stark reduziert, was im Zuge der radikalen Null-Covid-Maßnahmen allerdings immer wieder vorkommt. Abgeriegelt ist die Hauptstadt hingegen keineswegs – im Gegenteil: Vor Ort lassen sich keinerlei Hinweise finden, die auf einen Umsturz hindeuten würden.

Der „Spiegel“-Korrespondent Georg Fahrion hat die Gerüchte am Sonntag in einem ironischen Twitter-Thread auf die Schippe genommen: Bei einem Lokaltermin in der Pekinger Innenstadt publizierte er unter anderem Fotos vorm Eingangstor des Regierungsviertels Zhongnanhai und der Verbotenen Stadt. Zu sehen war Normalität wie eh und je, doch seine Schnappschüsse unterlegte der Journalist mit zynischen Bildunterschriften, in denen Touristen zu „Fallschirmjägern“ und normale Passanten zu „Rebellen“ erklärt wurden.

China wird zur Blackbox

Tatsächlich wurde sein Twitter-Thread von etlichen Beobachtern missverstanden – und landete zur besten Sendezeit im indischen Fernsehen, wo seine Anekdoten als Belege für einen tatsächlichen Putsch in Peking herhalten mussten. Fahrions Kommentar: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit.“

Die ganze Angelegenheit ist dennoch überaus interessant. Sie zeigt, wie nach zweieinhalb Jahren geschlossener Grenzen, einem Exodus an ausländischen Korrespondenten und einem zunehmend intransparenteren chinesischen Machtapparat die Informationslage derart prekär geworden ist, dass sich selbst substanzlose Online-Gerüchte tagelang halten können. Immer schwieriger wird es, die Informationen vor Ort zu überprüfen.

Bisher zumindest kannte man ein solch mediales Kaffeesatzlesen nur von Nordkorea. Nun scheint auch die Volksrepublik China zunehmend zu einer Blackbox zu werden.

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