Das allgemeine Unbehagen bei den Stadträten war mit Händen zu greifen, als der Wirtschaftsausschuss am Freitag erneut über die Standorte für Flüchtlingsquartiere debattierte. Mindestens 1500 zusätzliche Plätze müssen geschaffen werden.

Stuttgart - Das allgemeine Unbehagen bei den Stadträten war mit Händen zu greifen, als der Wirtschaftsausschuss am Freitag erneut über die Standorte für Flüchtlingsquartiere debattierte. In der nunmehr sechsten Tranche muss die Verwaltung erneut mindestens 1500 zusätzliche Plätze schaffen – 700 kämen dazu, wenn man im Jahr 2016 die fünf Turnhallen im Stadtgebiet freimachen will, die bisher als Notquartiere für Asylsuchende dienen. Auch der für Liegenschaften zuständige Bürgermeister Michael Föll (CDU) räumte ein, bei den neu vorgeschlagenen Standorten handele es sich nicht mehr um „ideale“ Lösungen: „Wir haben hier kein Komfortproblem, sondern stehen unter erheblichem Zugzwang“, so Föll.

 

Die neuen Quartiere müssen noch im Laufe des Jahres genehmigt und in Betrieb genommen werden. Sonst droht laut Föll die Belegung zusätzlicher Turnhallen. Doch vor Ort mehren sich die Bedenken, tatsächliche oder gefühlte Belastungen werden zunehmend artikuliert. Etwa in Möhringen an der Kurt-Schumacher-Straße, wo zu den bereits beschlossenen drei Systembauten zwei weitere hinzukommen sollen. Der örtliche Bezirksbeirat hatte die Pläne mehrheitlich abgelehnt. Oder im Mühlhausener Stadtteil Hofen, wo in der Nähe der Golfanlage am Neckar an der Wagrainstraße zu den drei beschlossenen ebenfalls zwei zusätzliche Systembauten errichtet werden.

Artenschutzrecht kontra Anwohnerinteressen

Den Druck der Bevölkerung bekommen nach den Bezirksbeiräten auch die Stadträte zu spüren. Im Fall Hofen etwa wurde die Alternative, die Gebäude nicht in die Kleingärten hinein zu bauen, sondern sie anders anzuordnen, aus artenschutzrechtlichen Gründen verworfen. In der Nähe befindet sich ein sogenanntes Habitat für die streng geschützte Zauneidechse, das nach EU-Richtlinie nicht bebaut werden darf. „Wir bekämen dafür keine Baugenehmigung“, sagte Michael Föll. Die Abwägung zwischen den Bedürfnissen der Zauneidechse und den Interessen der dort lebenden Anwohner sei schwierig zu vermitteln, entgegnete der SPD-Stadtrat Hans H. Pfeifer. Joachim Rudolf (CDU) warf die Frage auf, ob das Europäische Artenschutzrecht „in Notsituationen“ nicht umgangen werden könne, auch für Andreas Winter (Grüne) wäre das eine Lösung. Doch Föll entgegnete, die Stadt müsse die Standorte „nach geltender Rechtslage“ auswählen. Bernd Klingler (AfD) sagte, man könne zwar die Eidechsen nicht vergrämen (also vertreiben), vergräme dafür aber die Anwohner.

Besonders umstritten ist auch der Standort Schlotwiese in Zuffenhausen. Dort sollen knapp 400 Flüchtlinge untergebracht werden. Die Fläche liegt in einem Landschaftsschutzgebiet, vor Ort werden die Nähe zum Freibad des Sportvereins und die Abgelegenheit des Standorts bemängelt. Föll wies darauf hin, dass es bereits in den 1990er Jahren Quartiere ähnlicher Größe – etwa an der hohen Hohem Eiche in Degerloch – gegeben habe.

Warten auf das Votum des Bezirksbeirats in Zuffenhausen

In Zuffenhausen gebe es Alternativen, den Festplatz zum Beispiel, aber eine Flüchtlingsunterkunft dort würde das Ortsleben sehr viel mehr belasten: „Dann findet dort eben kein Wochenmarkt mehr statt, und das Fleckenfest fiele weg“, machte Föll die Konsequenzen deutlich. Da der Bezirksbeirat Zuffenhausen wegen des großen Publikumsandrangs in der Zehntscheuer zu Wochenbeginn keine Stellungnahme abgeben konnte, will man dessen Votum zunächst abwarten. Michael Föll und Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) werden am 16. Februar im Bürgerhaus Rot zudem einen Informationsabend abhalten.

Für den AfD-Sprecher Klingler steht dagegen fest: Die Standorte seien wirtschaftlich unrentabel, er sprach von „Wohlfühl- und Welcome-Oasen“ für Flüchtlinge und unterstützte den Vorstoß des CDU-Landtagsabgeordneten im Wahlkreis Nord und Rechtsanwalts Reinhard Löffler, notfalls den Eiermann-Campus in Vaihingen für die Flüchtlinge zu beschlagnahmen. Föll wies die Idee seines Parteifreundes, deren Urheberschaft Klingler für die AfD reklamierte, allerdings als „rechtswidrig“ zurück: „Das muss sich auch der promovierte Jurist Löffler sagen lassen.“ Zugleich lobte er die Bezirksbeiräte: „Kein einziger hat bisher nach dem Sankt-Florian-Prinzip argumentiert, man möge doch bitte in anderen Stadtbezirken nach geeigneten Standorten suchen.“