Bei „Stardew Valley“ lässt man sein früheres Leben als gestresster Großstädter hinter sich – und genießt die Herausforderungen auf der halb verfallenen Farm des Großvaters.

Stuttgart - Ach, wie schön ist doch das Leben auf dem Land! Die Luft ist immer frisch, so etwas wie Berufsverkehr ist unbekannt, und wenn man sonntags vergisst, in die Kirche zu gehen, steht sofort ein netter Nachbar an der Tür, um einen an den Gottesdienst zu erinnern. Während weltweit zahllose Menschen aus bäuerlichen Regionen abwandern, weil sie sich in der Stadt ein besseres Leben erhoffen, hat sich das Dorf in den Metropolen des Westen in jüngerer Vergangenheit zu einem Ort entwickelt, auf den viele von den Zumutungen der Moderne geplagte Menschen ihre Sehnsüchte projizieren.

 

Vermutlich erklärt dieses Phänomen, warum das Computerspiel „Stardew Valley“ ein solcher Erfolg werden konnte. Es erzählt nämlich davon, wie es einen Städter aufs Land verschlägt, als dieser den alten Bauernhof seines Großvaters erbt. Das klingt eigentlich unspektakulär, aber trotzdem ist „Stardew Valley“ die kommerzielle Überraschung dieses Jahres. Seit der Veröffentlichung Ende Februar haben bereits Hunderttausende „landsüchtige“ Spieler das Programm gekauft. Dies ist umso erstaunlicher, da nur ein einziger Entwickler hinter dem Projekt steckt.

Märchenhafte Geschichte

Dessen Geschichte liest sich märchenhaft: Eric Barone, heute 28 Jahre alt, hatte 2011 die Uni mit einem Abschluss als Programmierer verlassen, fand aber keinen Job. Um sich selbst fortzubilden, machte der Amerikaner sich daran, „Stardew Valley“ zu entwickeln. Vier Jahre nahm das Projekt in Anspruch. In dieser Zeit hielt sich Barone mit einem Nebenjob als Platzanweiser in einem Theater und dem Stipendium seiner Freundin über Wasser.

Diese Mühen haben sich allerdings gelohnt: „Stardew Valley“ ist ein überaus hübsches Spiel geworden, das an die einst populäre „Harvest Moon“-Reihe anknüpft, deren erster Teil wiederum bereits 1996 erschienen ist. Im Kern handelt es sich bei „Stardew Valley“ um eine Wirtschaftssimulation mit Rollenspielelementen. Alles beginnt damit, dass Großvater – er liegt im Sterben – uns einen versiegelten Umschlag zusteckt, mit der Bitte, diesen erst an dem Tag zu öffnen, an dem uns die Hektik des modernen Lebens so zugesetzt hat, dass wir daran zu zerbrechen drohen. Zwanzig Jahre später ist dieser Tag gekommen: Wir finden uns in einem grässlichen Großraumbüro an einem von zahllosen Rechnern wieder, im Rücken eine Überwachungskamera, in den Zellen links und rechts neben uns dasselbe Bild – ein Sweatshop im Zeitalter der digitalen Ökonomie.

Großvaters Überraschung

Als letzte Hoffnung bleibt der Griff in die Schublade, in der Großvaters alter Brief liegt. Durch diesen erfährt der Spieler von der Existenz eines Bauernhofs in einem Kaff namens Stardew Valley, der uns vermacht wurde. Wenige Augenblicke später sitzen wir im Bus, der uns in das Dörfchen fährt. Dort wartet allerdings erst einmal eine böse Überraschung: Der Hof befindet sich in einem erbärmlichen Zustand, seit Jahren hat sich niemand mehr um das Grundstück gekümmert.

Also machen wir uns daran, Unkraut zu jäten, Bäume zu fällen, den Boden zu pflügen und erste Samen zu säen. Grund zur Langeweile gibt es nie. Wenn die Ackerarbeit erledigt ist, geht man angeln, macht sich an kosmetische Verschönerungen – wie wäre es beispielsweise mit einem gepflasterten Weg, der von der Haustür zum Teich führt? – oder schaut bei den Leuten im Dorf vorbei.

Die Farm entwickelt sich

Nach und nach entwickelt sich die Farm. Die geernteten Früchte kann man verkaufen, mit dem Gewinn besseres Saatgut oder neues Werkzeug erwerben und schließlich auch einen Stall bauen, um Vieh zu züchten. „Stardew Valley“ bietet aber noch mehr: Verspürt man Abenteuerlust, kann man sich aufmachen in das alte Bergwerk im Norden des Dorfs. Dort verbergen sich nicht nur wertvolle Erze, sondern auch kleine grüne Schleimmonster, so dass ein gewisses Maß an Action geboten ist. Alternativ lässt sich das verfallene Gemeindezentrum erkunden, in dem es, wie schnell klar wird, spukt.

Die wahren Gefahren lauern indes im Dorf. Dort begrüßen die Menschen ihren neuen Mitbürger zwar in der Regel herzlich, läuft man dann allerdings dem Bürgermeister über den Weg, fragt dieser schon einmal nach, ob denn die Arbeit auf dem Hof auch gut von der Hand gehe – man wolle doch diesen schönen Flecken Erde nicht verkommen lassen, nicht wahr? Und steht ein Dorffest kurz bevor, findet sich im Briefkasten ein Erinnerungsschreiben, in dem der Spieler höflich, aber bestimmt darauf hingewiesen wird, dass seine Anwesenheit bei den Feierlichkeiten durchaus goutiert werden würde.

Derartige Details verdeutlichen schön, dass das Landleben eben nicht nur idyllisch, sondern auch soziale Kontrolle durch die Dorfgemeinschaft mit sich bringt. Die Stadtluft stinkt zwar manchmal, aber sie verheißt eben auch Freiheit.