Region: Verena Mayer (ena)

Das Land Baden-Württemberg hat einen „Handlungsleitfaden für das Auftauchen einzelner Wölfe“ erarbeiten lassen. Darin ist unter anderem zu lesen, dass es nicht zwangsläufig gefährlich ist, wenn sich Wölfe auch tagsüber von bewohnten Gebäuden aus beobachten lassen, nachts gelegentlich Dörfer durchqueren und nach unzureichend geschützten Nahrungsgütern des Menschen greifen, zum Beispiel Schafen. Es gibt Empfehlungen, was zu tun ist, sollte sich ein Wolf mehrfach Menschen nähern, ohne aggressiv zu sein (Vergrämen!), oder wiederholt Hunde im Umfeld menschlicher Behausungen töten (Entfernen!). Naturschützer und Jäger haben einen Fonds eingerichtet, der Nutztierhaltern einen Ausgleich für vom Wolf verursachte Schäden bezahlt. Und es gibt allerhand Testläufe, Schafherden so zu schützen, dass sie kein gefundenes Fressen für Wölfe werden. Trotzdem appelliert sogar der hiesige Naturschutzbund (Nabu) an die streng geschützten Tiere: „Lasst euch ruhig ein bisschen Zeit mit eurer Rückkehr!“

 

Erscheint ess nicht paradox, dass sich die Konservatoren momentan mehr an einem toten Wolf freuen als die Beschützer der Schöpfung an einem lebenden?

Die Wissenschaftler des Karlsruher Naturkundemuseums haben in den vergangenen zwei Jahren eine Zitronengelbe Tramete, einen superseltenen Pilz, in ihre beeindruckende Sammlung aufnehmen können. Außerdem ein Exemplar der Blockhalden-Wolfspinne, die bis dahin noch nie in Baden-Württemberg gesichtet worden war. Und als den Karlsruher Schmetterlingsforschern auch noch das bis dato unauffindbare Purpurweiden-Jungfernkind ins Netz ging, war die Beachtung beachtlich. Doch verglichen mit der Publicity, die der Wolf dem Museum bescherte, war das alles nichts. Zeitungen und Radiosender berichteten über den Neuzugang, und das Fernsehen war auch schon da. Almuth Müller, die dem Wolf gerade ein Bein abschneidet, sagt, dass sie ein bisschen stolz sei, dass das Karlsruher Museum den Totfund bekommen habe.

Zeitraubende Feinarbeit

Der Wolf, den sie um viertel vor elf auf ihrem Tisch betrachtet, sieht aus, als hätte er sich selbst aufgefressen. Der Torso ist nur noch ein Gerippe, der Schädel abgetrennt von der Wirbelsäule, die vier Gliedmaßen liegen rosa und roh und klapprig abseits. Das Gröbste ist geschafft. Für die Feinarbeit wären Speckkäfer hilfreich oder eine Mazerationsanlage. Beide würden die Knochen so lange bearbeiten, bis auch die kleinsten Fleischreste verschwunden sind. Aber beides gibt es im Museum (noch) nicht. Almuth Müller wird sich deshalb mit einem Kochtopf behelfen. Darin köcheln die Knochen dann so lange vor sich hin, bis sich die letzten Fleischstreifen fast von selbst lösen. Wie bei einem Suppenhuhn. Nur das dem Wasser kein Sellerie und keine Gelben Rüben zugegeben werden, sondern Waschbenzin oder Aceton – gegen das Fett.

Nach Angaben des Nabu leben in Deutschland, Stand Februar 2015, 31 Wolfsrudel. Ein Rudel besteht in der Regel aus einem Elternpaar und zwischen zwei bis zehn Jungwölfen. Die meisten Rudel leben in Sachsen (zwölf Stück), wo 1998 das erste Wolfspaar in der Muskauer Heide gesichtet worden war. Sie sind aus Ostpolen eingewandert. Werden die Tiere am anderen Ende der Republik jemals mit denen aus dem Süden in Kontakt kommen? Werden sich ihre Wege kreuzen und dann auch ihre Gene? Wie unterscheiden sich die Wölfe? Welche Entwicklung haben sie genommen? Wird je ein Wolf in Baden-Württemberg entdeckt, der nicht überfahren wurde? Und falls ja, lässt er sich hier nieder, oder zieht er weiter?

Eigentlich macht Almuth Müller mit ihrem Messer auch nichts anderes als ein Metzger. Nur dass sie das Fleisch nicht auslöst, um daraus einen schmackhaften Schmorbraten zu bereiten oder ein feines Filetsteak. Das Fleisch vom Wolf, das stellenweise schon grau ist, landet in einer Plastikwanne, um die sich ein Spezialentsorger kümmern wird. Almuth Müller interessiert sich nur für die Knochen.

