Coronabeziehungen „Haustiere sind uns ausgeliefert“

Was verbindet Mensch und Tier in Coronazeiten? Foto: dpa/Antti Aimo-Koivisto

Welche Bedeutung haben Hunde und Katzen für Menschen in Coronazeiten? Der Philosoph und Theologe Peter Kunzmann will erforschen, warum manche Verantwortung übernehmen und andere nicht.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart Für manche ist es eine Beziehung, für die gilt: bis dass der Tod uns scheidet. Andere geben ihr Haustier weg, wenn sie die Lust an ihm verlieren. Warum ist das so? -

 

Herr Kunzmann, Sie nennen Haustiere mit Blick auf Corona „auf Zeit zugeschaltete Familienmitglieder“. Was heißt das?

In unserem geplanten Corona-Cat-Projekt, in dem es um die Rolle von Haustieren in der Pandemie geht, wollen wir untersuchen, wie Menschen zwar einen spielerischen und zweckfreien Kontakt mit Tieren wollen, die Tiere aber gleichzeitig in die Lücke der Coronazeit zwängen, in die sie exakt passen sollen. Das ist ein Widerspruch.

Was sind Haustiere denn für den Menschen?

Sie sind Wesen, die uns vorurteilsfrei begegnen. Tieren sind die Machtspiele egal, die wir untereinander austragen. Für den Hund gibt es zwei soziale Klassen: Gibt jemand Leckerli oder nicht? Außerdem haben Menschen eine starke Sehnsucht nach Natur. Haustiere zeigen uns das richtige Maß an spontanem Handeln, und zugleich sind sie doch nicht so komplex und unberechenbar, dass wir das Gefühl haben, komplett mit einer Blackbox zusammenzuleben.

Welche Rolle spielt in dieser Beziehung das Thema Verantwortung?

Aus der Sicht des Ethikers ist das ein Schlüssel für das Mensch-Tier-Verhältnis. Denn wir legen für das Tier fest, wie es lebt, was es erlebt und was nicht. Wir legen fest, was es frisst und ob es unter diesen Bedingungen gesund bleibt. Diese Verantwortung ist immens und eigentlich unbegrenzt, da das Tier von sich aus ja keine Möglichkeit hat, das zu kompensieren, was es nicht von uns bekommt. Haustiere sind uns ausgeliefert.

Muss man sich Tierliebe auch finanziell leisten können?

Ja, aber das hängt nicht nur vom Besitz ab. Es geht eher darum, wofür Menschen ihr Geld ausgeben. Das gilt auch bei Besserverdienenden. Es gibt viele Tierbesitzer, die sich sehr viel vom Mund absparen, um sich ein Tier halten zu können.

Warum erlahmt die Verantwortungsbereitschaft während Corona bei manchen und bei anderen nicht?

Es gab viele, die schon lange ein Tier wollten und das jetzt umgesetzt haben. Es gab aber sicher auch Menschen, die im Lockdown ein Alibi brauchten, um nachts rausgehen zu können. Und dann gab es Mensch-Tier-Beziehungen, die sich anders entwickelt haben, als man sich das vorgestellt hat. Ich bin jedoch der Auffassung, dass die Verantwortung für ein Tier auf Dauer ausgelegt sein sollte. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass etwa ein Hund einen Menschen möglicherweise durch Lebensphasen begleitet, die heute noch nicht absehbar sind und in denen es gute Gründe geben kann, sich wieder vom Tier zu trennen. Aber wer sich etwa für einen Papageien entscheidet, der bis zu 50 Jahre alt wird, sollte wissen, auf was er sich einlässt, und verhindern, dass das Tier in Situationen kommt, mit denen es nicht fertig wird. Viele Menschen bringen sich und ihre Tiere unbedacht in Situationen, in denen es den Tieren richtig schlecht geht. Man muss sich vorher überlegen: Kann ich dem Tier das geben kann, was es braucht?

Ein Forscher zwischen den Disziplinen

Person
Peter Kunzmann (55) ist Professor für Angewandte Ethik in der Tiermedizin an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Er ist Theologe und Philosoph. Entsprechend forscht er zu vielen verschiedenen tierethischen Themen, Nutztiere etwa oder das Lebensende von Haustieren.

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