Vor 25 Jahren hat die New-Age-Welle Friedemann Witecka nach oben gespült. Mittlerweile ist es ruhig geworden um den Freiburger Gitarristen. Doch hörenswerte Musik komponiert er noch immer.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Freiburg - Als er vier Jahre alt ist, nimmt Friedemann Witecka zum ersten Mal die Wandergitarre seines Vaters in die Hände. Die meisten Kinder würden eine solche Chance gewiss nutzen, um erst einmal richtig Lärm auf dem Instrument zu machen. Nicht so Friedemann: er legt das Instrument flach auf das Sofa, hält das Ohr an den Korpus und zupft vorsichtig an einer Saite. „Ich habe in diesen Ton hineingehört, habe seine Entwicklung verfolgt, ihm nachgespürt, bis er verklungen war, und habe dabei Bilder gesehen. Es war ein gigantisches Klangerlebnis“, erzählt Friedemann Witecka. Seine Augen funkeln, und er strahlt über das ganze Gesicht.

 

Wohl schon damals sei in ihm der Wunsch gewachsen, Bilder in Klänge zu verwandeln und musikalische Gemälde von betörender Schönheit zu zeichnen. Gelungen ist ihm das mit einer ganz besonderen Mischung aus Folk-, Klassik- und Jazzelementen, einer Musik, die mühelos alle Genregrenzen überwindet und sich mit wunderschönen Melodien in den Ohrgängen festsetzt. „Ich bin eben ein Klangfetischist“, sagt er. „Indian Summer“ und „Aquamarin“ heißen zwei seiner CDs, die Friedemann – den Nachnamen hat der Gitarrist für seine künstlerische Karriere gestrichen – Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre internationalen Ruhm bescheren.

Auch wenn Friedemann mit der obskuren, heilsbringenden Ideologie der damals von vielen Hörern verherrlichten New-Age-Musik überhaupt nichts am Hut hatte, zählte er neben dem Schweizer Harfenisten Andreas Vollenweider zu den führenden europäischen Vertretern dieser Musikgattung. Allein von „Indian Summer“ verkaufte Friedemann in Deutschland 115 000 Exemplare. In Amerika ging ein Sampler, der mit der Hälfte des Songmaterials der CD bestückt war, sogar 1,5 Millionen Mal über die Ladentheken.

Die richtige Platte zur richtigen Zeit

„Diese Pseudospiritualität des New Age ist mir zwar auf den Wecker gegangen, aber natürlich habe ich marketingtechnisch davon profitiert“, sagt Friedemann. „Es ist die einzige Zeit in meinem Leben gewesen, in der es ein öffentliches Podium für meine Musik gab, in der sie regelmäßig von den Radiosendern gespielt wurde und ich nicht zwischen allen Stühlen gesessen habe.“

Vor Kurzem hat Friedemann seinen 61. Geburtstag gefeiert. Schon lange ist es ruhig um den Klangzauberer geworden. Jetzt sitzt er auf der Terrasse vor seinem Tonstudio und erzählt aus seinem Leben. Es ist ein wunderschöner Spätsommertag in Bollschweil, einer verträumten 2000-Seelen-Gemeinde, zehn Kilometer südlich von Freiburg, mitten im Grünen. Man hat einen herrlichen Blick auf den Schwarzwald. Die Markgräfler Weingüter liegen vor der Haustür, und erwähnenswert ist ansonsten lediglich, dass die Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz einst im Schloss Bollschweil gewohnt hat. Vor 15 Jahren hat Friedemann sein Tonstudio und den Sitz seines Vollton-Musikverlags aus dem hektischen Stuttgart ins beschauliche Breisgau verlagert.

Kürzlich ist Friedemanns neue CD „Echoes of a Shattered Sky“ erschienen. Auch sie ist ein Beleg dafür, dass der Musiker seinem Traum vom perfekten Klangerlebnis treu geblieben ist. Dieses Streben nach dem Optimum beschränkt sich bei Friedemann übrigens nicht nur auf die Kompositionen selber, sondern umfasst auch deren technische Umsetzung: Im Jahr 1997 wählen die Leser der Hi-Fi-Fachzeitung „Audio“ das Album „Aquamarin“ zur „besten audiophilen CD aller Zeiten“. „Heute wüsste ich sehr wohl, was ich noch besser machen könnte“, sagt der Perfektionist selbstkritisch. Auf dem neuen Album gönnt er seinen Songs „mehr Wärme und mehr Bässe“.

Eine musikalische Mission

Friedemanns musikalische Mission führt ihn durch etliche Tiefen, aber auch zu einigen Höhen – so wie das eben normal ist in einem Menschenleben. Allein: ein normales Leben hat Friedemann Witecka nie geführt. Schon früh beginnt der Freiburger Waldorfschüler damit, die Gitarre zu erobern. Weil das Instrument Anfang der 1960er Jahre gesellschaftlich noch geächtet ist, muss Friedemann auf Drängen der Eltern zunächst Cellounterricht nehmen. „Ich fand das ganz furchtbar“, erinnert er sich. „Das Einzige, was ich mir selber beigebracht habe, war ein Glissando mit einem Finger. Das hat fast so geklungen wie die Sirene beim Luftschutzalarm.“ Nach zwei Jahren haben die Eltern ein Einsehen.

Fortan spielt Friedemann nur noch Gitarre, lernt die ersten Fahrtenlieder, begeistert sich, als die Beatmusik nach Deutschland schwappt, für die damals modernen Klänge und spielt die Titel seiner Lieblingsband, der Beatles, nach. Schließlich, Ende der 60er Jahre, tritt er als Pausenfüller in den örtlichen Beatclubs auf. Dort singt er Protestlieder von Bob Dylan und Joan Baez. Das beschert ihm seine erste Einladung in ein Rundfunkstudio des Südwestfunks Baden-Baden. Doch die sich daraus ergebenden Karrierechancen schlägt Friedemann einfach in den Wind.

