Auf ihren Münsterturm sind die Freiburger besonders stolz. Zurzeit wird das Wahrzeichen der Stadt restauriert. Besucher können nach einem anstrengenden Aufstieg ihren Blick nach Osten bis zum Schwarzwald, nach Westen bis zu den Vogesen schweifen lassen.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Geschafft!“ Die Mittvierzigerin im hellen Sommerkleid schnauft und stemmt die Arme auf den Kassentisch. In der Sommerhitze 209 Stufen eine enge Wendeltreppe praktisch senkrecht nach oben steigen, das ist schon eine Leistung. „Und runter jibt et doch ‚nen Fahrstuhl, nö!“, sagt die Rheinländerin strahlend. Bruno Thoma rückt auf seinem Stuhl hin und her und schüttelt entgeistert den Kopf. „E Fahrstuhl? Des git’s hier nit.“ Der Ehemann der Dame grinst und zückt einen Fünf-Euro-Schein. „Zwei Erwachsene.“ Macht vier Euro. Thoma reißt zwei Kärtchen von der Rolle und schaut dem Paar nach, das sich in dem Zimmer mit den uralten Balken und knarrenden Dielen umschaut. Es ist die Turmstube des Freiburger Münsters und Bruno Thoma ist dort seit 28 Jahren Türmer in 45 Metern Höhe über dem Platz, auf dessen Nordseite die Bauern heimisches Obst und Gemüse, auf dessen Südseite Händler Oliven, Strohschuhe oder Schwarzwälder Speck verkaufen.   „Ein Aufzug!“ – Thoma schüttelt erneut den Kopf. Treppensteigen hat ihn selber topfit gehalten. Einmal die Woche macht der 76-jährige Schlosser Dienst hier oben, kassiert Eintrittsgeld, verkauft Ansichtskarten und Broschüren.

 

Viele Besucher, die mit hochrotem Kopf von der Treppe in die Turmstube kommen, sind überrascht. „Hä – eine Kasse, jetzt noch?“ Unten, am Eingang ist nur ein Schild. „Gwundert hän sich scho viele, aber nit zahlt un wieder nuntergange isch no keiner“, sagt Thoma schmunzelnd. Er stammt aus Ebringen, einem Winzerdorf südlich von Freiburg. Seine fromme Schwiegermutter war Mesnerin und die hat es eingefädelt, dass aus dem Handwerker ein Türmer im Münster wurde.

Der Türmer von heute braucht vor allem Geduld

Es schadet auch nicht, wenn es ein Handwerker ist, der die Turmstube bewacht, denn hier und da ist mal was zu reparieren. Hinter der Kasse steht das historische Uhrwerk, für dessen Wartung und Einstellung der Türmer zuständig ist. Die Uhr aus Straßburg wurde 1851 von Jean Baptiste Schwilgué installiert, aber seit 1984 wird das Zifferblatt des Münsters und der Glockenschlag von einer Funkuhr gesteuert. Der Türmer muss nur noch darauf achten, dass die alte Uhr nicht zu sehr von der Zeit abweicht. Im Mittelalter mussten die Türmer noch selbst jede Viertelstunde die Glocke schlagen, damit die braven Bürger wussten, dass über sie gewacht wurde.

Die alten Utensilien hängen noch an einem Balken: Eine trichterförmige Flüstertüte und lederne Wassereimer.   Heute braucht ein Türmer vor allem Geduld. Bruno Thomas muss gefühlte 500 Mal am Tag geduldig sagen, was man von deutlich sichtbaren Tafeln auch ablesen könnte. „Ja, da geht es zu den Glocken. Noch 33 Stufen.“ Und: „Ja, da geht es zur Aussichtsplattform. Noch 56 Stufen.“ Wer den Glockenstuhl besucht, sollte auf die Zeit achten. Zwölf Glockenschläge zu Mittag oder ein Geläut kann man ohne Ohrstöpsel kaum aushalten. Neunzehn Glocken mit einer Masse von 25 Tonnen hängen im Turm – und alle können zusammen läuten. Die älteste, die legendäre Hosanna aus dem Jahr 1258, wird im Volksmund auch Knöpfleglocke genannt, weil sie früher immer freitags um 11 Uhr zum Gedenken an die Kreuzigung Christi ertönte. Das Zeichen für die Hausfrau, jetzt die Knöpfle, die badische Variante der Spätzle, für das Mittagessen aufzusetzen.  