Hier, sehr schön, der Oberschenkelknochen. Und da das Wadenbein. Was tritt dort hervor? Das Sprunggelenk, prima. Und was haben wir hier? Einen Oberarm und eine Speiche. „Es läuft ganz gut“, stellt Almuth Müller zufrieden fest. Die Präparatorin hatte noch nie einen Wolf in ihrem Labor liegen. Üblich sind Füchse und Fledermäuse. Zuletzt hat sie einen Turmfalken mit ausgebreiteten Flügeln so präpariert, dass man nun denken könnte, der Raubvogel wäre noch am Leben und könnte jederzeit abheben. Er soll in der geplanten Dauerausstellung im fast fertig renovierten Westflügel einen festen Platz bekommen.

Vom Graubünden nach Baden

Zurück zum Canis lupus: nachdem Straßenarbeiter das Tier im Juni entdeckt hatten, wurde es erst einmal nach Freiburg in die forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt verfrachtet. Dort mussten die Experten klären, ob es sich wirklich um einen Wolf handelt oder nicht vielleicht bloß um einen Hund – war ja schon eine Weile tot das Tier, und das im Sommer. Es sei ein Wolf, bestätigten die Forscher und schickten Gewebeproben an das Senckenberg-Institut in Frankfurt, an das Laboratorium für Naturschutzbiologie der Universität Lausanne und an das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin.

Als der tote Wolf im August schließlich in Karlsruhe ankam, wusste man folgendes: Der Rüde war etwa ein Jahr alt, als er starb, rund 30 Kilo schwer, gesund und gut ernährt. In seinem Magen fanden sich Haare von einem Beutetier, vermutlich einem Reh. Er stammte aus einem Rudel im Calandagebiet bei Chur im Kanton Graubünden. Unter der Bezeichnung M 53 wurde er in den Unterlagen der Schweizer Wolfsbeobachter geführt, mit denen man später noch etwas anderes feststellen konnte: Der Wolf, der Ende November rund Hundert Kilometer nordöstlich auf der A 8 bei Merklingen überfahren wurde, war der Bruder von M 53.

Albrecht Manegold, 42, der im Karlsruher Museum für die Wirbeltiersammlung verantwortlich ist, plant für den Herbst eine Sonderausstellung zum Thema Wolf. In welcher Form M 53 darin zu sehen sein wird, ist noch nicht klar. Bis vor wenigen Tagen lag der Wolf, umhüllt von festen, dichten Plastikfolien, neben einem Nabelschwein, einem Flamingo und einer Straußenhenne bei minus 20 Grad im Tiefkühlraum im Keller.

Fest stand von Anfang an nur, dass der tote Wolf nicht zu dem taugt, was im Fachjargon „Dermoplastik“ heißt und der Laie als „ausgestopftes Tier“ bezeichnet: Dafür war er bereits am Fundtag zu verwest. Aber ob man wenigstens das Skelett des Wolfes am Stück zeigen kann oder nur in Einzelteilen, vermag Albrecht Manegold erst zu sagen, wenn Almuth Müller mit ihm fertig ist.

Eine Knochenarbeit voller Überraschungen

Im Raum 1.22 ist es fast so kalt wie draußen. Die Heizung ist defekt, das Fenster geöffnet. Nicht wegen Almuth Müller, sie hat sich an den wirklich sehr unangenehmen Wolfsgestank gewöhnt. Wie sie sich zuvor an den Geruch von Eichhörnchen gewöhnt hat, von Igeln oder Iltissen. Nur eine Galapagosschildkröte, so was braucht sie echt nicht noch mal. „Dagegen ist der Wolf ein wohlriechendes Zuckerstückchen“, sagt die Fachfrau.

Entfleischen ist eine Knochenarbeit – und voller Überraschungen. Die Knochen des Wolfes sind erstaunlich intakt, der Kiefer ist nicht gebrochen, das Jochbein voll in Ordnung, nicht mal ein Zahn fehlt. Almuth Müller ertastet keine Fraktur in der Schulter, und sie stellt keine Anomalie in der Halswirbelsäule fest. Die Handgelenke sind so stabil wie die Fingergrundgelenke, sowohl links als auch rechts.

Doch dann, als draußen am eisblauen Himmel gerade die Sonne zu glänzen begonnen hat, entdeckt Almuth Müller die genaueren Umstände, die zum Tode von M 53 geführt haben: Der rechte Oberschenkel ist gebrochen. Und die Hüfte ist so zertrümmert, dass Almuth Müller am Ende dieses Vormittags sicherheitshalber noch mal alle Fleischfetzen auf kleinste Splitter absucht – nichts soll verloren gehen. Auch die Rippen, ihre Abfleischung ist besonders fitzelig, haben auf der rechten Seite etwas abbekommen, sie sind fast komplett von der Wirbelsäule abgetrennt. Wie es aussieht, ist der Wolf bei der Überquerung der A 5 von einem Auto erfasst worden. Den Brüchen nach zu urteilen, erwischte es ihn, kurz bevor er auf der sicheren Seite war.

