Die Frage aber, wie er es mit dem Krieg hält, begleitet ihn weiter. Seit dem Chemiewaffenangriff in Syrien am 21. August drängt sie sich geradezu auf. Zunächst ist Kerry ein energischer Befürworter eines Militärschlags gegen das Assad-Regime. Das mag daran liegen, dass er vom syrischen Machthaber persönlich enttäuscht ist. Mehrfach trifft er Assad in Damaskus. Doch der bleibt unbeeindruckt von Kerrys Werben um mehr Zusammenarbeit. Der wichtigere Grund ist aber: Für Kerry ist der Giftgasangriff ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das bestraft gehört. Er sagt das nicht nur so dahin. Er glaubt es.

 

Heftig gestikulierend steht Kerry in den Tagen nach dem Angriff am Rednerpult im US-Außenministerium und erhebt wieder einmal Anklage. Er hämmert es den Zuhörern geradezu ein, dass das Assad-Regime für das monströse Verbrechen verantwortlich sei. Es gebe klare Belege dafür, sagt er.

Kerry ist Obamas Chefankläger, die Weltöffentlichkeit ist Geschworener. Der US-Außenminister, eigentlich bekannt für ein ruhiges und bedachtes Wesen, gerät geradezu außer sich. „Man darf seine eigene Meinung haben, aber man darf sich nicht seine eigenen Fakten schaffen“, sagt er. Kerry will überzeugen. Er sei Bushs Irak-Lüge aufgesessen, sagt er. Seine Beweisführung gegen Assad sei dagegen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Fünf Talkshows hintereinander

Kein historischer Vergleich ist Kerry zu gewagt. Mal stellt er Assad in eine Reihe mit Adolf Hitler und Saddam Hussein. Mal sagt er, die Welt erlebe gerade so etwas wie die Wiederholung des fatalen Abkommens von München. 1938 habe auch niemand reagiert, als sich die Nazis aus Deutschland über die Tschechoslowakei hermachten. Mal sagt er, ein Militärschlag sei gar kein Krieg. Mal sagt er, der Militärschlag werde „unglaublich klein“ ausfallen. Kerry verausgabt sich. An einem Sonntag bestreitet er hintereinander fünf Talkshows im US-Fernsehen. Er ist wie ein Staatsanwalt, der seinen Prozess unbedingt gewinnen will, um seine Reputation zu erhalten.

Gut sechs Monate, nachdem er das US-Außenministerium übernommen hat, ist der grauhaarige Mann mit dem akkurat gepflegten Scheitel längst aus dem Schatten seiner zur Ikone stilisierten Vorgängerin Hillary Clinton herausgetreten. Er hat durch beharrliches Arbeiten erreicht, was Clinton nicht gelungen ist: Israelis und Palästinenser wollen wieder miteinander über den Frieden verhandeln. Das ist Kerrys Verdienst. Niemand redet mehr davon, dass er zweite Wahl sei, weil Präsident Obama ursprünglich Susan Rice als Außenministerin haben wollte.

Glaubt man aktuellen Umfragen, dann findet die Mehrheit der US-Amerikaner inzwischen, dass Kerry eine bessere Arbeit macht als Obama. Außenminister Kerry ist trotzdem ein ausgesprochen loyaler Diener – auch weil er nichts mehr werden will und nicht nach Höherem strebt. Schon gar nicht mehr will er US-Präsident werden. Neun Jahre ist es her, dass der Mann aus Boston die Wahl gegen George W. Bush verloren hat. Nun ist Kerry wieder auf dem Weg, eine globale Berühmtheit zu werden. Das hat viel mit Kriegen zu tun und mit der Tatsache, dass der Politiker Kerry ein begnadeter Ankläger ist. Aber auch ein gewandter Taktierer.

Diese Eigenschaften stellt der junge John Forbes Kerry schon im Jahr 1971 unter Beweis. Er ist aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrt, wo er als Kapitän eines Kanonenbootes gedient hat. Orden hängen an seinem grünen Uniformhemd, als Kerry vor einem Senatsausschuss in Washington Anklage gegen den Krieg in Südostasien führt. Mit seiner eigenartig näselnden Stimme, die immer dann ein Crescendo erfährt, wenn ihm etwas besonders wichtig ist, sagt Kerry den Satz, der es ins Geschichtsbuch schaffen wird: „Wie fordert man einen Mann auf, der Letzte zu sein, der für einen Fehler sterben soll?“

Früher war Kerry ein überzeugter Kriegsgegner

Aus dem Studenten der politischen Wissenschaften an der Eliteuniversität Yale, der noch ein paar Jahre zuvor den Krieg abgelehnt hat, ist ein Kriegsteilnehmer geworden. Und aus dem Kriegsteilnehmer ist, desillusioniert von der Sinnlosigkeit der Kämpfe in Vietnam und verärgert über die Lügen der Nixon-Regierung, wieder ein Gegner des Kriegs geworden. Das ist ein Widerspruch, der Kerry bis auf den heutigen Tag verfolgen wird.

