Mehr als 1000 Mitarbeiter des neuen Daimler-Standortes in Ungarn sind in Deutschland geschult worden. Die Zusammenarbeit ist dabei gut angelaufen.

Rastatt - Istvan Wachter kennt Ungarns Autofabriken wie kaum ein anderer. Der Maschinenbauingenieur mit zusätzlichem MBA-Abschluss stammt aus Szentgotthard, hat dort Mitte der neunziger Jahre im Opel-Werk seine berufliche Laufbahn begonnen, wechselte 1998 zu Audi nach Györ und gehört seit zwei Jahren zur Aufbaumannschaft des Daimler-Werks in Kecskemét. Im neuen Werk ist der 41-Jährige mit dem kräftigen Händedruck, der gern lacht, Chef von 230 Mitarbeitern in der Montage. Wie viele seiner Kollegen war Wachter nach seinem Einstieg bei Daimler erst einmal drei Monate zur Schulung in Deutschland.

 

Auch heutzutage ist Istvan Wachter immer wieder zu Besprechungen im Werk Rastatt, wo die neue B-Klasse zuerst angelaufen ist, bevor die ersten Wagen in Ungarn produziert wurden. „Durch den zeitversetzten Anlauf können wir aus den Erfahrungen lernen, die die Kollegen in Rastatt gemacht haben“, erläutert der Manager. „Die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Rastatt läuft recht gut“, meint Wachter. Der Daimler-Mann aus Ungarn spricht gut Deutsch, hat schon immer mit Österreichern und Deutschen zusammengearbeitet, wie er sagt, war auch früher immer wieder mal beruflich hierzulande unterwegs. Doch bei Daimler war eines anders: „Wir sind offener aufgenommen worden, als ich das früher bei den anderen Unternehmen erlebt habe“, erinnert sich Wachter. „Sowohl in Sindelfingen als auch in Rastatt waren die Kollegen neugieriger auf uns und sind offener mit uns umgegangen.“

Anders als für den Teamleiter war der Beginn bei Daimler und die Schulung in Deutschland für viele seiner ungarischen Kollegen eine Expedition ins Ungewisse. „Viele waren noch nie so lange weg von der Familie, noch nie im Ausland“, berichtet Wachter. Zwölf Stunden ging es gruppenweise mit dem Bus von Kecskemét nach Rastatt. Für die Hotellerie rund um das Werk waren die dreimonatigen Schulungen ein kleines Konjunkturprogramm. Daimler hat sich darum gekümmert, dass die neuen Mitarbeiter in den Hotels nicht nur eine Internetverbindung gegen das Heimweh hatten, sondern auch Kühlschränke und Mikrowellengeräte. Viele brachten Salami, Paprika und andere Lebensmittel aus ihrem Heimatland mit, auch um möglichst viel von den Spesen, die Daimler zahlt, wieder mit nach Ungarn nehmen zu können. Auch Deutschkurse wurden angeboten. Anders als die Manager spricht die Mehrzahl der Arbeiter jedoch weiterhin nur die Muttersprache. Dolmetscher sollen helfen, wenn es in den deutschen Werken Verständigungsprobleme gibt. Mehr als 1000 Mitarbeiter aus Kecskemét haben so in den vergangenen zweieinhalb Jahren die deutschen Daimler-Werke kennengelernt, haben in Rastatt, Sindelfingen oder Bremen gelernt und gearbeitet. Trotz Sprachbarriere entstehe durch die Zusammenarbeit Kollegialität, meint der Rastatter Betriebsratsvorsitzende Karlheinz Fischer.

Heute zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende optimistischer

Als Daimler 2008 bekanntgab, dass die nächste Generation der Kompaktklasse sowohl in Rastatt als auch in einem neuen Werk in Ungarn produziert werden sollte, beurteilte Fischer die Entscheidung „mit vorsichtigem Optimismus“. Als Rastatter bedauere er zwar, wenn zusätzliche Arbeitsplätze nicht am heimischen Standort geschaffen würden; auf der anderen Seite, so Fischer damals, sei mit der Entscheidung jedoch zugleich die Beschäftigung in Rastatt gesichert worden, und es könnten auch hier zusätzliche Stellen entstehen.

Heute zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende optimistischer als damals. „Der gute Start der B-Klasse und die gute Resonanz auf die neue A-Klasse stimmen mich zuversichtlich, dass die Modelle der neuen Kompaktklasse in beiden Werken erfolgreich gebaut werden“, meint Fischer und sieht gute Perspektiven mit dem geplanten Produktionsprogramm. „Auch wir in Rastatt haben zusätzliche Beschäftigung bekommen“, so der Betriebsratschef, „Und als Kompetenzzentrum für die neue Kompaktklasse haben wir eine Schlüsselstellung, wenn es etwa gilt, neue Modelle in die Serie zu bringen.“ Heute arbeiten in Rastatt rund 6200 Mitarbeiter. In Kecskemét sollen es bis zum Jahresende 3000 Mitarbeiter sein.

