Gerhard Raff sammelt mit einem Vortrag Geld für die Haigstkirchen-Stiftung.

Degerloch - Beides sind Stuttgarter Gotteshäuser. Zur Zeit stellt Gerhard Raff seine Vorträge und Bucherlöse ja vor allem in den Erhalt der höchst bedeutenden Veitskapelle zu Mühlhausen aus dem 14. Jahrhundert. Aber die 1953 geweihte und für die Stuttgarter Gesamtgemeinde seit 2005 „entbehrliche“ Haigstkirche ist dem Landeshistoriker und Ur-Degerlocher doch eine Ausnahme wert. Die Kirche war voll, als der „Benefiz-Schwätzer“ am Freitagabend hoch bildend, etwas frech und durchweg spannend über den Haigst plauderte. Die Spenden gingen an die Haigst-Stiftung, die inzwischen für den Erhalt der Kirche sorgt.

 

Organist Professor Volker Lutz, künstlerischer Leiter der renommierten Konzertreihe dort, umrahmte das Ganze mit Toccaten des 1616 in Stuttgart geborenen Johann Jakob Froberger, der in Rom katholisch wurde und als Wiener Hofmusikus entlassen im Asyl der württembergischen Grafschaft Mömpelgard im Burgund starb. Der Haigst, mundartlich das Höchste der Alten Weinsteige, gehört kirchlich noch immer zur Stadt, politisch zum Gebiet des 1908 eingemeindeten Filderbauern- und Wengerterdorfs, dem damals aufstrebendem Höhenluftkurort für die Stuttgarter und deutsche Hautevolée. Der Haigst war Grenze zwischen dem Land „ob der Steig“ und „unter der Steig“, oben am schon 1317 urkundlich erwähnten „Ritter“ wechselten die Reisenden auf der „Schweizer Chaussee“ gen Zürich, Gotthard und Rom die Pferde, wie Goethe. Dort balgten sich Württemberger und Esslinger um die Filder, logierten die französischen Revolutionstruppen, wurde das schwer zerstörte Stuttgart 1945 kampflos den anrückenden Franzosen übergeben. Vom wiedererrichteten Obelisken am heutigen Santiago-de-Chile-Platz aus lässt Gerhard Raff bereits 1534 die Reformatoren Schnepf und Blarer lutherisch gen Nord- und eher zwinglisch gen Südwürttemberg ausschwärmen.

Mussolini, Schweitzer oder Heuss hatten mit Degerloch zu tun

Zwischen 1826 und 1831 ersetzte man das beschwerliche Steilstück durch die Neue Weinsteige. Unter Schultheiß Wilhelm Gohl wurde (nach der Wunder-Weinernte von 1868) eine Wasserversorgung aufgebaut, kam 1884 die Zacke zum Bopser hinauf. So unterschiedliche Leute wie Benito Mussolini, Albert Schweitzer, Theodor Heuss oder Jürgen Schrempp hatten mit Degerloch und der Steige zu tun. Auf dem Haigst lebten Industrielle wie Göhring (Hansa-Armaturen), der später im KZ ermordete jüdische Juwelier Otto Justitz oder nach dem Weltkrieg der Luftfahrtpionier Ludwig Bölkow .

Gerhard Raff ließ nicht nur Ereignisse, Namen und Daten in Überfülle lebendig werden, er steuerte auch wunderbare eigene Geschichten und Anekdoten zum Haigst bei. Etwa von dem schrillen Punker-Mädchen, das in der Bahn zwischen Olgaeck und Albplatz aus dem „Schatzkästlein“ des Johann Peter Hebel liest, dieses von Goethe wie Bloch bewunderten größten alemannischen Dialektautors.

Die Spendenkörblein füllten sich randhoch. Und auf dem Haigst überweist man nach so einem eindrücklichen Abend auch danach gern mal großzügig an die Stiftung.