Ein Blogeintrag veranschaulicht die Hoffnung der Chinesen auf Veränderung. Nach der Veröffentlichung wurde der Blogger verhaftet.  

Peking - Am 16. Februar schrieb Ran Yunfei in einem Blogbeitrag über den Sturz von Ägyptens Diktator Hosni Mubarak und die Parallelen zu China. Vier Tage später wurde der 46-Jährige verhaftet und wegen Anstiftung zum Umsturz der Staatsgewalt angeklagt. Ran droht eine Haftstrafe von bis zu 18 Jahren. Wir liefern eine gekürzte Übersetzung des Artikel, der offenbar zu Rans Verhaftung führte.

 

"Als die Ägypter am 12. Februar auf dem Tahrir-Platz Mubaraks Sturz bejubelten, konnten sie kaum ahnen, dass im Fernen Osten einige Internetbenutzer nicht schlafen konnten. Auch sie feierten Ägyptens Wiedergeburt, jubelten auf Twitter, auf Facebook und anderen Webseiten. Einer scherzte: "Die Chinesen bewundern das Glück des ägyptischen Volks nach dem Sturz des Diktators wie ein alter Junggeselle, der ein junges Nachbarspaar beneidet, das sich verliebt ein Hotelzimmer nimmt."

,Alter Junggeselle' ist nur ein ironischer Vergleich, aber er passt gut zur Geschichte und Realität von Chinas mehrere tausend Jahre währender Despotie und sechzigjähriger Autokratie (seit der Gründung der Volksrepublik 1949, Anm. d. Red.) Auch der alte Junggeselle hatte Gelegenheit zur Heirat: am Ende der Qing Dynastie (1911), am Anfang der Republik China (1912) oder am Vorabend des Blutbads vom 4. Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz. Alles waren gute Chancen, aber er ist noch immer ledig. Vor Mubaraks Sturz beteten viele chinesische Internetnutzer, dass sich die Geschichte des Tiananmen-Platzes nicht wiederholt.

Im Internetzeitalter sind Massenaufstände unvorhersehbar

Viele internationale Medien, Kommentatoren und Internetnutzer verglichen die Revolution in Ägypten mit der Studentenbewegung von 1989. Doch Ägyptens Militär erklärte, dass es keine Gewalt gegen sein eigenes Volk anwenden werde. Im Vergleich zu Chinas sehr gewalttätiger Diktatur kann man Ägypten und auch Tunesien als einigermaßen aufgeklärte Diktaturen betrachten.

Ich glaube, Überlegungen über Veränderung in einem Land müssen von den Maßnahmen ausgehen, mit denen eine Regierung ihr Volk kontrolliert. Dazu gehören harte Kontrolle (Militär, Polizei, Milizen) als auch weiche Kontrolle (Informationsblockade, Irreführung). Beide stellen dem gesellschaftlichen Wandel enorme Widerstände in den Weg.

Ich weiß nicht, wie Ägyptens Armee aufgebaut ist, aber in China gibt es in jeder Kompanie eine Parteizelle. Damit kann die Partei die Gewehre befehlen. Die Armee ist eine private Waffe der kommunistischen Partei. Trotzdem ist die Partei nicht unzerstörbar. Wie alle Diktatoren wissen auch die in China nicht genau, wann und wie China sich verändert. Im Internetzeitalter sind Massenaufstände unvorhersehbar.

Am Sturz der Diktatur führt kein Weg vorbei

Warum bin ich ,alter Junggeselle' so glücklich über Ägyptens Wiedergeburt? Weil China jetzt einen alten Freund verloren hat und es einen Diktator weniger gibt. Unter den Ländern, die auf Druck Chinas ihre Teilnahme an der Friedensnobelpreisverleihung für Liu Xiaobo absagten, waren zwei Diktatoren, die inzwischen gestürzt wurden (Ägypten und Tunesien schickten keine Vertreter.). Über die Macht von Diktatoren und die Angst des Volkes vor Unterdrückung gibt es in Äthiopien ein Sprichwort: ,Wenn der große Herrscher vorübergeht, verbeugt sich der kluge Bauer tief und furzt dabei leise.'

Wegen der strengen Kontrolle der Medien und des Internets wissen nur sehr wenige Chinesen, wie die Völker in Ägypten und Tunesien für Demokratie und Freiheit gekämpft haben. Trotzdem hat die Demokratiebewegung bei einigen Chinesen die Erinnerung an die Studentenbewegung von 1989 geweckt. Davor hat die Regierung ungeheure Angst. Zwar kann sie es den Chinesen schwermachen, für ihre Rechte zu kämpfen, indem sie den Informationsfluss behindert und die Wahrheit blockiert. Aber damit schaden sich die Diktatoren selbst: In einer Gesellschaft ohne Informationsfreiheit weiß die Führung wenig über die sozialen Probleme. Sie sieht nicht, wie viel Magma unter der Oberfläche kocht und kann nicht vorhersagen, wann es ausbricht.

Wer unter einem despotischen Regime lebt, verbindet mit der Demokratie gleichermaßen Liebe und Angst. Man hat die Wahl, entweder aktiv dafür zu kämpfen und einen hohen Preis zu bezahlen, oder aus Furcht nichts zu tun und sich so selbst zu schützen. Nach der erfolgreichen Revolution in Ägypten konnte man im Internet folgenden Satz lesen: ,Die Mumien wurden aufgeweckt, gingen auf die Straßen und verschafften sich Gehör. Die Terrakotta-Armee schweigt noch, steht in ihrer Grube und wartet auf ihre Befehle'. Man kann die Chinesen durchaus für ihre Passivität kritisieren. Aber letztlich führt am Sturz der Diktatur kein Weg vorbei.

Aus dem Chinesischen von Bernhard Bartsch.