Euro-Kurs steigt Warum die Anleger nach Europa flüchten
Die Schwäche der US-Politik treibt die Anleger nach Europa, kommentiert Klaus Dieter Oehler.
Die Schwäche der US-Politik treibt die Anleger nach Europa, kommentiert Klaus Dieter Oehler.
Stuttgart - Es ist nicht leicht, in diesen Zeiten einen stabilen Trend auszumachen. Zu schnell ändert die Corona-Pandemie Rahmenbedingungen. Daher wagt derzeit kaum ein Unternehmenslenker, Volkswirt oder Analyst, Prognosen für das laufende Jahr abzugeben. Klar ist nur, was in der Vergangenheit liegt. Aber ob die historischen Einbrüche der Wirtschaft in Europa und den USA, die größten Rückgänge der Leistung seit dem Zweiten Weltkrieg, schon den Tiefpunkt markieren, ist offen. Wird eine zweite Welle der Krankheit zu noch größeren wirtschaftlichen Schäden führen?
Trotzdem müssen Investoren handeln, müssen sie Entscheidungen treffen. Das erklärt vieles von dem, was derzeit an den Aktienmärkten passiert. Die Schwankungen zwischen Hoffnung und Sorge bewegen auch die Kurse. In diesem Umfeld fällt aber auf, dass der Kurs der europäischen Gemeinschaftswährung Euro gegenüber dem US-Dollar stetig an Wert gewinnt. Besser wäre es noch, den Blick darauf zu lenken, dass der Greenback, die Weltleitwährung, kontinuierlich an Wert verliert – selbst gegenüber den Währungen krisengeschüttelter Schwellenländer wie Brasilien oder Mexiko. Das ist ein eindeutiges Misstrauensvotum der globalen Finanzmärkte gegenüber der größten Volkswirtschaft der Welt.
In normalen Zeiten hat die US-Wirtschaft jeden Einbruch abgeschüttelt, rutschte, wenn überhaupt, schnell in die Krise und ebenso schnell wieder heraus. Das wäre US-Präsident Donald Trump auch in diesem Fall am liebsten gewesen – doch sein ungeschickter Umgang mit der Corona-Pandemie macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Nun kämpft er, um sein Wahlversprechen „America first“ durchzusetzen – und macht noch mehr Fehler. Einen offenen Streit mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China anzuzetteln, mag populär sein, ökonomisch sinnvoll ist es nicht. Nicht nur Apple, die hauptsächlich in der Volksrepublik produzieren, könnte stark unter einer negativen Reaktion aus Peking leiden.
Auf der anderen Seite zeigt sich Europa vereinter als bisher. Trotz aller Differenzen und Diskussionen ist es gelungen, ein historisches Hilfsprogramm für die Wirtschaft auf die Beine zu stellen. Die Finanzakteure weltweit trauen Europa derzeit eher zu, mit der Krise fertig zu werden als den USA. Erleben wir eine Zeitenwende?
Die Frage lässt sich noch nicht beantworten, doch die Folgen sind sichtbar: Noch im Frühjahr schien das Verhältnis zwischen dem Euro und dem Dollar im Gleichlauf zu sein, manche Experten hielten gar einen Kurs eins zu eins für denkbar. Inzwischen aber hat der Euro in den vergangenen Wochen rund zehn Prozent an Wert zugelegt, nun ist gar ein Kurs von 1,30 Dollar zum Euro denkbar.
Für die deutsche Exportnation ist das allerdings nicht die beste Entwicklung. Normalerweise liefern die führenden deutschen Branchen Maschinenbau, Autobau, Chemie- oder Elektroindustrie gut 70 Prozent ihrer Produkte ins Ausland. Den größten Teil davon zwar in Euro, weil die Europäische Union der Hauptabnehmer ist. Der Dollar spielt aber sowohl für den Ex- als auch den Import nach wie vor eine bedeutende Rolle hierzulande. Nach wie vor sind die USA der größte Einzelabnehmer deutscher Waren, rund neun Prozent der Exporte gehen dorthin. Zudem verbessert ein schwacher Dollar die Wettbewerbssituation amerikanischer Konkurrenz – auch das ist kein Grund zum Jubeln für die deutsche Wirtschaft. Angesichts der herrschenden Gesundheitsrisiken ist es daher nur ein schwacher Trost für deutsche Urlauber, dass sie sich mit ihrem Euro in den USA derzeit mehr leisten könnten als zu Jahresbeginn. Damals konnten sie immerhin noch nach Florida reisen.