Nach dem gescheiterten Putschversuch ist in der Türkei eine „Säuberungswelle“ in Gang. Kanzlerin Merkel mahnt Ankara deshalb zu „Verhältnismäßigkeit“. Von einer Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen hält sie nichts.

Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch zu mehr Zurückhaltung im Umgang mit Kritikern ermahnt. In einem Rechtsstaat müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „unter allen Umständen“ gewahrt werden, sagte sie am Donnerstag vor Journalisten in Berlin. Das Eröffnen neuer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei schloss sie aus.

 

Auf ihrer Jahres-Pressekonferenz zeigte sich die Kanzlerin mehrfach besorgt über die jüngsten Entwicklungen. „Die Sorge besteht darin, dass sehr hart vorgegangen wird, und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.“ Gerade angesichts von mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland mit türkischen Wurzeln habe die Bundesregierung daran jedoch „allergrößtes Interesse“.

In der Türkei hatten Teile des Militärs Mitte Juli ohne Erfolg versucht, Erdogan zu stürzen. Seither ist in dem Land eine „Säuberungswelle“ in Gang. Zugleich kündigte Merkel an, dass sie sich nach den Sommerferien mit Erdogan zum Gespräch treffen werde. Dies werde spätestens beim Gipfel der 20 großen Industrie- und Schwellenländer (G20) Anfang September in China stattfinden.

Mit Blick auf die Zukunft der Beitrittsgespräche sagte die Kanzlerin: „Ich glaube, dass in der jetzigen Situation neue Kapitelöffnungen nicht auf der Tagesordnung stehen.“ Aus verschiedenen politischen Lagern gibt es bereits Forderungen, die Aufnahmeverhandlungen komplett auszusetzen. Merkel bezeichnete die Türkei jedoch als „wichtigen Partner“. Zugleich lobte sie das Land abermals für die Aufnahme von drei Millionen Flüchtlingen.

Deutschland und die Europäische Union sind in der Flüchtlingskrise auf eine enge Zusammenarbeit mit Ankara angewiesen. Die EU gab inzwischen weitere 1,4 Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei frei. Von der bis Ende 2017 versprochenen Summe von 3 Milliarden Euro stünden damit rund 2,15 Milliarden Euro zur Verfügung, teilte die EU-Kommission mit. Bereits ausgezahlt seien fast 106 Millionen Euro. Die EU hatte der Türkei insgesamt Hilfen von bis zu sechs Milliarden Euro in Aussicht gestellt.