Der Soulsänger Michael Kiwanuka hat sich mit seiner Rolle als Outsider abgefunden. Mehr noch: Er hat sein Außenseitertum in eine Stärke verwandelt – und sein neues Album selbstbewusst „Kiwanuka“ getauft.

Stuttgart - Hätte der junge Michael Kiwanuka in den Neunzigern Besuch von seinem erwachsenen Ich erhalten, das ihm eröffnet, er wäre irgendwann einmal ein weltbekannter Musiker, der seinem dritten Album den eigenen Nachnamen gibt, er hätte laut gelacht. Und doch ist jetzt genau das passiert: Nach seinem furiosen Soul-Debüt „Home Again“ und dem bewegenden Nachfolger „Love & Hate“ ist Kiwanuka bei Album drei angekommen – und nennt es ausgerechnet „Kiwanuka“, nach dem Namen, den er so lange nicht leiden konnte. „Als ich zehn Jahre alt war, hasste ich meinen Namen regelrecht. Niemand hieß wie ich, ich stach überall heraus, obwohl ich am liebsten unsichtbar gewesen wäre.“

 

Als Sohn ugandischer Eltern, die vor dem blutigen Amin-Regime nach England geflohen waren, wächst Kiwanuka im Nord-Londoner Stadtteil Muswell Hill zwischen Edwardianischen Häusern und dem Highgate-Friedhof auf. Immer schon fühlt er sich als Außenseiter. Zuhause, weil er die Sprache seiner Familie nicht spricht, in der Schule wegen seines vermeintlich seltsamen Namens, an der Royal Academy of Music, wo er ohne jedwede musikalische Bildung Jazz studierte. „Ich fühlte mich weder Britisch noch Ugandisch“, sagt er zu dieser Zeit. Das sei heute nicht unbedingt vorbei, doch er habe diese Rolle akzeptiert, sich zu eigen gemacht. „Ich bin ein Outsider – und das ist auch gut so!“, verkündet er mit einem Selbstbewusstsein, das man vor ein paar Jahren so noch nicht von ihm kannte.

Er sitzt in seiner tristen Garderobe im Wizemann, in einer Stunde wird er ein furioses Konzert geben. Doch er ist ganz ruhig, wirkt ausgeglichen und zufrieden. Auch das ist neu. „Ich wollte so sehr dazugehören, dass ich komplett übersah, dass all die Menschen, die mich inspirierten, herausstachen, weil sie eben nicht dazugehörten“, reflektiert er leise. „Sie waren Außenseiter, genau wie ich – und sie nutzten es für sich.“ Das tut Kiwanuka auf seinem dritten Album auch. „Heute kann ich sagen: Kiwanuka, das bin ich! Deswegen trägt das Album diesen Namen.“ Er lächelt. „Hätte durchaus ein wenig schneller gehen können.“

Der frisch entdeckte Optimismus geht einher mit einer musikalischen Fokusverschiebung. Nach dem Vintage-Soul des Debüts und dem emotional aufgeladenen „Love & Hate“ (von dem auch „Black Man in a White World stammt) öffnet Kiwanuka behutsam seine Klangwelt. Folk, Blues, Indie und Pop nehmen Platz in seinen warmen, immer noch nostalgisch surrenden Kompositionen, veredelt von dieser starken Stimme, die eher nach einem 65-jährigen Südstaatenmusiker als nach einem Engländer um die 30 klingt. „Ich will noch sehr lange Musik machen, will mich links und rechts des Weges umsehen“, sagt er zur stilistischen Umorientierung. „Dieses Album ist die erste Etappe auf meiner Reise zu mir selbst.“

Einladung von Kanye West

Noch ein Album im Stile der beiden Vorgänger und Kiwanuka wäre gefangen gewesen in seiner Nische als englischer Soulman mit voller Stimme und Vintage-Vibes. Doch er hat das karrieredefinierende dritte Album schlau genutzt, um sich auszubreiten, Raum zu schaffen für Experimente und neue Einflüsse. „Es war ein Befreiungsschlag“, nickt er. „Noch beim letzten Album hatte ich das Gefühl, beweisen zu müssen, dass der Erfolg des Debüts nicht einfach nur Glück war. Diesmal hatte ich mehr Bandbreite, mehr Raum zur Entwicklung.“ Erneut produziert mit Danger Mouse (U2, Red Hot Chilli Peppers), zeigt „Kiwanuka“ einen anderen, einen erfrischten Künstler mit starkem Fluidum. Das allein kommt seiner Definition von Erfolg schon sehr nahe. „Erfolg ist, zufrieden mit dem zu sein, was man tut“, stellt er fest. „Ich bestreite meinen Lebensunterhalt mit dem, was ich liebe: Ich stehe morgens auf und mache Musik. Wichtig ist nur, dass ich in Bewegung bleibe. Sobald ich das Gefühl habe, zu stagnieren, verfalle ich in eine regelrechte Depression.“

In Bewegung ist er seit Anfang an. Schon 2011, noch vor seinem Debüt, gewinnt er einen Preis der BBC und geht mit Adele auf Tournee, im Folgejahr ist er dann gleich für die Brit Awards, den Mercury Prize und die MTV Europe Music Awards nominiert. Und doch ist da oft dieses Zweifeln. „Es ist besser geworden, aber ich werde es nur schwer los. Aber es ist gut, Zweifel zu haben. Sie halten dich auf dem Teppich. Überhand nehmen dürfen sie aber nicht, sonst sabotiert man sich selbst.“

Das musste der junge Kiwanuka schmerzlich erfahren, als er 2012 von Kanye West nach Hawaii eingeladen wurde, um mit ihm an „Yeezus“ zu arbeiten. „Ich wusste einfach nicht, was die mächtigste Figur der Popkultur ausgerechnet von mir wollte“, erinnert er sich kopfschüttelnd. „Ich hatte ja noch nicht mal mein Debüt veröffentlicht. Wie sollte jemand wie er etwas von mir mitbekommen?“ Beladen mit seinen altbekannten Zweifeln fliegt Kiwanuka nach Hawaii und überlegte die ganze Zeit fieberhaft, wie er Kanye West zufriedenstellen sollte. „Und das war komplett irrsinnig, weil Kanye mich genau so haben wollte, wie ich war. Ich habe ihm einfach nicht geglaubt. Ich war nicht bereit dafür, ich selbst zu sein.“ Verbittert ist er deswegen nicht. „Es war einfach zu früh. Ich habe viel gelernt, außerdem hat mich alles an den Ort geführt, an dem ich jetzt bin.“ Er macht eine Pause und nickt dann entschlossen. „Ich bin froh, nein zu Kanye West gesagt zu haben.“