Bundestrainer Joachim Löw hat seinen endgültigen WM-Kader benannt und vier Spieler gestrichen. Echte Überraschungen waren nicht dabei, findet unser WM-Reporter Marco Seliger.

Sport: Marco Seliger (sem)

Eppan - Was wurde um kurz nach halb zwölf am Montagvormittag nicht alles getitelt und dramatisiert in den Redaktionsstuben und den Internetportalen der Republik – von Paukenschlägen war die Rede, von Riesenüberraschungen und, natürlich, von den ganz großen persönlichen Dramen. Bitte, Joachim Löw hat vier Spieler aus seiner bisher 27 Mann starken Vorauswahl enttäuschen müssen, er hat sie aussortiert für seinen endgültigen WM-Kader, wie das dann so schön heißt. Aber die großen Dramen spielen anderswo im Leben und nicht in Eppan in Südtirol, von wo aus vier ambitionierte Profikicker jetzt eben ihren verspäteteten Sommerurlaub antreten. Und der echte Paukenschlag, der war auch nicht wirklich dabei. Zumindest, wenn man mal ein bisschen genauer hinschaut.

 

Leroy Sané, angeblich die größte Überraschung auf Löws Streichliste, darf zum Beispiel nicht mit nach Russland – es ist eine Entscheidung, die nur logisch ist. Die Länderspielauftritte des Offensivmanns von Manchester City waren bislang meist eine Enttäuschung, sein Spiel war fahrig, hektisch und ohne jede Struktur, und seine Ballkontakte wurden allzuschnell zu Ballverlusten. Dass Sané bei Pep Guardiola in Manchester eine starke Saison hinlegte, zählt bei Joachim Löw nicht, so lange er nicht auch im Dress der Nationalelf überzeugt. Das war nicht der Fall, weshalb seine Nichtnominierung nur folgerichtig ist.

Gomez und Werner – ein Stuttgarter Angriff mit Klasse

Im Detail überraschender war die Nichtberücksichtigung des Stürmers Nils Petersen, dessen Fähigkeiten Löw noch vor ein paar Tagen öffentlich lobte, als handele es sich beim Angreifer des SC Freiburg um einen Klon von Lionel Messi. Dennoch kam auch Löws Entscheidung hier nicht ganz unerwartet, da er in Timo Werner, dem Ex-Stuttgarter und Stürmer Nummer eins, und in Mario Gomez vom VfB die Position in vorderster Front doppelt und mit Klasse besetzt hat. Zudem gibt es eine ganze Reihe offensiver Mittelfeldspieler, die auch in der Spitze aushelfen können. Thomas Müller und Marco Reus zum Beispiel.

Beim dritten Streichkandidaten Jonathan Tah war im Grunde längst klar, dass kein Platz im Kader mehr ist, sobald der zuletzt angeschlagene Stamm-Innenverteidiger Jérôme Boateng grünes Licht gibt. Und ob nun Bernd Leno oder Kevin Trapp als Nummer drei nach Russland fährt, nun ja, das wird nicht von allergrößtem Belang sein auf dem Weg zur Titelverteidigung – deren Mission von nun an in die heiße Phase geht.

Der endgültige Kader für das große Ziel steht. Elf Spieler werden stets mit Leistung auf dem Platz gefordert sein – und die anderen daneben, um für ein ähnlich gutes Betriebsklima wie beim Titelgewinn 2014 in Brasilien zu sorgen. Denn klar ist auch diesmal: Erfolg garantiert nicht allein die Summe der individuellen Fähigkeiten. Wer den Titel holen will, benötigt ein harmonierendes und stimmiges Gesamtgefüge. Keiner weiß das besser als Joachim Löw.