„Meine badische Heimat war mir damals zu schwarz, zu eng, zu vernagelt“, erinnert sich Friedemann, „mich hat es schon immer in die Ferne gezogen.“ Ohne sich bei den Eltern abzumelden, setzt er sich im Jahr 1970, ausgestattet mit zwei Unterhosen, einer Zahnbürste, seiner Gitarre und 30 Pfund nach England ab. Dort lebt er in einer WG zusammen mit zwei italienischen Köchen, einem irischen Mönch und einem jamaikanischen Studenten. Friedemann verdient sich sein Geld anfangs als Tellerwäscher in einem russischen Restaurant in London. Nach wenigen Tagen erwähnt er dort, dass er Gitarre spielen kann. Fortan darf er die Gäste musikalisch unterhalten.

Im Dunstkreis der legendären Zuckerfabrik

Nebenbei studiert er Malerei am Hornsey Art College, fliegt dort nach vier Semestern wegen mangelnder Anwesenheit raus und bringt es schließlich an einem anderen College zum Diplom-Fotografen. Nebenher jammt er mit zahlreichen englischen Musikern und lernt den Bassisten David Moses kennen. Mit ihm entwickelt er ein spezielles Musikprogramm für Schüler: Auf spielerische Weise lernen die Kinder die Instrumente verschiedener Kulturkreise kennen. Das Projekt trifft auf große Resonanz. Jahrelang reisen die beiden quer durch Großbritannien. An manchen Tagen absolvieren sie drei Auftritte.

Doch mit seinen eigenen Kompositionen, die die Grenze des Folk in Richtung Avantgarde durchbrechen, stößt Friedemann in England auf wenig Gegenliebe. Weil er sich in Deutschland mehr Chancen mit seiner ganz persönlichen Musikrichtung ausrechnet, bereitet er Ende der 70er Jahre seine Rückkehr vor. Ein Freund und Gönner ermöglicht ihm, 1977 seine erste Langspielplatte „Songs for a Beginning“ aufzunehmen. Dessen Einschätzung, „das ist schön, will aber niemand hören“, bewahrheitet sich. Gerade einmal 1500 Exemplare werden damals verkauft.

Dann gerät Friedemann in den Dunstkreis des legendären Stuttgarter Tonstudios Zuckerfabrik. Er lernt die beiden Gitarristen Büdi Siebert und Ralf Illenberger kennen, arbeitet auf seinen Platten unter anderem mit dem Pianisten Wolfgang Dauner, dem Querflötenspieler Lenny Mac Dowell und mit der Sängerin Anne Haigis zusammen und verkauft von seiner Mischung aus Jazz-, Klassik-, Folk- und Ethnoelementen immerhin CDs im niedrigen fünfstelligen Bereich.

Die Kritiker sagen: Das ist Kitsch

Mitte der 80er Jahre trifft Friedmann eine weit reichende Entscheidung. Weil es ihm schwerfällt, Texte zu schreiben, und weil er mit seiner Stimme in manchen Lagen unzufrieden ist, verzichtet er seither weitgehend auf Gesang und setzt auf die klangmalerische Wirkung seiner Instrumentalmusik. Das erste Album der neuen Generation ist „Indian Summer“ – ein Glücksfall. „Das einzige Mal in meinem Leben hatte ich das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz.“

Dass Kritiker die sanften Klänge immer wieder als Kitsch oder Kaufhausmusik abstempeln, stört ihn nicht. „Kitsch ist für mich, wenn man mit Klischees arbeitet“, sagt er. Das aber habe er nie getan, sondern stets auf Authentizität und Originalität in seinen Kompositionen geachtet. „Natürlich spielen Gefühle in meinen Stücken eine große Rolle. Und natürlich gibt es Leute, die mit dieser Emotionalität, in der ein Touch Sentimentalität mitschwingt, nicht klarkommen“, sagt Friedemann.

1990 erscheint sein zweites Erfolgsalbum „Aquamarin“. In den Folgejahren ebbt die New-Age-Welle ab, und Friedemann muss erst einmal mit der Situation klarkommen. Anfangs habe ihn die Erkenntnis, dass es nur noch abwärts gehen konnte, in eine tiefe Krise gestürzt. Heute sieht Friedemann Witecka das anders: „,Indian Summer‘ und ,Aquamarin‘ haben es mir ermöglicht, ein Leben lang selbstbestimmt das zu tun, wozu ich Lust gehabt habe.“

Das neue Werk

Und schließlich gibt es nach wie vor eine treue Fangemeinde von 10 000 Hörern, die jede neue Friedemann-CD kauft. Der Künstler macht keinen Hehl daraus, dass auch „Echoes of a Shattered Sky“ vor allem deshalb entstanden ist, weil es wirtschaftliche Zwänge gibt, denen er Tribut zollen muss. Je älter er werde, desto schwerer falle ihm das Komponieren. „Jede neue CD ist für mich eine zweijährige, schmerzhafte Geburt“, erzählt er. „Auf die könnte ich gut verzichten.“ Wenn das neue Werk sich ähnlich gut wie „Indian Summer“ verkaufen würde, wäre es definitiv das letzte. Hört man, wie Friedemann auf „Echoes of a Shattered Sky“ wieder einmal seine wundervoll flirrende Klangwelt ausbreitet, hofft man heimlich, der ganz große Erfolg möge einmal mehr ausbleiben.