Datenaffäre beim VfB Stuttgart Der Königsmacher gerät in die Schusslinie

Medienchef Oliver Schraft (obere Reihe, Zweiter von links) arbeitet seit 23 Jahren für den VfB. Foto: Baumann

In der Affäre um die Weitergabe der VfB-Mitgliederdaten an Dritte steht der Stuttgarter Mediendirektor Oliver Schraft im Zentrum der Kritik. Jener Mann also, der beim VfB im Hintergrund die Fäden zieht.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Es war im Spätsommer des Vorjahres, die Spätzle und Maultaschen dampften zur Mittagszeit auf den Tellern der Gäste des VfB-Clubrestaurants, als Wilfried Porth an den Tisch des Kommunikationsdirektors Oliver Schraft trat. Der stellvertretende Aufsichtsratschef des Vereins für Bewegungsspiele, der im Hauptberuf Vorstand Personal bei der Daimler AG ist, bat ihn um Hilfe in einer wichtigen Angelegenheit: Er solle doch auch mal mit Bernd Gaiser sprechen, um die Sache in die richtige Richtung zu lenken – die Richtung von Porth und Schraft.

 

Die Sache, die es in jenen Tagen offenkundig zu regeln galt, war die erstmalige Besetzung des Vorstandsvorsitzes der ausgegliederten VfB Stuttgart 1893 AG. Jenen fortan wichtigsten Job im Verein also, den seit dem 15. Oktober 2019 der ehemalige Nationalspieler und 2007er-Meisterspieler des VfB, Thomas Hitzlsperger, bekleidet. Der dreiköpfige VfB-Präsidialrat mit Porth und dem kommissarischen Präsidenten und Aufsichtsratschef Gaiser sowie dem Ex-Profi Hermann Ohlicher war bei der Rekrutierung von geeigneten Kandidaten federführend. Und auch Schraft redete aus dem Hintergrund ein gewichtiges Wörtchen mit – wie immer, wenn es in den vergangenen Jahren um die Besetzung der Führungsposten beim VfB ging.

Die Wahl fällt auf Thomas Hitzlsperger

Im engeren Kandidatenkreis hatte sich bis zuletzt auch Bernhard Heusler, der langjährige Präsident des FC Basel, befunden. Letztlich aber war es allein Hitzlsperger, der den VfB-Aufsichtsräten zur Wahl vorgeschlagen wurde, ehe das Gremium den heute 38-Jährigen ins Amt berief.

Einmal mehr hatte sich also der Lieblingskandidat des Oliver Schraft durchgesetzt. Überraschend kam dies nicht: Denn der 53-jährige Kommunikationsdirektor, der aktuell durch den erstmals vom Fachmagazin „Kicker“ erhobenen Vorwurf, Mitgliederdaten des Vereins an Dritte weitergereicht zu haben, ins Zweilicht gerückt ist, gilt beim VfB schon lange als der Königsmacher schlechthin.

Nun steht Oliver Schraft, der mächtige Mann im Hintergrund, selbst in der Schusslinie. Schon jetzt ist der Imageschaden immens, den der Medienchef als mutmaßlicher Drahtzieher eines undurchsichtigen Spiels hinter dem Rücken der eigenen Mitglieder mit Beginn des Frühjahres 2016 maßgeblich zu verantworten hat. Als „glaubwürdiges Guerilla-Marketing“ soll Schraft in streng vertraulichen Papieren seine Idee deklariert haben, über die vormals neutrale Facebook-Fanseite des PR-Unternehmers Andreas Schlittenhardt die VfB-Anhängerschaft mit subtilen Methoden zu einem Ja für die Ausgliederung auf der Mitgliederversammlung des VfB im Sommer 2017 zu bewegen.

Oliver Schraft ist kein Alleintäter

Dies war zu einer Zeit, als dem VfB unter dem umstrittenen Präsidenten Wolfgang Dietrich offenbar jedes Mittel recht schien, die Ausgliederung gegen sämtliche Widerstände durchzudrücken. Schraft ist also mitnichten der Alleinverantwortliche – auch die Rolle von Dietrich sowie des unter anderem für die Verwaltung zuständigen Vorstands Stefan Heim und die des Marketings-Vorstands Jochen Röttgermann wird zu beleuchten sein. Unstrittig scheint, dass Marketingleiter Uwe Fischer dem VfB-Medienchef zuarbeitete.