Den besten Rundumblick Freiburgs

Die Aussichtsplattform bietet den besten Rundumblick, den Freiburg zu bieten hat. Höher geht es nicht, bis zur Kreuzblume ganz oben auf 116 Metern kommen nur die Handwerker – und die nachtaktiven illegalen Klettermaxen, die schon mal zum Beweis, dass sie oben waren, eine Gitarre aufhängen. Der Blick ist grandios. Nach Osten schweift er über den Schlossberg zum Schwarzwald, nach Westen über den Kaiserstuhl bis zu den Vogesen.

Von oben erkennt man die mittelalterliche Struktur der Stadt. An der Schlossbergnase im Osten teilen sich die Verkehrsadern wie ehedem, die Gassen fließen wie Bäche auf das Münster zu und werden von ihm abgewiesen oder münden auf den Münsterplatz.   Das alliierte Bombardement vom 27. November 1944 hat die Gebäude ringsum, nicht jedoch das Münster vernichtet. Die wichtigsten Kulturgüter wurden wieder aufgebaut. Münster, Historisches Kaufhaus, Wenzingerhaus, Alte Wache und Erzbischöfliches Palais bilden das Herzstück der Freiburger Altstadt.

Das Münster ist das Wahrzeichen der von Zähringerfürsten 1120 gegründeten Stadt. Der Kirchenbau – zunächst im romanischen, dann weiter im gotischen Stil – zog sich von 1200 bis 1597. Die Bischofskirche ist eine Kathedrale, wird aber aus Tradition Münster genannt. Wer Dom sagt, stammt nicht aus Freiburg. Der Basler Kunsthistoriker Jacob Burckhardt hat den bereits 1330 kompletten Münsterturm den „schönsten Turm auf Erden“ genannt.   Leider ist der Turmhelm seit neun Jahren eingerüstet, weil eine Generalüberholung notwendig wurde. „Der Helm ist ein Wunderwerk“, sagt der Steinmetzpolier Tilmann Borsdorf, „es gibt kein zusätzliches Stützwerk, die Konstruktion trägt sich selbst.“

Die Experten der Münsterbauhütte tauschen sechs Steine aus

Die Turmpyramide sitzt auf einem achteckigen Geschoss, das von einem eisernen Ringanker zusammengehalten wird. Weitere Ringanker aus geschmiedetem Eisen sind auf den sieben Helmetagen in die umlaufenden Steine eingelassen und mit Mörtel und Blei versiegelt. Aber „weil die Ringanker alles halten müssen, drückt die Steinkonstruktion nach außen“, erläutert Borsdorf. Dadurch bekommen die Steine Risse, das Bauwerk wurde instabil. Die Experten der Münsterbauhütte haben entschieden, dass sechs Ecksteine ausgetauscht werden müssen – ausgerechnet die tragenden Verbindungselemente.

Das gleiche Problem gibt es beim Holz, auch bei den Balken hat das Wasser Schäden verursacht. Dank modernster Hydraulik und ausgefuchster Fachleute ist die Rettung schon weit fortgeschritten.   Ob das Gerüst Ende 2016 wie geplant tatsächlich fallen wird? Türmer Bruno Thoma lächelt und sortiert Karten auf dem Kassentisch. „Wenn me des wüsst“ – mehr will der erfahrene Handwerker nicht sagen. Nur eines noch: „Fertig isch diese Baustelle nie.“