Riesige Publicity

Das Land Baden-Württemberg hat einen „Handlungsleitfaden für das Auftauchen einzelner Wölfe“ erarbeiten lassen. Darin ist unter anderem zu lesen, dass es nicht zwangsläufig gefährlich ist, wenn sich Wölfe auch tagsüber von bewohnten Gebäuden aus beobachten lassen, nachts gelegentlich Dörfer durchqueren und nach unzureichend geschützten Nahrungsgütern des Menschen greifen, zum Beispiel Schafen. Es gibt Empfehlungen, was zu tun ist, sollte sich ein Wolf mehrfach Menschen nähern, ohne aggressiv zu sein (Vergrämen!), oder wiederholt Hunde im Umfeld menschlicher Behausungen töten (Entfernen!). Naturschützer und Jäger haben einen Fonds eingerichtet, der Nutztierhaltern einen Ausgleich für vom Wolf verursachte Schäden bezahlt. Und es gibt allerhand Testläufe, Schafherden so zu schützen, dass sie kein gefundenes Fressen für Wölfe werden. Trotzdem appelliert sogar der hiesige Naturschutzbund (Nabu) an die streng geschützten Tiere: „Lasst euch ruhig ein bisschen Zeit mit eurer Rückkehr!“

Erscheint ess nicht paradox, dass sich die Konservatoren momentan mehr an einem toten Wolf freuen als die Beschützer der Schöpfung an einem lebenden?

Die Wissenschaftler des Karlsruher Naturkundemuseums haben in den vergangenen zwei Jahren eine Zitronengelbe Tramete, einen superseltenen Pilz, in ihre beeindruckende Sammlung aufnehmen können. Außerdem ein Exemplar der Blockhalden-Wolfspinne, die bis dahin noch nie in Baden-Württemberg gesichtet worden war. Und als den Karlsruher Schmetterlingsforschern auch noch das bis dato unauffindbare Purpurweiden-Jungfernkind ins Netz ging, war die Beachtung beachtlich. Doch verglichen mit der Publicity, die der Wolf dem Museum bescherte, war das alles nichts. Zeitungen und Radiosender berichteten über den Neuzugang, und das Fernsehen war auch schon da. Almuth Müller, die dem Wolf gerade ein Bein abschneidet, sagt, dass sie ein bisschen stolz sei, dass das Karlsruher Museum den Totfund bekommen habe.

Zeitraubende Feinarbeit

Der Wolf, den sie um viertel vor elf auf ihrem Tisch betrachtet, sieht aus, als hätte er sich selbst aufgefressen. Der Torso ist nur noch ein Gerippe, der Schädel abgetrennt von der Wirbelsäule, die vier Gliedmaßen liegen rosa und roh und klapprig abseits. Das Gröbste ist geschafft. Für die Feinarbeit wären Speckkäfer hilfreich oder eine Mazerationsanlage. Beide würden die Knochen so lange bearbeiten, bis auch die kleinsten Fleischreste verschwunden sind. Aber beides gibt es im Museum (noch) nicht. Almuth Müller wird sich deshalb mit einem Kochtopf behelfen. Darin köcheln die Knochen dann so lange vor sich hin, bis sich die letzten Fleischstreifen fast von selbst lösen. Wie bei einem Suppenhuhn. Nur das dem Wasser kein Sellerie und keine Gelben Rüben zugegeben werden, sondern Waschbenzin oder Aceton – gegen das Fett.

Nach Angaben des Nabu leben in Deutschland, Stand Februar 2015, 31 Wolfsrudel. Ein Rudel besteht in der Regel aus einem Elternpaar und zwischen zwei bis zehn Jungwölfen. Die meisten Rudel leben in Sachsen (zwölf Stück), wo 1998 das erste Wolfspaar in der Muskauer Heide gesichtet worden war. Sie sind aus Ostpolen eingewandert. Werden die Tiere am anderen Ende der Republik jemals mit denen aus dem Süden in Kontakt kommen? Werden sich ihre Wege kreuzen und dann auch ihre Gene? Wie unterscheiden sich die Wölfe? Welche Entwicklung haben sie genommen? Wird je ein Wolf in Baden-Württemberg entdeckt, der nicht überfahren wurde? Und falls ja, lässt er sich hier nieder, oder zieht er weiter?

Der Wolf, ob tot oder lebendig, wird noch viele Menschen eine lange Zeit beschäftigen. Und – das mal nebenbei bemerkt – würde Guido Wolf, der hier Ministerpräsident werden will, den Wolf in Raum 1.22 des Naturkundemuseums in Karlsruhe sehen, wäre er bestimmt sehr viel zurückhaltender mit seinen Frohlockungen über das „Wolfserwartungsland“.

Bis Almuth Müller die Knochen des Wolfes fertig bearbeitet hat, werden noch Wochen vergehen. Die restlose Beseitigung des Fetts nimmt eine enorme Zeit in Anspruch. Wenn der aufbereitete Totfund von der A 5 im Herbst dann, in welcher Form auch immer, im Museum ausgestellt wird, ist er sicher eine riesige Attraktion. Der Wolf ist da! Ein toter Wolf macht die Baden-Württemberger mit den lebenden Wölfen vertraut. Ein schöner Gedanke.