So soll Oliver Schraft an die Agentur von Andreas Schlittenhardt, der vom VfB im Frühjahr 2016 offiziell lediglich als Partner für Marketingfragen ins Boot geholt wurde, unter anderem am 7. März 2016 rund 35 000 E-Mail-Adressen von VfB-Mitgliedern versendet haben. Ähnliche Listen mit Handynummern, Wohnorten und Teilnahmen an vergangenen Mitgliederversammlungen sollen gefolgt sein. Inwieweit Schraft damit gegen geltenden Datenschutzrichtlinien verstoßen hat, ist ein Fall für die Juristen.

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Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist dagegen schon jetzt gigantisch. Auch der latente Vorwurf der Intransparenz wie etwa in der Dietrich-Quattrex-Affäre, der die Ära des Oliver Schraft beim VfB zuletzt begleitete, erhält so neue Nahrung. Wird Schraft das selbst ausgelöste Stuttgarter Datenbeben beruflich überstehen? Noch erbittet sich der Vorstandsboss Hitzlsperger Zeit, um die Faktenlage zu prüfen. Wie wird der Mann, der Schraft seine eigene Karriere beim VfB zu großen Teilen zu verdanken hat, letztlich reagieren?

Intermezzo beim VfL Wolfsburg

Offiziell fungiert Schraft, der ehemalige Praktikant der Pressestelle, der unterbrochen von einem zweijährigen Intermezzo in den Jahren 2012 bis 2014 beim VfL Wolfsburg bereits 23 Jahre beim VfB tätig ist, inzwischen im Rang eines Direktoren als Mitglied der Geschäftsleitung. Dabei ist der 53-Jährige schon lange der große Strippenzieher im Hintergrund; viele langjährige Beobachter nennen den Einflüsterer der Bosse gar den heimlichen Präsidenten.

Würde man das gelebte Organigramm des VfB auf einem Blatt skizzieren, wäre Schraft ein Platz im Zentrum des Papiers ganz sicher. Denn so gut wie alle Fäden laufen bei dem Mann zusammen, der sich über die Jahrzehnte ein imposantes Netzwerk aufgebaut hat. Ohne „den Oli“, da waren sich die Präsidenten des VfB von Erwin Staudt über Bernd Wahler und Wolfgang Dietrich bis hin zum AG-Vorstandschef Hitzlsperger einig, geht beim VfB nichts. Lediglich mit Gerd Mäuser kam es zum Zerwürfnis, weshalb Schraft dem Ruf seines Freundes, des Ex-VfB-Trainers Felix Magath, folgte und im Herbst 2012 in Wolfsburg anheuerte.

Gerade ein paar Wochen ist es dagegen erst her, da erklärte auch der amtierende VfB-Präsident Claus Vogt, wie froh er sei, Schraft zu haben, der ihm bei Fragen der öffentlichen Kommunikation „die Leitplanken“ vorgebe.

Tatsächlich hat sich Oliver Schraft über die Jahre viele Verdienste um den VfB erworben. So fallen auch die Deutsche Meisterschaft von 2007 und die Hochphase des Clubs mit diversen Teilnahmen an der Champions League in seine Amtszeit. Allerdings hat sein Schaffen über die Jahre eine Eigendynamik entwickelt. So verfolgte der Medien-Stratege, dem bei seiner Rückkehr zum VfB vor sechs Jahren das neue Amt des Leiters der Unternehmenskommunikation auf den Leib geschneidert wurde, immer stärker das Prinzip der verschlossenen Türen.

Der VfB verliert Teile der Fanbasis

Mit dieser Politik kam der VfB Stuttgart schon einige Zeit nicht mehr diskussionsfreudig und offen daher. Dazu kam der sportliche Niedergang im vergangenen Jahrzehnt mit zwei Abstiegen aus der Bundesliga.

Nun setzt die Affäre um die Weitergabe der vertraulichen Mitgliederdaten einen neuen negativen Höhepunkt. Gut möglich, dass sie für Oliver Schraft den persönlichen Abpfiff bedeutet.

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