Der Esslinger Robert Wolf alias Robeat ist Europameister im Beatboxen. Wie kreiert der 27-Jährige seine akustischen Illusionen? Ein Hausbesuch.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Esslingen - In Robert Wolf steckt ein Terminator. Und ein Auto. Und ein Bienenschwarm. „Nein, nein, wir müssen schon bei den Fakten bleiben – es ist nur eine einzelne Biene“, sagt der 27-Jährige. Wenn er den Mund aufmacht, kommt die Biene heraus. Wie das Auto und der Terminator und noch vieles mehr. Robert Wolf ist Robeat, Deutschlands bekanntester Beatboxer. Nur Kraft dessen, was ihm die Natur mitgegeben hat, vermag er beeindruckende Geräusche zu erzeugen.

 

Esslingen, Stadtteil Berkheim, ein unscheinbares Sechsfamilienhaus an einer Einfallstraße. Ein Grillenzirpen klingt als Orientierungshilfe zur Begrüßung durchs Treppenhaus. Vor der Eigentumswohnung im Dachgeschoss liegt eine Fußmatte mit der Aufschrift „Robeat – Feel the beat“ – vielleicht jedoch nicht mehr lange. „Ich bin froh, wenn ich hier weg bin, ich habe massiv Probleme mit den Nachbarn“, sagt der Künstler. Robeat schläft zwar öfter im Hotel als zu Hause, doch wenn er da ist, stört er die Nachbarn, weil zwei bis sechs Stunden Proben pro Tag angesagt ist, mit Mikrofon und Verstärker. „Ich will aber schon hier in der Gegend bleiben, ich bin ein richtiger Esslinger Bursche.“

Beatboxen ist das Erzeugen von Schlagzeug- und Percussionsgeräuschen mit dem Mund. Über seinen besten Freund kam Robeat als 13-Jähriger dazu. Beatmachine nannte er sich zunächst. Wie sein heutiger Künstlername entstand, kann er nicht mehr sagen. Was er aber noch genau weiß: Damals hatte er keine Lust mehr auf Musical, womit künstlerisch eigentlich alles angefangen hatte.

Vom Kinderdarsteller zum Supertalent

Seine ersten Bühnenerfahrungen sammelte Robert Wolf zwischen seinem sechsten und seinem elften Lebensjahr als Kinderdarsteller in „Miss Saigon“ sowie in „Die Schöne und das Biest“ im Stuttgarter SI-Centrum. Skateboarden fand er aber irgendwann cooler als Singen und Tanzen. Und dann kam das Beatboxen. Mit Lippenflattern, Zischen und Klicken fing es an. Nach einem Jahr vermochte er das zu kombinieren. Heute tritt der Mundakrobat mit seiner selbst inszenierten Geräusche-Show auf, beispielsweise von vergangenem November bis März im Stuttgarter Palazzo-Spiegelpalast.

In der Küche stehen noch die Pfannen vom Mittagessen: Reis mit Hähnchen und Aubergine, dazu frischer Ingwer. Der Sohn einer Filipina und eines Halbfranzosen kocht gerne selbst: „Ich bin kein Fan von Fertigsachen.“ Natur pur, so wie seine Kunst, die er über die Jahre perfektioniert hat. Der Durchbruch gelang ihm 2007 in der RTL-Show „Das Supertalent“, für die er sich nicht mal bewerben musste. „Ich wurde angeschrieben, ob ich mitmache. Die vom Fernsehen waren sehr hartnäckig“, erzählt er. „Vor dem ,Supertalent‘ habe ich jeden Auftritt angenommen, der mir angeboten wurde, danach konnte ich mir die Bühnen aussuchen.“

Nach der mittleren Reife an der Realschule Oberesslingen 2007, wo er schon mal die Lehrer erfolgreich mit einer vorzeitigen Pausenglocke foppte, machte er seinen Freizeitspaß zur Erwerbstätigkeit. Er kann mittlerweile gut von seiner Kunst leben. Außer ihm gibt es lediglich zwei, drei andere Beatboxer in Deutschland, denen das vergönnt ist.

2009 schaffte es Robeat – in „Freche Mädchen 2“ und „Die Superbullen“ – auf die Kinoleinwand. 2010 bekam er auf dem Cartoon Network eine eigene Sendung. Und seit 2013 ist er Europameister im Beatboxen. „Andere haben Flugzeuge im Bauch, ich habe ein Schlagzeug im Mund“, sagt Robeat. Er ist ein Vorbild für viele andere Vertreter seiner Zunft. Auf seinem Youtube-Kanal sind fast neun Millionen Aufrufe verzeichnet. Mit Videos wie „Pure Electro“ setzt er Maßstäbe – seit der Veröffentlichung haben viele Kollegen so einen Elektrobeat in ihr Repertoire aufgenommen.

Das fünfte Element

Beatboxen kann prinzipiell jeder. „Pizzakatze“ ist ein guter Einstieg – Konsonantentraining. Das Wort wird wiederholt, immer schneller und akzentuierter, bis die Vokale sich verflüchtigen. Robeat beherrscht nicht nur die Pizzakatze in Perfektion. Dank hartem Training, teilweise bis zum Bluten von Lippe oder Zunge. Die Kunst ist letztlich nicht, die Geräusche zu beherrschen, sondern sie zu kontrollieren und dann variabel einzusetzen. Perfekt ist es, wenn diese nicht mehr menschlich klingen, sondern wie von einem Computer.

