Coronakrise in der Schlachtindustrie Müller Fleisch will Musterknabe werden

2,1 Millionen Schweine will Müller Fleisch 2021 schlachten. Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam

Vor einem Jahr war das fünftgrößte deutsche Schlachtunternehmen mit Sitz im Enzkreis der erste Coronahotspot der Branche. Den schlechten Ruf will man hinter sich lassen – mit mehr Gesundheitsschutz und regionaler Ausrichtung. Doch die Gewerkschaft NGG sieht noch große Probleme.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Pforzheim - War da was? Ein Jahr nach dem Coronaskandal in der Schlachtindustrie ist bei Müller Fleisch etwas Ruhe eingekehrt. Beginnend mit dem ersten Covid-19-Fall am Karfreitag 2020 errang das Stammwerk in Birkenfeld bei Pforzheim seinen schlechten Ruf als erster großer Hotspot der Branche – vor Tönnies & Co. Heute „sind wir froh, die Lage im Griff zu haben“, sagt einer der geschäftsführenden Brüder, Martin Müller. „Wenn mal wieder ein positiv auf Corona getesteter Mitarbeiter bei unseren Reihentestungen dabei ist, sind wir in der Lage, Pandemieketten effizient entgegenzuwirken.“ Dies wird von Behördenseite bestätigt: Trotz der Reiserückkehrer in der multinationalen Belegschaft hat es in den vergangenen Monaten nur noch vereinzelte Coronafälle gegeben, aber keinen größeren Ausbruch mehr.

 

Auf Druck der Politik hat sich vieles verändert: 380 Werkvertragsnehmer wurden zum Jahreswechsel in die Stammbelegschaft übernommen, sodass diese mit einem Schlag um bis zu 45 Prozent vergrößert wurde. Seit Anfang April wäre auch Leiharbeit nur noch dann möglich, wenn die Firma einen entsprechenden Tarifvertrag mit der Gewerkschaft geschlossen hätte – den es allerdings nicht gibt. Aus diesem Bereich wurden daher weitere 400 Mitarbeiter fest angestellt.

Beim Hygieneschutz hat sich viel getan

Viel hat sich beim Hygieneschutz getan: Schweine und Rinder werden an Fließbandarbeitsplätzen zerlegt, die durch Glasscheiben getrennt sind. Am Eingang wurde technisch aufgerüstet: Wer nicht als getestet registriert ist, kommt nicht durchs Drehkreuz. Zudem führten Coronarisiken durch die Belüftung teilweise zur Nachrüstung von Luftfiltern – der Luftaustausch in den Hallen wurde verbessert.

Öffentlich halten sich die Birkenfelder eher zurück – der Ärger über katastrophale Arbeitsumstände in der Schlachtindustrie soll möglichst nur an den Branchenriesen Tönnies, Westfleisch oder Danish Crown hängenbleiben. Auch lobt Müller Fleisch die „jederzeit konstruktive und effektive Zusammenarbeit mit den Behörden“. Statt sich mit Ämtern, Politik und Öffentlichkeit anzulegen, feilt man lieber an einem Image als Musterknabe der Branche: etwa durch die Unterstützung der Landwirtschaft. Im November wurde mit Bauernverbänden und Viehhandel der Regionalpakt Süddeutsches Schwein geschlossen, um den heimischen Schweinehaltern und Ferkelerzeugern unter die Arme zu greifen. Auch sorgen sich die Gebrüder Müller nun um das Tierwohl aufseiten der Erzeuger.

Beschäftigte müssen sich zweimal pro Woche testen lassen

Der Landrat des Enzkreises, Bastian Rosenau, bestätigt die gute Zusammenarbeit: „Der Draht ist schon sehr kurz“, sagt er. Das Gesundheitsamt und das Veterinäramt seien im engen Austausch mit Müller Fleisch. „Die müssen immer damit rechnen, dass Mitarbeiter von uns ums Eck kommen.“ Auch müssten sich die Beschäftigten zweimal pro Woche testen lassen – „die Ergebnisse erhalten wir umgehend, auch zur Plausibilitätsprüfung“. Insgesamt binde die Kooperation „ziemlich viele Ressourcen, weil wir mit Argusaugen schauen, dass so ein großer Ausbruch nicht noch einmal passiert“.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zeigt sich eher skeptisch: „Der Schritt des Gesetzgebers, das Werkvertragsunwesen zu verbieten und Leiharbeit zu reglementieren, war erst mal der richtige Zug, um den Versuch zu starten, da aufzuräumen“, betont Landeschef Uwe Hildebrandt. „Aber damit ist nicht alles erledigt – da müssen noch viele Kontrollen stattfinden, um aus der Schmuddelecke rauszukommen.“ Denn die Arbeitsbedingungen haben sich aus Sicht der NGG bisher kaum verbessert – wenngleich sie bekennt, lediglich einen sporadischen Draht ins Unternehmen zu haben. Zu schlecht ist man dort organisiert, um stets auf dem Laufenden zu sein. Betriebliche Aktionen vor dem Werkstor – in Coronazeiten ohnehin ein Problem – laufen wegen der Sprachbarrieren teilweise ins Leere. Zudem ist der Betriebsrat der Gewerkschaft nicht sehr freundlich gesonnen.

Beschäftigte müssen für ihre Unterkünfte mehr zahlen

Eines hat NGG-Geschäftsführer Elwis Capece aber vernommen: Die Beschäftigten müssten für die Unterkünfte nun mehr zahlen als vorher, weshalb der Arbeitsdruck für sie relativ groß sei, „die Grenzen der gesetzlichen Arbeitszeiten zu verletzen“, um auf den gewünschten Verdienst zu kommen. Weiterhin wird demnach lediglich der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 9,50 Euro pro Stunde gezahlt. „Solange es keine tarifliche Struktur gibt, entspannt sich die Situation für die Mitarbeiter nicht.“ Die Hoffnung der NGG auf einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag gilt freilich der ganzen Zunft.

Während der Arbeitsschutz vom Regierungspräsidium Karlsruhe überwacht wird, birgt auch die Wohnsituation noch Unklarheiten: Müller Fleisch zufolge wurden zwar frühzeitig der Wohnraum erweitert und die Zimmerbelegung reduziert – „im großen Stil“, so Geschäftsführer Stefan Müller, „werden bereits seit Jahren frei werdende Hotels oder Erholungseinrichtungen in Richtung Schwarzwald zu ordentlichen Unterkünften umgewidmet“. Die Kompetenzen des Landratsamtes enden mittlerweile jedoch bei den Unterkünften. Zuständig sind die Ortspolizeibehörden – und die haben ein sehr begrenztes Zutrittsrecht.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Schlachthof Schweine Enzkreis