Gauck geht keiner Konfrontation aus dem Weg. Er ist ein freier, unabhängiger Geist, Sohn eines Kapitäns, in Gedanken immer unterwegs statt sesshaft. Ein Mann, der mit seinem hohen Anspruch allen zu schaffen machen wird. Jörn Mothes, der als ehemaliger Stasibeauftragter Mecklenburg-Vorpommerns viel mit Gauck zu tun hatte und nicht immer einer Meinung war, hat Gauck in Rostock Ende der 80er Jahre als Jugendpfarrer erlebt. Ein Menschenfischer sei Gauck schon damals gewesen, im Umgang „total souverän“. Aber auch ein Mann mit monarchischer Attitüde. Einer, der es gut meint, der sich aber auch wie ein gütiger König das letzte, entscheidende Wort nicht nehmen lässt. „Er ist sich selbst so viel wert, dass er glaubt, auf Basisdemokratie verzichten zu können“, sagt Mothes.

 

So wie Tschiche hat sich auch Mothes an den Ecken und Kanten Gaucks gestoßen. Auch Mothes bezeichnet sich als links, „wenn damit nicht die Partei gemeint ist“. Und auch er war wie Tschiche nach dem Ende der DDR für einen – von Gauck als Spinnerei heftig bekämpften – dritten Weg: einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Aber trotzdem steht er zu Gauck, weil der die Menschen nicht aus der Verantwortung entlasse, die errungene Freiheit zu gestalten. Es schmerzt Mothes, dass sich in vielen ostdeutschen Gemeinden niemand mehr bereit erklärt, Bürgermeister zu werden. „Die Freiheit schläft“, sagt Mothes. Um sie wachzurütteln, daran lässt Mothes keinen Zweifel, sei Gauck der richtige Mann. Sollten ihn „sein Heiligenschein und das Alter“ nicht in die Irre führen, „werde ich mich bei Gauck gut aufgehoben fühlen – selbst ich“, sagt Mothes.

Hasenfuß, Schnäppchenjäger, Freiheitskämpfer

Gauck, das Seemannskind, das sich am Ostseestrand den großen Schiffen hinter sehnte, soll jetzt, im Alter von 72 Jahren, als Kapitän den Kurs und vor allem das Ziel dieses Landes festlegen. Nicht weniger als das wird von ihm erwartet. Kanzlerin Angela Merkel fährt auf Sicht, kann Wellenberge schadlos durchkreuzen, aber wohin sie steuert, bleibt oft verborgen. Das Land sehnt sich nach Orientierung und einer großen Erzählung. Gauck soll sagen, wo es langgeht. Außerdem soll Gauck auch noch dem Amt des Bundespräsidenten nach dem hasenfüßigen Horst Köhler und dem schnäppchenjagenden Christian Wulff wieder zu Ansehen und moralischer Autorität verhelfen und wenn möglich der gesamten politischen Klasse gleich mit.

Kein Wunder, dass Gauck müde aussieht in diesen Tagen, obwohl er kaum noch öffentliche Termine wahrnimmt. Er bereite sich vor, sagen seine Vertrauten. Die Falten, Fahrrinnen seines Lebens, wirken tiefer noch als sonst. Er wird sich der schier unlösbaren Aufgabe bewusst, die vor ihm liegt. Nicht, dass er seine Qualitäten nicht kennen würde. Einen Gauck könnte man vermutlich nachts um drei wecken, wenn man denn Wert auf rhetorische Feinkost im Nachthemd legt. Die Freiheit, die er in der DDR so lange missen musste und deshalb wie eine junge Geliebte verehrt, kann er jederzeit in wunderbare Sprachbilder kleiden. Das ist sein Lebensthema.

Gauck geht keiner Konfrontation aus dem Weg. Er ist ein freier, unabhängiger Geist, Sohn eines Kapitäns, in Gedanken immer unterwegs statt sesshaft. Ein Mann, der mit seinem hohen Anspruch allen zu schaffen machen wird. Jörn Mothes, der als ehemaliger Stasibeauftragter Mecklenburg-Vorpommerns viel mit Gauck zu tun hatte und nicht immer einer Meinung war, hat Gauck in Rostock Ende der 80er Jahre als Jugendpfarrer erlebt. Ein Menschenfischer sei Gauck schon damals gewesen, im Umgang „total souverän“. Aber auch ein Mann mit monarchischer Attitüde. Einer, der es gut meint, der sich aber auch wie ein gütiger König das letzte, entscheidende Wort nicht nehmen lässt. „Er ist sich selbst so viel wert, dass er glaubt, auf Basisdemokratie verzichten zu können“, sagt Mothes.

