Die Mössingerin Maritta Krehl posiert nicht für Chanel oder Armani – und ist trotzdem als Fotomodell gut im Geschäft.

Mössingen - Fünfundzwanzig Norweger-Pullover, dreißig Minuten Zeit. Pullover überziehen, zurechtzupfen, Haare vor dem Spiegel richten, in Pose gehen. Fotografieren: dreimal von vorne, dreimal von links, dreimal von hinten. Ausziehen, anziehen. Neun Mal posieren, eine Hand am Kragen, die andere in der Hosentasche, vor dem Klick noch die fotogenste Haltung einnehmen, der kleine Ruck durch den Körper. Kopf, Brust, Hüfte, Bein kurz ausrichten, dann entspannen, neue Pose, Körperspannung, zwischendrin drei Mal blinzeln.

 

Ein Fotoshooting ist harte Arbeit. „Da ist Ausdauer gefragt“, sagt Maritta Krehl. Auch das Blinzeln zwischendurch ist wichtig. „Bei Maritta haben wir nie eine Aufnahme, auf der die Augen zu sind“, sagt Fotograf Hilmi Pesket. Ausschuss bei den Bildern mag er nicht. Nach einer Viertelstunde will er eine Zigarettenpause, damit seine Konzentration hoch bleibt.

Maritta Krehl ist Profimodel, „based in Stuttgart“, wie auf der Sedcard einer ihrer Agenturen steht. 173 Zentimeter, 56 Kilogramm, blaue Augen, wenig Tattoos. Steht alles drauf, neben Umfang von Brust, Bauch, Hüfte und Haarfarbe. „Die Modelbranche ist sehr oberflächlich“, stellt die 29-Jährige dazu fest.

Pullover, Bommelmützen und Jump-Suits

Wo bleibt der Glamour? Davon gibt es wenig im Studio von Eazystylez im zweiten Stock einer alten Fabrik in der Vorstadtstraße von Geislingen bei Balingen. Dafür ist die Stimmung gut. Es wird geflachst, Pesket macht Witze, Krehl lacht – und legt im nächsten Sekundenbruchteil wieder ihren neutralen Model-Ausdruck ins Gesicht. „Nur ein Kunde für Dirndl wollte, dass ich lache“, sagt Krehl. „Lachen ist Eighties“, erklärt Pesket.

Drei Mal die Woche fährt die gebürtige Reutlingerin (die auch nicht in Stuttgart wohnt, sondern in Mössingen im Kreis Tübingen) nach Geislingen und zieht dort für vier, fünf Stunden Sachen für Online-Händler an. Nach den Pullovern kommen Bommelmützen, dann Jump-Suits. Es ist Krehls Brotjob, die Arbeit zum Geldverdienen. Für jede Stunde wird ihr ein mittlerer zweistelliger Betrag überwiesen.

Auf den Verdienst kommt es an. „Model kann sich jedes kleine Mädchen nennen. Profi ist man erst, wenn man sein Geld damit verdient.“ Das tut Maritta Krehl, und zwar gar nicht schlecht, wie sie sagt – mehr jedenfalls, als wenn sie als Groß- und Außenhandelskauffrau arbeiten würde, was sie gelernt hat. Bedeutend interessanter sei es auch noch: „Nicht die ganze Zeit auf dem Hintern sitzen und in den PC reinschauen.“

Mit Andreas Gabalier in Kitzbühel

Maritta Krehl ist nicht nur als lebender Kleiderständer für Textilien, die über Amazon oder Ebay weggehen, gut im Geschäft, sie wird auch regelmäßig als Model für Fashion-Shows gebucht. Zum Beispiel präsentierte sie kürzlich in Kitzbühel zur Eröffnung eines Showrooms das Dirndl des Münchner Trachtenmoden-Herstellers Exatmo. Österreichs Schlagerstar Andreas Gabalier war als Stargast dabei und was sich sonst so an Prominenz in dem Tiroler Nobelskiort versammelt.

Solche Auftritte dokumentiert Maritta Krehl auf ihrer Bilderwand bei Facebook. Sie postet Selfies mit dem Designer Thomas Rath, für den sie auf dem Laufsteg arbeitet, mit Jürgen Drews, Roberto Blanco, Barbara Becker, Aufnahmen von der RTL-Charity-Show oder Schnipsel mit ihr in der Sat-1-Serie „Auf Streife“. „Ich rede gerne mit Prominenten“, sagt sie. „Mich interessiert, wie sie ihr Ziel erreicht haben, der Weg bis dorthin.“ Also doch Glamour.

Doch dann steht sie mittwochabends in der roten Arbeitskleidung von Clever-Fit, einem Mössinger Fitness-Studio, vor einem. Sie strahlt und lädt zum Training an den TRX-Bändern ein. Drei junge Frauen aus Dußlingen und Mössingen machen mit. Maritta Krehl gibt die Kommandos. „So jetzt bei zehn halten. Brennt‘s schon? Dann ist es gut. Und noch fünf Mal.“ Zwei Mal die Woche gibt sie Kurse bei Clever-Fit, in einer Kleinstadt-Einkaufsmeile zwischen Elektromarkt und Edeka.

