Das vor einem Jahr abgebrochene und eingelagerte Gebäude aus dem Hospitalviertel stammt mindestens aus dem Jahr 1550, wie eine Untersuchung des Holzes ergeben hat. Am früheren Standort ist seit dem Abriss gar nichts passiert
Stuttgart - Gleich ums Eck wird kräftig gebaut: Beim neuen Hospitalhof ist der Innenausbau in vollem Gange. Daneben in der Firnhaberstraße 1 aber herrscht Stillstand: Vor einem Jahr ist dort ein historisches Wengerterhaus trotz Protesten von Historikern abgerissen worden, um einem Wohn- und Geschäftshaus Platz zu machen. Doch der angekündigte schnelle Baustart blieb aus – noch immer blickt der Passant in eine Grube, in der man noch Backsteine des Kellers erkennen kann.
Grund für den Stillstand dürften Streitigkeiten ums Geld sein. Der damalige Besitzer soll seit Monaten Raten an die Verkäuferin nicht mehr gezahlt haben. Mit dem Abbruchunternehmer traf sich der Eigentümer, der den Sitz seiner Objektgesellschaft mittlerweile nach Bayern verlegt hat, kürzlich dann vor Gericht. Dabei beklagte sich der damalige Besitzer auch über die Rufschädigung, die er angeblich dadurch erlitten habe, dass der private Stuttgarter Denkmalschützer Peter Seydelmann das Haus ohne seine Kenntnis gerettet habe und die Medien darüber berichtet hätten.
Das Grundstück hat mittlerweile einen neuen Besitzer
Tatsächlich ist das Grundstück nun weiter verkauft worden, und zwar an die Firma Pro Contact in Leinfelden-Echterdingen. Dem Vernehmen nach will der Geschäftsführer Rainer Neumann das Projekt seines Vorgängers weiterführen; allerdings wurden bereits abgeschlossene Kaufverträge für einzelne Etagen wieder aufgelöst. Wann der Baubeginn sein wird, ist unbekannt – trotz mehrerer Anrufe war keine Stellungnahme von Pro Contact zu erhalten.
Peter Seydelmann hatte im Juni 2012 eine Spezialfirma aus Oberschwaben damit beauftragt, das Gebäude Wand für Wand abzutragen und in einer Halle einzulagern. Er und auch der Anwalt des Abbruchunternehmers sind der Meinung, dass dem früheren Besitzer kein Schaden entstanden sei: Das Haus sei wie besprochen beseitigt worden, und das Grundstück war frei zur Bebauung. Ob das Abbruchmaterial auf die Deponie kam oder wiederverwertet wird, sei schließlich unerheblich.
Das Wengerterhaus stand beim Bau fast direkt am Stadtrand
Mittlerweile hat Seydelmann zwei Holzproben dendrochronologisch untersuchen lassen, um das wirkliche Alter des Gebäudes herauszufinden. Bisher hatte der Historiker Harald Schukraft das Baujahr aufgrund der Stilformen auf spätestens 1650 geschätzt. Nun hat die Probe an einem Balken ergeben, dass der Baum um das Jahr 1550 gefällt worden ist. Die Vorstadt um das Dominikanerkloster bestand damals erst seit 100 Jahren; das Wengerterhaus lag beim Bau noch fast direkt am Stadtrand. Die zweite Holzprobe verweist dagegen auf das 17. Jahrhundert. Vermutlich wurde dieser Balken also rund 100 Jahre nach dem Bau des Hauses ersetzt.
Für Peter Seydelmann ist das aber noch nicht der Schlusspunkt der Recherchen. Er glaubt, dass das Haus deutlich älter sein könnte – um dies zu beweisen, müsse man aber die senkrechten Eckpfosten, die sehr robust waren und selten ausgetauscht wurden, untersuchen. Im Moment sei dies nicht möglich, da man dazu die im Ganzen geborgenen Wände zerstören müsste. Jedenfalls ist Seydelmann nach wie vor überzeugt, dass das Wengerterhaus sehr erhaltenswert war. Für einen Großteil des Fachwerks sei Eiche verwendet worden, was auf eine sehr gute Qualität des Hauses hinweise. Und bis auf zwei Außenwände sei auch noch viel originale Substanz vorhanden. Die Denkmalbehörde Stuttgart hatte dem Gebäude im Jahr 1999 auf Antrag des Besitzers den Status des Denkmalschutzes entzogen, gerade weil nicht mehr viel authentische Substanz zu finden gewesen sei.
Gebäude soll in Backnang wieder aufgebaut werden
Neu erstrahlen soll das Wengerterhaus in dem kleinen Ort Strümpfelbach bei Backnang, wo Seydelmann bereits den Katharinenhof, ein früheres Jagdhaus der württembergischen Könige, besitzt. Die Stadt unterstützt das Vorhaben, doch ein geeignetes Grundstück in der Ludwigsburger Straße, direkt in der Ortsmitte von Strümpfelbach, ist nun als neuer Standort ausgefallen. Um den gesetzlich vorgeschriebenen Abstand des Hauses zum Nachbargrundstück einzuhalten, hätte Seydelmann einen 1,5 Meter breiten Streifen vom Nachbar erwerben müssen. Doch der Eigentümer war nicht zum Verkauf bereit. Ein anderer angebotener Standort in der Hermann-Reusch-Straße gefällt Seydelmann nicht so gut, weil im Umfeld keine historischen Gebäude stehen.
Vorerst bleibt das Wengerterhaus also in der Lagerhalle in Oberschwaben. „Mit der Restaurierung kann man erst anfangen, wenn klar ist, wo das Haus seine neue Heimat findet“, sagt Peter Seydelmann.