Im Jahr 2003 plant der damalige US-Präsident George W. Bush den Einmarsch in den Irak. Zwar gibt es, wie sich später herausstellen wird, keine Belege dafür, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hat. Doch Kerry, der nach einem Jurastudium und einer kurzen Dienstzeit als Staatsanwalt in Massachusetts inzwischen ein einflussreicher Senator in Washington geworden ist, stimmt dennoch für den Krieg. Er schluckt die Lüge der Bush-Regierung. Er nennt Saddam Hussein einen „brutalen, mörderischen Diktator“. Ein Jahr später zieht er seine Zustimmung zum Krieg wieder zurück. Es ist Wahlkampf. Kerry weiß, dass die Amerikaner nicht die Kopie eines Kriegsbefürworters im Weißen Haus sehen wollen, wenn dort schon das Original sitzt. Kerry verliert die Wahl trotzdem. Und erneut steht die Frage im Raum: Wie hält es dieser John Kerry eigentlich mit dem Krieg? Man könnte antworten: mal so, mal so, je nachdem, ob es sich politisch auszahlt oder nicht.

Das allerdings wäre eine unzulässige Zuspitzung. Kerry ist kein Kriegstreiber, kein Bellizist. Er ist wie viele Amerikaner seiner Generation von den Erfahrungen aus Vietnam geprägt und deswegen im Zweifel eher gegen den Krieg. Zu Kerrys Idealvorstellung gehört allerdings auch die Annahme, dass es gerechte Kriege gibt, die die Welt besser machen. Der Zweite Weltkrieg gehört für ihn dazu. Kerry sagt einmal: „In diesem Konflikt flog mein Vater DC-3-Flugzeuge für die Army. Danach wurde er Diplomat. Er war einer der Glücklichen, die in jener Zeit aktiv dabei sein durften, als diese Nation eine große und globale Allianz gegen die Tyrannei schuf.“

Eine Kindheit in Berlin

Kerry weiß, was der Krieg mit sich bringt. Als Kind lebt er mit seinen Eltern eine Zeit lang in Berlin. Kerry kann sich auf Fahrradtouren durch die Stadt ein Bild von der Zerstörung machen. Berlin ist Mitte der 50er Jahre auch die Hauptstadt des Kalten Krieges, und Kerry sagt Jahrzehnte später: „Ich habe gesehen, wie unterschiedlich das Leben in verschiedenen Teilen ein und derselben Stadt war. Ich sah die Angst in den Augen der Menschen, die nicht frei waren.“ Es sind die Eindrücke eines Kindes, die Kerry in diesen Tagen mit in das Schweizer Internat nimmt, wo er zur Schule geht. Es sind prägende Eindrücke, die ihn dazu bewegen, sich später als US-Senator der Außenpolitik zuzuwenden. Zur Amtseinführung seines neuen Außenministers Anfang dieses Jahres sagt Präsident Obama, sein ganzes Leben lang habe sich Kerry auf die neue Rolle vorbereitet.

Doch schon bevor er Obamas Chefdiplomat wird, ist Kerry auf der ganzen Welt unterwegs. Er diniert mit Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Königen. Er gilt als die Stimme der Vernunft in einer Zeit, in der US-Präsident Bush weltweit ungläubiges Kopfschütteln hervorruft. Kerry ist in diesen Jahren so etwas wie das andere Gesicht Amerikas, das bessere.

Assad gehöre bestraft, fordert der US-Außenminister

Die Frage aber, wie er es mit dem Krieg hält, begleitet ihn weiter. Seit dem Chemiewaffenangriff in Syrien am 21. August drängt sie sich geradezu auf. Zunächst ist Kerry ein energischer Befürworter eines Militärschlags gegen das Assad-Regime. Das mag daran liegen, dass er vom syrischen Machthaber persönlich enttäuscht ist. Mehrfach trifft er Assad in Damaskus. Doch der bleibt unbeeindruckt von Kerrys Werben um mehr Zusammenarbeit. Der wichtigere Grund ist aber: Für Kerry ist der Giftgasangriff ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das bestraft gehört. Er sagt das nicht nur so dahin. Er glaubt es.