Etwa 300 bis 350 Sounds hat Robeat im Repertoire, bis zu drei kann er miteinander verknüpfen. Mehr geht nicht, auch wenn es sich nach mehr anhört. „Das ist die Technik, durch die Schnelligkeit schafft man eine Illusion. Das ist wie bei einem Kartentrick – wir sind die Zauberer für die Ohren“, sagt er. Die Magie seines Mundes wendet er übrigens auch gerne mal im Alltag an: „Wenn ich laufe und zum Spaß belle oder ein Handy klingeln lasse und die Leute darauf entsprechend reagieren, hast du es geschafft, dann ist die Illusion perfekt.“

Für Anfänger hat der Esslinger Virtuose eine Lern-DVD herausgebracht, außerdem gibt er immer wieder Workshops. „Wenn du eine Gabe hast, dann gib sie weiter“, lautet sein Motto. Zur Förderung des Beatboxens veranstaltet er alljährlich den sogenannten Robeat-Award – Stuttgarts Beatbox-Battle. Bei der fünften Auflage am Samstag stellen sich 28 Teilnehmer im Renitenztheater einer internationalen Jury. Bewertet werden Musikalität, Originalität, Technik sowie die Qualität der Show und der Übergänge. „Es gibt kein richtig oder falsch – es gibt ja keine staatlich geprüften Beatboxer“, sagt der Gastgeber Robeat.

Beatboxen ist zum fünften Element des Hip-Hops neben Rap, Breakdance, DJing und Graffiti geworden. Seine Anfänge nahm es in den 80er Jahren in den USA. Da das Geld für Instrumente fehlte, begannen Jugendliche, einfach ihre eigenen Begleitbeats zum Rapgesang zu kreieren. Daraus entwickelte sich eine Kunstform.

In den 90ern kam das Beatboxen in Deutschland auf, Robeat machte es später bekannt. „Bei ihm kommen ein paar Dinge zusammen“, sagt Jürgen Christ, Leiter des Lehrstuhls Kultur-Media-Technologie an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe. „Er verfügt über eine außergewöhnliche Musikalität und hat akribisch die Technik des Beatboxens verfeinert, er sucht in Deutschland sicherlich seinesgleichen.“ Der 57-jährige Professor kennt Robeat aus zwei gemeinsamen Projekten. Er komponierte für den Beatboxer das Orchesterstück „Beatfire“ und eine viersätzige Sinfonie, die 2013 im Schloss Hohenkammer bei München uraufgeführt wurde. „Robeat hat eine außergewöhnliche Präsenz und ein Charisma, das man ebenso wenig lernen kann wie seine soziale Intelligenz“, sagt der Klassikexperte Jürgen Christ, der schon an der Seite von Genregrößen wie dem Dirigenten und Pianisten Daniel Barenboim gearbeitet hat.

Der Hut ist für ihn die Pandamaske

Eigentlich benötigt Robeat für seine Musik kein Orchester, denn er ist selbst ein Klangkörper – mit Hut. Die schwarze Kopfbedeckung ist sein Markenzeichen, sie macht Robert Wolf zu Robeat. Sie ist für ihn, was für den Rapper Cro die Pandamaske ist. „Die Leute erkennen mich schon auf der Straße und sprechen mich an, aber nur, wenn ich den Hut aufhabe – ohne bin ich total inkognito“, sagt er.

Mal sitzt Robeat während des Gesprächs am Wohnzimmerfenster, wo sein Mikrofon samt Verstärker steht, und untermalt seine Erklärungen spontan mit Sounds. Mal liegt er lässig zurückgelehnt auf der Couch, während er mit dem Reporter wie mit einem alten Kumpel über sich, Gott und die Welt spricht. „In den 90ern wurde ja noch geile Musik in den Clubs gespielt und nicht nur Einheitsbrei – für mich macht die Industrie alles kaputt, es geht nur noch um Verkaufszahlen“, sagt er. Oder: „Das Einzige, was von uns bleibt, ist doch Kunst und Kultur.“ Und – mit Verweis auf sein Klavier und die selbst gemalten Gemälde an der Wand: „Ich bin ein bunter Beatboxer, das Beatboxen ist nur die Farbe von mir, die am hellsten leuchtet.“

Robeat ist mehr als eine Soundmaschine. Er ist ein Entertainer, der sich geschickt in die Herzen des Publikums schleicht, wenn er auf der Bühne steht. Alltagsgeräusche oder Tierlaute vermischt er mit Interpretationen von bekannten Songs wie „Billy Jean“ oder „Seven Nation Army“. So führt er die Zuhörer in seine Welt voller harter Technobeats, schneller Drum-and-Base-Rhythmen und sanfter Hip-Hop-Klänge. Bis zu 200-mal im Jahr tritt Robeat auf, er ist viel auf Reisen, auch außerhalb von Deutschland. „Man kann sich nicht ausruhen, wenn es gut läuft“, sagt er. „Ich will mal ein fettes Haus haben, na ja, zumindest ein kleines Haus – wo ich niemanden störe.“