Am Freitag beginnt in China das Jahr des Pferdes. Eine paradoxe Zeit, denn die kommenden zwölf Monate versprechen Stabilität und Dynamik zugleich. Ob sie bessere Geschäfte und mehr Geld bringen werden?

Korrespondenten: Inna Hartwich

Shanghai - Herr Ma hat eine Horde Pferde gemalt, er hat mit weißer Kreide auf der dunkelgrünen Tafel Rösser unter wallenden Mähnen entworfen. Tiere, die seinen Namen tragen, Ma, Pferd. Eigentlich verkauft der Hobbymaler in den alten Gassen von Shanghai allerlei Krimskrams. Da liegen dicke Pinsel neben Tassen aus Metall, halbzerrissene Bücher über das alte China neben hellrosafarbenen Taschen mit „Hello Kitty“-Motiven. Das alles wird Herr Ma aber nur schlecht los. Immerhin bleiben einige Passanten vor seinem etwas unbeholfenen Kreidekunstwerk stehen. Hätte er sich doch mit roten Stoffpferden eingedeckt! Rösser aller Art, klein, groß, aus Plastik, Plüsch oder Papier, gehen in diesen Tagen gut über die Ladentische, nicht nur in Shanghai.

 

Denn am Freitag beginnt im Reich der Mitte das Frühlingsfest. Das neue Jahr bricht an, ein Jahr des Pferdes, ausdauernd wie genügsam, edel wie ungestüm. Den „Pferden“ wird ein gewisser Arbeitseifer nachgesagt, aber auch ein stetiges Streben nach Freiheit – die Paradoxie von Stabilität und Dynamik zugleich. Was wird das Jahr unter solchen Bedingungen bringen? Herr Ma weiß es nicht. Vielleicht bessere Geschäfte, mehr Geld. Die Wohnung hat er jedenfalls schon dekoriert. Mit Glückssprüchen an der Schwelle, mit roter Farbe überall. Er hat Laternen gekauft und viel Feuerwerk – und natürlich einige Pferde gemalt, kleiner als in seinem Laden.

Für eine Woche verabschiedet sich das Land in die Ferien

Das Fest – Chinesen nennen es Chunjie – ist in China, aber auch in Ländern mit hohem chinesischem Bevölkerungsanteil wie Malaysia oder Indonesien, der wichtigste Feiertag des Jahres. Obwohl auch in der Volksrepublik längst der gregorianische Kalender gilt, richten sich die Menschen hier beim Jahreswechsel immer noch nach dem Mondkalender. Der Beginn des neuen Jahres fällt somit in jedem Jahr auf einen anderen Tag – auf einen Neumond zwischen dem 20. Januar und 20. Februar.

Für eine Woche verabschiedet sich das Land in die Ferien. Etwa 250 Millionen machen sich auf die Reise quer durch das riesige Land, Züge und Straßen sind hoffnungslos überfüllt. Verwaltungen und Geschäfte haben geschlossen, Zeitungen erscheinen nicht. Die Chinesen nehmen sich meist noch eine weitere Urlaubswoche, verbringen die Zeit mit ihren Familien. Immer mehr Städter lassen ihre Eltern aus den Dörfern zu sich kommen. Dann gibt es viel Fisch, viel Fleisch, viel Neujahrsküchlein aus klebrigem Reis. Und viele Geschenke, meist Geld in den sogenannten Hongbao, roten Umschlägen. Davor aber heißt es: aufräumen, putzen, kochen, neue Kleider kaufen, zum Friseur gehen. Das Alte soll im alten Jahr bleiben, das Neue Einzug in die Wohnung und das Leben halten.

Die Sprache spielt eine große Rolle bei den Festritualen

Da das Chinesische Unmengen an Silben hervorbringt, die sich alle gleich anhören, spielt die Sprache eine große Rolle bei den Festritualen. Es gibt nur deshalb Fisch, weil das chinesische Wort dafür (yu) genauso klingt wie das Wort für Glück – ebenfalls yu. Die Haare müssen deshalb vor dem Fest geschnitten werden, weil es währenddessen und kurz danach Unglück brächte. Haar (fa) steckt im Wort facai (Vermögen). Und welcher Chinese wollte schon Geld wegfegen? So verwandelt sich das Land gerade in ein Meer aus roten Laternen, roten Pferden, roten Spruchpaaren am Hauseingang. Auch jedem, der im Jahr des Pferdes geboren wurde – Lenin ist das genauso wie Helmut Kohl, Angela Merkel und der ehemalige chinesische Staatschef Hu Jintao – raten die Chinesen, zumindest am Neujahrstag Rot zu tragen. Das bringe Glück. Denn die Farbe Rot war es, die der Legende nach dem bösen Ungeheuer „Nian“ (Jahr) den Garaus machte.

Nian hatte, so will es die Geschichte der Festtradition, an jedem Jahresanfang Dörfer überfallen, Vorräte geraubt und Kinder gefressen – bis es vor einem kleinen Jungen in Rot flüchtete und seitdem nie wieder gesehen ward, nur weil die Menschen in ihren Häusern viel Rotes anbringen, Feuer und Krach machen. Das wird in den nächsten zwei Wochen nicht anders sein, bis zum Laternenfest. Danach dürften auch die Stoffpferdchen wieder aus den Verkaufsregalen verschwinden – und Herrn Mas alte Tassen besser weggehen.

Zwölf Jahre, zwölf Tiere

Kalender: Ratte, Drache, Affe, Schlange, Hund und Co. – alle zwölf Jahre wiederholt sich im chinesischen Kalender ein Tierjahr. Nach alter Tradition gibt es zwölf Tiere. Das Pferd ist bis zum 19. Februar 2015 dran. Menschen, die in einem Pferdejahr geboren sind, werden Weisheit, künstlerisches Talent, aber auch Ungeduld und Jähzorn nachgesagt.

Feuerwerk: Da China unter starkem Smog leidet, haben einige Studentengruppen auf Initiative der Küstenstadt Ningbo dazu aufgerufen, auf Feuerwerk zu verzichten. Einige Städte, auch Peking, kontrollieren seit Jahren den Verkauf von Feuerwerkskörpern. Immer wieder fällt auch das Wort Knallverbot. Die „Geistervertreibungszeremonie“ lassen die Chinesen sich aber nicht nehmen.