Ein Insider schildert unter Pseudonym die Tage, in denen der französische Außenminister Dominique de Villepin den amerikanischen Einmarsch im Irak verhindern wollte. Auch de Villepin hat das Buch gelesen und erklärt, es habe ihn zum Lachen gebracht.

Paris - Der junge Arthur Vlaminck weiß noch nicht mal, wie man sich eine Krawatte bindet, als er im Quai d’Orsay vorspricht. Aber nach einem Gang durch die feudalen Räume des französischen Außenministeriums sitzt er dem Minister Alexandre Taillard de Vorms gegenüber, der ihm schnell und mit Nachdruck die Weltlage nach 9/11 erklärt, und schon gehört auch Arthur zu jenem „Kommando“, mit dem de Vorms die neokonservativen US-Politiker davon abhalten will, einen Präventivkrieg gegen Lousdem zu beginnen. Lousdem? Ja, so wird der Irak in dieser zwischen 2002 und 2003 spielenden Geschichte genannt, und der Minister ist in Wirklichkeit natürlich Dominique de Villepin, der sich damals vehement gegen die Pläne von Bush und Co. gewehrt hat.

 

Auch Arthur Vlaminck ist ein Pseudonym, mehr noch: er ist quasi das Pseudonym eines Pseudonyms, hinter ihm verbirgt sich der als Abel Lanzac firmierende Autor von „Quai d’Orsay“ (Reprodukt, 192 Seiten, 36 Euro), der wohl noch immer in Staatsdiensten steht und deshalb seine wahre Identität nicht preisgeben will.

Dass Lanzac seine Insider-Geschichte, deren Untertitel „Hinter den Kulissen der Macht“ nicht zu viel verspricht, mit dem Comiczeichner Christophe Blain zu Papier gebracht hat, wäre in Deutschland kaum vorstellbar. Der Autor hätte sich nach landläufiger Meinung wohl unter Wert verkauft. In Frankreich jedoch hat der Comic einen anderen Stellenwert, sogar de Villepin hat das Buch gelesen und erklärt, es sei witzig und habe ihn zum Lachen gebracht. Dabei wird sein Alter Ego de Vorms vorgeführt als großer, breitschultriger Egomane mit Raketennase und raumeinnehmender Körpersprache: Wenn dieser machtstrotzend-arrogante Kerl die Arme ausbreitet, passen seine Hände manchmal gar nicht mehr ins Bild. Der schnelle, spontane, ungeduldige Minister dampft buchstäblich vor Energie, sein Tempo ist kaum mit- und auszuhalten, er haut immer neue Direktiven raus („Wir brauchen den Syrer!“) und lässt seinen Stab springen. Zwischendurch joggt er auch noch, mit schwitzenden Bodyguards im Schlepptau.

Überraschend positives Bild

Bevor de Vorms mit einem Stichwortzettel oder gar mit einer von Arthur geschrieben Rede zufrieden ist, lässt er alles immer wieder umformulieren: „Das muss noch rein!“ Bei einem Buch zähle nur der nackte Inhalt, und der sei „in Gelb.“ Der Minister markiert nämlich die wichtigen Stellen, sein gern zitierter Heraklit ist sozusagen durchgegelbt oder, wie sein Stab das nennt: stabilosiert. „Quai d’Orsay“ hat satirische Züge, ja, aber nicht nur Blain holt bei den Protagonisten mit reduziertem Strich das Maximale an Charakter heraus. Auch Lanzacs zugespitzte Schilderung, in der sich im Wortsinn schöne Kabinettstückchen finden, ergibt trotz Eifersüchteleien, Kompetenzgerangels und Bürointrigen ein überraschend positives Bild. Diese kleine und ständig überforderte Gruppe – immer wieder das Tülüt-Tülüt der Telefone! – versucht in einer Krise das Möglichste und wird dabei manchmal vom Rausch der Weltgeschichte erfasst.

Wobei das Banale und das Große im Roman nicht getrennt werden, beim Pinkeln etwa kann der Minister joviale Ratschläge geben, aber im Kopf hat er doch immer die Politik. Auch für Arthur schrumpft das Privatleben, er wird aus intimen Stunden mit der Freundin herausgeklingelt, die spöttisch-resigniert fragt: „Na, ruft der Pharao?“ Nein, diesen Minister möchte man nicht als Chef haben, aber wen er mal lobt, der ist glücklich und wird von roten Herzchen umschwebt. Am Ende hält Alexandre Taillard de Vorms, hält also Dominique de Villepin, seine historisch gewordene Rede vor dem UN-Sicherheitsausschuss, in der er die Position des alten Europa deutlich macht: „Die Option Krieg scheint vordergründig die rascheste Lösung zu zeitigen, doch vergessen wir nicht, dass es nach gewonnenem Krieg gilt, Frieden herzustellen.“ Und da laufen sogar Arthur, obwohl er die Rede ja kennt und vielleicht sogar mitgeschrieben hat, die Tränen übers Gesicht.