Heftig gestikulierend steht Kerry in den Tagen nach dem Angriff am Rednerpult im US-Außenministerium und erhebt wieder einmal Anklage. Er hämmert es den Zuhörern geradezu ein, dass das Assad-Regime für das monströse Verbrechen verantwortlich sei. Es gebe klare Belege dafür, sagt er.

Kerry ist Obamas Chefankläger, die Weltöffentlichkeit ist Geschworener. Der US-Außenminister, eigentlich bekannt für ein ruhiges und bedachtes Wesen, gerät geradezu außer sich. „Man darf seine eigene Meinung haben, aber man darf sich nicht seine eigenen Fakten schaffen“, sagt er. Kerry will überzeugen. Er sei Bushs Irak-Lüge aufgesessen, sagt er. Seine Beweisführung gegen Assad sei dagegen die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

Fünf Talkshows hintereinander

Kein historischer Vergleich ist Kerry zu gewagt. Mal stellt er Assad in eine Reihe mit Adolf Hitler und Saddam Hussein. Mal sagt er, die Welt erlebe gerade so etwas wie die Wiederholung des fatalen Abkommens von München. 1938 habe auch niemand reagiert, als sich die Nazis aus Deutschland über die Tschechoslowakei hermachten. Mal sagt er, ein Militärschlag sei gar kein Krieg. Mal sagt er, der Militärschlag werde „unglaublich klein“ ausfallen. Kerry verausgabt sich. An einem Sonntag bestreitet er hintereinander fünf Talkshows im US-Fernsehen. Er ist wie ein Staatsanwalt, der seinen Prozess unbedingt gewinnen will, um seine Reputation zu erhalten.

Die meisten glauben zwar, dass Kerry genügend Belege für die Schuld Assads vorlegt, aber die wenigsten wollen glauben, dass zur Bestrafung ein Militärschlag der USA nötig ist – nicht die amerikanische Öffentlichkeit, nicht die Verbündeten im Ausland und schon gar nicht der US-Kongress, der die Kriegspläne genehmigen soll. Es ist eine herbe Niederlage für Kerry. Dabei ist er gerade im US-Senat, dem er fast drei Jahrzehnte angehört, sehr angesehen. Die Kollegen hören für gewöhnlich auf den erfahrenen Mann. Sein Rat ist normalerweise gefragt – normalerweise.

Ein Mann der vielen Wendungen

Kerry muss sich jetzt Fragen gefallen lassen, ob er sich noch an seine beißende Kritik gegen den Vietnamkrieg erinnere. Er antwortet mit einer länglichen Abhandlung, die er wahrscheinlich eigenhändig in sein iPad tippt, wie er es gerne macht. Darin argumentiert der distinguierte ältere Herr, der eine Vorliebe für teure Kleidung und teures Essen und spätestens seit der Hochzeit mit der Ketchup-Erbin Teresa Heinz keine Geldsorgen hat, dass er immer seinem Gewissen gefolgt sei. Das gelte für 1971 wie für das Jahr 2013. Allein: niemand mag das Kerry abnehmen.

Also nimmt Kerry die nächste Wendung. Er wechselt die Rolle, wird vom Kriegsbefürworter zum Diplomaten. Er steht neben seinem britischen Amtskollegen William Hague in London und lässt wie beiläufig fallen, dass es eine Alternative zum Militärschlag gebe. Die Syrer müssten nur ihre Chemiewaffen vernichten. Was wie ein grobes Missgeschick wirkt und auch zunächst so interpretiert wird, dürfte in Wirklichkeit ein diplomatisches Kunststück gewesen sein. Als auch die Syrer dem Plan zustimmen, ist klar: Kerry ist in einer klassischen Win-win-Situation. Er gewinnt, wenn Assad sein Giftgas abgibt. Er verliert aber nicht, sollte das nicht geschehen, denn für diesen Fall gibt es weiter den Militärschlag.

Kerry, sagen jetzt seine Kritiker in den USA, sei ein schlechter Verkäufer. Er habe es nicht verstanden, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass seine Wendungen strategisch durchdacht sind. Das mag sogar stimmen. Doch das macht Kerry nicht zu einem schlechten Ankläger. Ein guter Staatsanwalt weiß genau, dass er die Argumentation ändern muss, wenn die Geschworenen ungläubig sind. Das weiß auch Kerry, der einmal in einem Interview sagt, der Beruf des Staatsanwalts habe ihm schon immer gefallen: „Das war es, was ich immer werden wollte.“ In gewisser Weise ist er es bis heute geblieben.

Jetzt muss er zeigen, ob er damit auch die Iraner überzeugen kann. Die gelten als hartnäckige, bisweilen starrsinnige Verhandler. Der Unterschied zu Kerry ist also gar nicht so groß.