Coronavirus und Tod Wenn sich Trauer wie ein Luxus anfühlt
Der Tod ist wegen der Corona-Pandemie ein großes Thema. Doch wer zurzeit einen Angehörigen verliert, ist damit sehr allein. Manche Menschen empfinden ihre Trauer gar als Luxus.
Der Tod ist wegen der Corona-Pandemie ein großes Thema. Doch wer zurzeit einen Angehörigen verliert, ist damit sehr allein. Manche Menschen empfinden ihre Trauer gar als Luxus.
Degerloch - Ist es ein Luxus, zu trauern? In der Coronakrise gibt es Menschen, die diese Frage mit Ja beantworten würden. Es sind Menschen, die jemanden verloren haben und denen es unfassbar schlecht geht. Doch sie denken, dass sie jetzt kein Recht auf diese Gefühle haben, dass sie sich zusammenreißen müssen. Die Frau, die von solchen Gedanken bei Hinterbliebenen erzählt, ist Barbara Hummler-Antoni, Trauerbegleiterin im katholischen Hospiz Sankt Martin in Degerloch.
Sie sagt auch: Die Coronakrise verändert die Art, wie Menschen trauern. Zum einen eben, weil sie sich das schlimme Gefühl nicht erlauben wollen, wo es doch gerade aller Welt so schlecht gehe. Zum anderen aber auch, weil sie nicht gebührend Abschied nehmen können. Beerdigungen sind entweder nur im kleinsten Kreis erlaubt. Oder Urnen werden von Bestattern eingelagert, der Abschied wird verschoben auf unbestimmte Zeit. Und auch all die Angebote, die das Hospiz in den vergangenen Jahren entwickelt und stetig ausgebaut hat, sind einstweilen eingefroren.
Aktuell gehen laut Hummler-Antoni so gut wie keine Anfragen nach den angebotenen Trauergruppen im Hospiz mehr ein, sagt sie. „Und das, obwohl ja durch Corona mehr gestorben wird.“ Sie und ihre Kollegen gehen aber fest davon aus, dass das die Ruhe vor dem Sturm ist. Hummler-Antoni spricht von einer Flut, die die Trauerbegleiter ab dem Sommer erwarten.
Das Hospiz Sankt Martin an der Jahnstraße in Degerloch ist ein Ort, an dem todkranke Menschen ihren letzten Weg gehen. Es ist aber auch ein Ort, an dem die Hinterbliebenen Unterstützung finden. Es gibt etliche Trauergruppen: für Kinder, für Jungeverwitwete, für Jugendliche und viele Zielgruppen mehr. Die Nachfrage ist – normalerweise – riesig. Die Gruppen, die vor dem Ausbruch der Krise zusammenkamen, können sich aktuell nicht mehr treffen. Die Trauerbegleiter schicken den Teilnehmern regelmäßig Nachrichten, via E-Mail, Whatsapp oder als Briefe. Es sind Bilder, Texte, einfach Dinge, die sie auf neue Gedanken bringen sollen. Und die Teilnehmer würden auch untereinander Kontakt halten, zum Beispiel am Telefon. Schwieriger ist es mit jenen, die sich kurz vor der Krise ans Hospiz gewandt haben. Derzeit stehen 19 auf der Warteliste. „Die sind gerade sehr verloren“, sagt Hummler-Antoni. Die Begleiter versuchen, dies so gut wie möglich am Telefon abzufedern. Dafür sind auch Ehrenamtliche im Einsatz.
Für das in Degerloch geplante Trauerpastorale Zentrum bringe die Krise neue Denkansätze mit. „Das Zentrum bekommt noch mal ein ganz anderes Gewicht“, sagt Hummler-Antoni. Zum Beispiel was die Formen der Trauerarbeit angehe. In einer älter werdenden Gesellschaft müsse man davon ausgehen, dass zukünftig viele Menschen zu Hause und damit auch am Telefon begleitet werden müssten. „Da ist Corona jetzt ein Lehrmeister.“ Aber ein Telefonat ersetzt niemals ein persönliches Gespräch.
Juliane Löffler ist eine Kollegin von Barbara Hummler-Antoni. Sie ist zuständig für die Lebens- und Sterbebegleitung. Und hier sind es ganz ähnliche Sorgen, die sie wegen der Kontaktbeschränkungen umtreiben. Teils würden sie Sterbenden am Telefon beistehen, „aber das ist nicht bei allen möglich“, sagt sie. „Der Faktor Einsamkeit mündet in fast nicht mehr zu ertragende Ausmaße.“ Sterbende müssen isoliert werden, Angehörige dürfen höchstens in Schutzkleidung, mit Brillen und Masken zu ihnen. „Von dieser Vermummung sind Sterbende zutiefst verschreckt“, sagt Löffler. „Man ist dahinter ja fast gar nicht mehr erkennbar.“ Gerade in der Sterbephase sei aber wichtig, dass alle Sinne zum Tragen kämen, „doch viele davon sind ja gerade abgeklemmt“, sagt Löffler. Mimik oder Gesten, die am Ende des Lebens vielleicht Versöhnung ausdrücken könnten, fallen weg. „Sterbende leiden einmal mehr, und Angehörige auch.“
Was das alles mit den Hinterbliebenen machen wird, wird die Zukunft weisen. Barbara Hummler-Antoni ist beim Thema aber Expertin genug, dass sie weiß: Es wird nicht spurlos an den Menschen vorbeigehen. Es sei erwiesen, dass Trauer länger dauere, wenn man nicht mit allen Sinnen Abschied nehmen konnte, sagt sie. Da staue sich etwas an, was sich irgendwann Bahn brechen wird.
Normalerweise setzen die Degerlocher Hospizmitarbeiter stark auf Rituale, die auf dem Weg der Trauer helfen können. So werde ein Verstorbener beispielsweise gemeinsam mit den Hinterbliebenen gewaschen und gesalbt. Das sei sehr „sinnstiftend“, sagt Hummler-Antoni. In Corona-Zeiten müssen die meisten Angehörige draußen bleiben. Sie berichtet von einem Fall vor wenigen Tagen. Jemand war im Hospiz verstorben, und die Familie und Freunde mussten vor dem Gebäude stehen. Die Kerze im Fenster war für sie wie ein Rettungsanker. Sie wird angezündet, wenn jemand stirbt, und sie wird erst ausgeblasen, wenn derjenige aus dem Hospiz abgeholt wird. Die Familie habe die Kerze fotografiert, um wenigstens etwas zu haben. Diese Isolation zwischen den Sterbenden und den Angehörigen, sagt Hummler-Antoni, „ist eigentlich völlig entgegen unserer Haltung“.