Die Tricks der Profimodels

Vom Fotomodell für Beauty und Fashion ist in solchen Situationen nichts zu spüren. „Maritta protzt nicht“, erzählt eine ihrer Mitturnerinnen. Bei Clever-Fit ist sie einfach die Trainerin Maritta. Außer, wenn sie ein Mädchen zur Seite nimmt und ihr erklärt, dass Hungern kein Weg ist, um gut auszusehen. Sie sei ja schließlich Fotomodell und müsse das wissen. Und wenn Mutter Linsen und Spätzle koche, dann esse sie das auch oder gehe zum Hamburgerbrater, wenn sie Lust habe.

Die Tricks eines Profimodels zeigt sie nebenbei und gratis. Zum Beispiel wie die Pose geht, mit der jede Frau schlanker ausschaut. Und wie ist das mit dem angesagten Thigh-Gap? Krehl hat als Model die erstrebenswerte Lücke zwischen den Oberschenkeln. Auch dieses Schönheitsideal, erklärt sie, lasse sich für den Moment des Fotos betonen, wenn frau ihren Körper beherrsche. „Jetzt schau mal hin. Ich kann mich so hinstellen – oder so.“ Wieder was gelernt übers professionelle Posing.

Ein giraffenartiges High-Fashion-Model für die Laufstege von Mailand oder Paris ist Maritta Krehl aber nicht. „Ich muss nicht für Armani gelaufen sein. Dafür kann ich mir nichts kaufen.“ Obwohl – einmal dabei sein wäre ganz schön. Ihre Chancen sind aber nicht so gut. High-Fashion-Models seien 18 Jahre bis 25 Jahre alt und 174 Zentimeter bis 178 Zentimeter groß, sagt Bianca Handl, Chefin von Cabani-Booking in Regensburg, eine der Agenturen, die Maritta Krehl an die Kunden vermitteln.

Immer nett, immer freundlich, immer glücklich

Bianca Handl erklärt in wenigen Sätzen, wie das so läuft als Model. Erstens: die Frau muss ständig zur Verfügung stehen – ein, zwei Absagen, dann nimmt der Kunde eine andere. Zweitens: jede ist absolut austauschbar. Allein Cabani-Booking hat mehr als 500 Frauen in der Kartei. Drittens: du musst super professionell sein, sicher im Posing, von zehn Aufnahmen müssen neun passen. „Der Fotograf hat keine Zeit, dir zu erklären, wie du die Hand halten musst.“ Und auch das gehört dazu: immer nett, immer freundlich, immer glücklich sein und dazu noch teamfähig.

Das Immer-nett-und-freundlich-Sein hat Maritta Krehl drauf – auch nach dem Fitnesstraining, an dessen Ende sie allen Neulingen einen kräftigen Muskelkater für den nächsten Tag verspricht. Aber dass sie angeblich austauschbar sei, das wurmt sie. „Mich gibt es nicht zwei Mal.“ Unter der gewünschten Oberfläche sei sie Maritta Krehl mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Lust, aus dem Modeljob möglichst viel Freude herauszuholen, beim nächsten Shooting noch mal was Neues zu lernen. Sie zeigt ein Bild auf ihrem Handy, neben sich vier Kolleginnen. „Die sind alle blass. Ich habe Farbe. Die essen den ganzen Tag keine Kohlenhydrate. Ich schon.“

Begonnen hat Maritta Krehl ihre Karriere mit sechs Jahren beim Textilhaus Haux in Reutlingen, eins von den niedlichen Bildern steht immer noch auf Facebook. Dann wuchs sie aus der Kindermode raus. Mit 16 hätte sie vielleicht nach Mailand können. Aber die Eltern sagten: Der Ausbildungsvertrag zur Groß- und Außenhandelskauffrau wird unterschrieben! Vor die Kamera zog es sie trotzdem immer. Dann eben für Reutlinger Fotografen, auch mal mit rundem Babybauch. Für diese Shootings bekam sie kein Geld, konnte mit den kunstvollen Aufnahmen aber für sich werben.

Vorzeigefrau für Norweger-Pullover

So richtig eingestiegen ins Modeling ist Maritta Krehl erst wieder mit Mitte 20. Grund dafür war auch ihr jetziger Mann Klaus, als Partysänger Almklausi vom Stuttgarter Wasen bekannt und VfB-Fans auch vom Meisterjahr 2007 als Interpret des Songs „Ein Stern, der über Stuttgart steht“. Unterwegs mit dessen Anhängerschar traf sie einen Fotografen, „der noch mal das Feuer in mir geweckt hat“.

Maritta Krehl warf sich mit dem Elan einer Frau in den Modeljob, die es einst im Synchronschwimmen zum dritten Platz bei einer deutschen Meisterschaft gebracht hatte. Sie wollte herausfinden, was sie mit ihrem in 15 Jahren Leistungssport trainierten Körper erreichen kann. Heute ist sie eine Vorzeigefrau für Norweger-Pullover oder Designer-Dirndl.