Cristiano Ronaldo möchte bei der Fußball-EM endlich mal ein großes Turnier gewinnen – um wirklich aufzusteigen in den kleinen Kreis der besten Fußballer aller Zeiten.

Lwiw - Cristiano Ronaldo ist in den letzten Tagen oft vorneweg gegangen. Der Kapitän der portugiesischen Nationalelf hat vor dem Abflug dem Staatspräsidenten versprochen, das Team werde dem Land zur Ehre gereichen. In Polen angekommen, betrat er den Trainingsplatz als Erster und schrieb als Letzter noch Autogramme. Ronaldo sieht sich auf einer Mission. Brust nach vorn, Kopf nach oben und dieses leichte Watscheln – selbst beim normalen Gang ist die Attitüde zu bemerken, die viele Fußballfans so provoziert, dass ihnen die Anerkennung seiner Klasse schwerfällt.

 

Deutschland gegen Portugal im Liveticker

Doch Antipathien zu ignorieren, hat Ronaldo früh gelernt. Wer aus Madeira kommt, einer kleinen Insel mit 250 000 Einwohnern, der weiß, dass er sich nicht verstecken kann. Bereits mit neun war er so bekannt, dass er Ablöse kostete – wobei Nacional Funchal in Naturalien zahlte: für 20 Fußbälle und ein paar Trikots kam er vom kleinen Verein Andorinha, wo sein Vater den Zeugwart gab. Die Familie war arm, die Lebensumstände hart. Der Vater starb später an den Folgen von Alkoholismus, der Bruder verfiel den Drogen. Es war wohl ganz gut, dass Ronaldo schon mit elf Jahren weiter aufs Festland zog, in die Jugendakademie von Sporting Lissabon. „Wäre Cristiano nicht Fußballprofi geworden, er wäre verloren gewesen“, sagte seine Mutter Dolores einmal.

Ergebnis eines One-Night-Stands

In Sportings Internat vor den Toren Lissabons führte er lange ein Außenseiterdasein. Die anderen Kinder hänselten ihn wegen seines Inseldialekts, als eine Lehrerin einmal dasselbe tat, schmiss er einen Stuhl nach ihr. Oft rief er schluchzend zu Hause an, er wäre ohne die Familie verloren gewesen. Als er zu Manchester United wechselte, bat er seine Mutter als Erstes, ihren Job als Hilfsköchin aufzugeben und ihm zu folgen. Heute zieht sie seinen Sohn groß, Cristiano heißt er. Er war das Ergebnis eines seiner One-Night-Stands.

Zuletzt bei seinem Wechsel von Manchester zu Real Madrid kostete er 94 Millionen Euro, aber in vielem ist er, der so früh erwachsen werden musste, immer noch ein Kind. Man kann es eitel und egozentrisch finden oder einfach bloß ehrlich, wenn er schon jetzt über die kommende Auszeichnung zum Weltfußballer des Jahres spricht: „In mir spüre ich enorme Hoffnung, sie zu gewinnen.“

So oder so kommt man nicht umhin, seinen Ehrgeiz zu respektieren. Ronaldo hat sich im komplizierten Madrider Umfeld behauptet, dem Druck seines Preisschilds standgehalten. Diese Saison schoss er 60 Tore, darunter mindestens eines gegen jede Erstligamannschaft Spaniens. In drei Jahren Madrid kommt er auf einen Schnitt von 1,02 Treffern pro Spiel. Das muss dem Portugiesen erst mal einer nachmachen.

Der Tiefpunkt kam 2010

„Ich befinde mich in der besten Phase meines Lebens“, sagte er vor ein paar Tagen. Aber zur kontroversen Figur Ronaldo gehört auch, dass es selbst in so einer Saison einen gewichtigen Einwand gibt – Reals Spiel des Jahres, das Champions-League-Halbfinale gegen die Bayern. Was nach zwei frühen Toren sein Meisterwerk hätte werden können, mündete in eine apathische Darbietung und schließlich einen verschossenen Strafstoß im Elfmeterschießen. Doch solange ihm ein großes, episches Match fehlt, wird die Anerkennung wohl nie ganz universal sein.

Mehr als jeden weiteren Goldenen Ball (nach 2008) bräuchte seine Biografie – außerdem einen Erfolg mit Portugal. Oder wenigstens mal: ein richtig starkes Turnier. In dem Maße, in dem die Erwartungen an ihn stiegen, ließen seine Leistungen bei Welt- und Europameisterschaften nach. Seinen bis heute besten Auftritt hatte er 2004, mit 19 Jahren, als der Druck auf anderen lag und er die Weltöffentlichkeit mit seiner Jugend, seinen Dribblings und seinem Waschbrettbauch faszinierte.

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Ansonsten: 2006 wurde er vom deutschen Publikum für seine Schwalben ausgepfiffen, 2008 ging er angeschlagen ins Turnier und wurde von Arne Friedrich entzaubert. Der Tiefpunkt kam 2010: Nach dem Achtelfinal-Aus gegen Spanien spuckte er in Richtung einer Kamera und verweigerte jedes Statement. Vorübergehend wurde er danach als Kapitän abgesetzt.

Jetzt geht er also wieder voran. Entgegen des Gockelklischees ist er beliebt in der portugiesischen Mannschaft. Man weiß, dass man ihn braucht, und versucht deshalb auch, ihn so gut wie möglich aufzubauen. Den „besten portugiesischen Spieler aller Zeiten“, nannte ihn gerade der Verteidiger Bruno Alves. Eine mutige Aussage angesichts historischer Größen wie Eusébio oder Luís Figo, aber wenn Ronaldo schafft, was diesen misslang, wenn er Portugal zu seinem ersten internationalen Titel führt, wird den Wahrheitsgehalt dieser These niemand mehr bestreiten. Insofern ist diese EM für Ronaldo wichtiger als für viele andere Stars der Manege.