Wie Fischer berichtet, habe der Gesamtbetriebsrat von Daimler schon früh den Aufbau einer guten Arbeitnehmervertretung unterstützt. Die Zusammenarbeit mit den ungarischen Kollegen laufe gut. „Wir stimmen uns ab, tauschen uns aus und helfen uns gegenseitig“. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie es sei, wenn ein Werk auf der grünen Wiese aufgebaut werde, erinnert der Betriebsrat an die Zeit Anfang der neunziger Jahre, als die badische Fabrik entstand.

„Meilenstein für den Automobilbau der Zukunft“

Damals bezeichnete der Stuttgarter Konzern das neue Werk als „Meilenstein für den Automobilbau der Zukunft.“ In Rastatt, so hieß es seinerzeit in einer Pressemitteilung, „kommen modernste Fertigungsstrukturen, Arbeitsabläufe, Logistiksysteme und Arbeitszeitmodelle zum Einsatz“. Monotone traditionelle Fließbandarbeit sollte abgeschafft und stattdessen Gruppenarbeit eingeführt werden, um körperliche Belastungen zu verringern, Eigenverantwortung zu erhöhen, eigene Arbeitskontrolle und mehr Abwechslung zu ermöglichen. Damit wollte Mercedes-Benz neue Maßstäbe setzen. Es galt die Devise: „Der Mensch im Werk ist unser Erfolgsfaktor.“

Doch nicht nur durch den misslungenen Elchtest der A-Klasse wurde diese vermeintlich heile Arbeitswelt erschüttert. Mehrmals mussten die Mitarbeiter in Rastatt um ihre Jobs bangen. Eine Tafel auf dem Flur vor dem Betriebsratsbüro erinnert in Rastatt an diese Achterbahnfahrt der Gefühle. Angesichts dieser turbulenten Vergangenheit, der glänzenden Gegenwart und der gerade begonnenen Modelloffensive bei den Kompaktwagen ist es verständlich, dass Karlheinz Fischer heute nicht daran denken will, was auf die Rastatter Mitarbeiter zukommen könnte, wenn die Autokonjunktur einmal einbrechen sollte und zu wenig Arbeit für beide Werke vorhanden sein sollte. „Klar liegt ein Spannungsfeld darin, dass das Unternehmen ein Werk in Ungarn gebaut hat, wo die Löhne niedriger sind“, räumt Fischer ein.

Der Unterschied ist gewaltig. Die Lohnkosten in Ungarn sind um satte 70 Prozent niedriger als in Deutschland, wie Daimler-Produktionsvorstand Wolfgang Bernhard bei der Eröffnung des Werks bekanntgegeben hat. Wie viel die Mitarbeiter in Kecskemét verdienen, will Daimler nicht offenlegen. Die Unternehmensberatung Kienbaum hat im Auftrag der Deutsch-Ungarischen Handelskammer gerade einen Vergütungsreport veröffentlicht, wonach Arbeiter in Ungarn im Schnitt rund 8500 Euro im Jahr verdienen, Fachkräfte 15 800 Euro, und Führungskräfte 38 000 Euro. Ungarn ist damit hinter die Slowakei und Tschechien zurückgefallen. Und das Leben ist alles andere als billig in Ungarn. Benzin ist fast so teuer wie hierzulande, Lebensmittel sind seit dem EU-Beitritt deutlich teurer geworden.

Deshalb kann man gut nachvollziehen, dass bei den ungarischen Mitarbeitern Begehrlichkeiten geweckt wurden, als die deutschen Kollegen in diesem Jahr eine Rekordprämie von 4100 Euro als Dankeschön für das Spitzenjahr 2011 kassierten, während sie selbst leer ausgingen. Nach der Kienbaum-Studie entspricht dieser Bonus immerhin dem halben Jahresgehalt eines ungarischen Arbeiters.

Istvan Wachter übt keine Kritik an der Gehaltskluft. Auf die Gehaltsunterschiede zwischen Deutschland und Ungarn und die sich daraus ergebenden Spannungen angesprochen, meint der Manager achselzuckend: „Darüber gibt es immer eine Diskussion, egal, ob bei Mercedes oder bei Audi. Das muss jeder verstehen, und das versteht man irgendwann, dass die lokalen Arbeitsmärkte eben unterschiedlich sind.“