So wie Tschiche hat sich auch Mothes an den Ecken und Kanten Gaucks gestoßen. Auch Mothes bezeichnet sich als links, „wenn damit nicht die Partei gemeint ist“. Und auch er war wie Tschiche nach dem Ende der DDR für einen – von Gauck als Spinnerei heftig bekämpften – dritten Weg: einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Aber trotzdem steht er zu Gauck, weil der die Menschen nicht aus der Verantwortung entlasse, die errungene Freiheit zu gestalten. Es schmerzt Mothes, dass sich in vielen ostdeutschen Gemeinden niemand mehr bereit erklärt, Bürgermeister zu werden. „Die Freiheit schläft“, sagt Mothes. Um sie wachzurütteln, daran lässt Mothes keinen Zweifel, sei Gauck der richtige Mann. Sollten ihn „sein Heiligenschein und das Alter“ nicht in die Irre führen, „werde ich mich bei Gauck gut aufgehoben fühlen – selbst ich“, sagt Mothes.

Hasenfuß, Schnäppchenjäger, Freiheitskämpfer

Gauck, das Seemannskind, das sich am Ostseestrand den großen Schiffen hinter sehnte, soll jetzt, im Alter von 72 Jahren, als Kapitän den Kurs und vor allem das Ziel dieses Landes festlegen. Nicht weniger als das wird von ihm erwartet. Kanzlerin Angela Merkel fährt auf Sicht, kann Wellenberge schadlos durchkreuzen, aber wohin sie steuert, bleibt oft verborgen. Das Land sehnt sich nach Orientierung und einer großen Erzählung. Gauck soll sagen, wo es langgeht. Außerdem soll Gauck auch noch dem Amt des Bundespräsidenten nach dem hasenfüßigen Horst Köhler und dem schnäppchenjagenden Christian Wulff wieder zu Ansehen und moralischer Autorität verhelfen und wenn möglich der gesamten politischen Klasse gleich mit.

Kein Wunder, dass Gauck müde aussieht in diesen Tagen, obwohl er kaum noch öffentliche Termine wahrnimmt. Er bereite sich vor, sagen seine Vertrauten. Die Falten, Fahrrinnen seines Lebens, wirken tiefer noch als sonst. Er wird sich der schier unlösbaren Aufgabe bewusst, die vor ihm liegt. Nicht, dass er seine Qualitäten nicht kennen würde. Einen Gauck könnte man vermutlich nachts um drei wecken, wenn man denn Wert auf rhetorische Feinkost im Nachthemd legt. Die Freiheit, die er in der DDR so lange missen musste und deshalb wie eine junge Geliebte verehrt, kann er jederzeit in wunderbare Sprachbilder kleiden. Das ist sein Lebensthema.

Guter Vermarkter des eigenen Charismas

Damit machte er als Redner und Autor gute Geschäfte. Gauck ist ein cleverer Vermarkter des eigenen Charismas und sicher neiden viele seiner Kritiker ihm das Talent, stets das Thema, das er bearbeitet, mit seiner Person zu einer nachgefragten Marke verschmelzen zu lassen. Er hat, da macht er selbst keinen Hehl draus, weniger als andere dazu beigetragen, die DDR in die Knie zu zwingen, aber zumindest im Westen gilt er vielen als Gesicht der Revolution. Die Stasiunterlagen-Behörde, die er führte, trug am Ende seinen Namen. Fast so wie einst im Westen Bärenmarke das Wort Dosenmilch verdrängte, steht Gauck mittlerweile für Freiheit. Und als er erstmals vor zwei Jahren als Kandidat für das Präsidentenamt antrat, hieß es: „Yes, we Gauck“.

Gauck muss seine Auslage gehörig erweitern

Aber für was wird Gauck als Bundespräsident stehen? Mit ein, zwei zu Tränen rührenden Reden ist es nicht getan, das ist auch jenen klar, die ihm wohlgesinnt sind. Was bedeutet Freiheit in Europa, was heißt frei sein vor dem Hintergrund sozialer Verwerfungen, wie steht Gauck zu Krieg und Frieden? Viel hat er dazu bisher nicht gesagt. Musste er auch nicht, er hatte ja ein Produkt in der Auslage, das ihm Auskommen und Ansehen sicherte. Aber jetzt muss er sein Angebot erweitern. Viele Menschen haben bei ihm mit ihrem Vertrauen eingezahlt und hoffen mit seiner Wahl jetzt auf eine moralisch aufbauende Rendite. Seine Feinde reiben sich derweil die Hände und setzen auf sein Scheitern. „Ich werde unangemessen geliebt und ich werde unangemessen gehasst“, schreibt Gauck über sich selbst.

Und so wie manche sich in den Sturm wagen, um die eigenen Grenzen zu spüren, so fordert er diese Übertreibungen mit seinen Provokationen, Reflexionen und Schmeicheleien ein ums andere Mal heraus, als brauchte er die Wucht der Zuneigung und des Hasses als Koordinaten, um sich stets aufs Neue zu verorten.

Feinfühlend und verletzend zugleich

Man kann ahnen, warum er so ein differenzierender Rechthaber geworden ist, feinfühlend und verletzend zugleich. Am 27. Juni 1951 fragte den elfjährigen Joachim Gauck keiner nach seinen Gefühlen und mit Argumenten kam er an diesem Tag auch nicht weit. Die Eltern feierten den Geburtstag von Oma Antonie. Zwei Männer des sowjetischen Geheimdienstes holten den Vater unter dem Vorwand ab, auf der Rostocker Neptun-Werft, auf er als Arbeitsschutzinspektor arbeitete, sei ein schwerer Unfall geschehen.

So verschwand der Vater spurlos aus dem Leben seines Sohnes. Er wurde auf der Grundlage falscher Beschuldigungen zu zweimal 25 Jahren Haft verurteilt und in ein Straflager nach Sibirien verschleppt. Die Familie wusste nicht, was geschehen war, nicht einmal, ob der Vater noch lebte. 1955 kehrte er zurück. Der Vater war dem Sohn fremd geworden, „ein Mann, fast ohne Zähne“. Und ein Konkurrent, denn wegen der vaterlosen Zeit war der Sohn „vor der Zeit gefordert worden, war partiell erwachsen“, mit Privilegien, die er jetzt wieder aufgeben musste. Der Junge, der zu schnell zum Mann reifen musste, sagte zu sich selbst: „Du musst jetzt glücklich sein.“

Das Schicksal des Vaters bezeichnet Gauck Jahrzehnte später als „Erziehungskeule“. Diese „Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus“. Als die Mutter ein harmloses Abzeichen für gute schulische Leistungen mit einem Abzeichen der Pioniere verwechselte, setzte es eine Ohrfeige. „Keinerlei Kompromisse“, so lautete die Vorgabe, man fühlte sich auf der Seite der Anständigen. „Ich war ein ziemlich großmäuliger Schüler, der seiner pubertären Aufmüpfigkeit wahrscheinlich weniger Schranken setzte als andere, weil ich das Recht und die Moral auf meiner Seite sah.“

Drei seiner Kinder verließen die DDR

Der junge Gauck schloss sich weder den Pionieren an, noch der FDJ. Er durfte nicht Germanistik studieren und auch sein Wunsch, Journalist zu werden, wurde ihm abgeschlagen. Er entschied sich für Theologie. Er kritisierte das Unrecht in der DDR, wurde von der Stasi bespitzelt, und entschied sich doch zu bleiben, auch deshalb, weil er „in der Kirche einen Frei- und Schutzraum“ fand: „Meine Heimat liebte ich seriös, meinen Westen wie eine Geliebte.“ Drei seiner vier Kinder hielten die Enge nicht aus. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen stand Gauck deshalb im Dezember 1987 auf Bahnsteig 9 des Rostocker Bahnhofs. Seinen Sohn Christian verschlug es nach Hamburg, den Sohn Martin nach Lübeck. Die Mutter weinte. Gauck blieb kühl, keine Tränen, „weltschlau und gefühlsgelähmt“.

Trennung und zwei Therapien

Die Zeit der Wende, die er Revolution nennt, nahm er wahr wie im Rausch. Die Opposition hatte nicht viel mehr als die Macht des Wortes und die Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. An beidem mangelte es Gauck nie. Der Mann auf der Kanzel der Rostocker Marienkirche richtete die Mutlosen auf, wurde führendes Mitglied des Neuen Forums. Er sagte Sätze wie: „Wir werden bleiben wollen, wenn wir gehen dürfen.“ Und vermerkte später eitel, es damit „in die Hauptnachrichten von ARD und ZDF“ geschafft zu haben.

Spätestens in dieser Zeit entfremdete er sich von seiner Familie. Er trennte sich von seiner Frau, zerstritt sich mit seinen Kindern. Zwei Therapien hat er hinter sich, die ihn lehrten, seinen Ängsten und Gefühlen auf den Grund zu gehen. Seit zwölf Jahren hat er eine neue Frau an seiner Seite. Daniela Schadt, eine Journalistin aus Nürnberg. Mit Hansi, der Mutter seiner Kinder, hat er sich wieder versöhnt. Noch immer sind die beiden miteinander verheiratet. Auch die Kinder sind ihm nicht mehr gram. Er hat neun Enkel und einen Urenkel. Eigentlich hat Joachim Gauck anderes zu tun, als sich um Deutschland zu kümmern. Aber er kann nun mal eines nicht ertragen: wenn die Freiheit schläft.

Anmerkung: Joachim Gauck will sich am heutigen Dienstag um 10.30 Uhr den Wahlleuten aus dem Südwesten vorstellen. Im Stuttgarter Landtag ist ein Treffen unter anderem mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen geplant.