Deutsche Bilanz der Nordischen Ski-WM Geiger und Geiger im Gefühlschaos

Skispringer Karl Geiger (vorne) holte bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf vier Medaillen. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Eine Heim-WM, zwei Perspektiven: Karl Geiger kürt sich in Oberstdorf zum Schanzenkönig, Vinzenz Geiger bekommt seine Grenzen aufgezeigt. Ihre Auftritte stehen sinnbildlich für die Bilanz der deutschen Skispringer und Kombinierer.

Oberstdorf - Es ist ja eine diffizile Sache mit sportlichen Großereignissen vor der eigenen Haustüre. Der Heimvorteil kann beflügeln, motivieren, pushen. Oder das Gegenteil bewirken. Dann wird der Druck, alles besonders gut machen zu wollen, zur Last, die nicht nur aufs Gemüt drückt, sondern auch den Körper hemmt. Bei der Nordischen Ski-WM war beides zu sehen. Karl und Vinzenz Geiger, die gebürtigen Oberstdorfer, erlebten ein Gefühlschaos, das sinnbildlich stand für die Ausbeute der deutschen Skispringer und Kombinierer.

 

Karl Geiger (28) wusste gar nicht, wohin mit seinen Emotionen. Erst im Auslauf der Skisprungarena, in der er als Jugendlicher seine Karriere begonnen hatte. Und dann bei der Siegesfeier im Teamhotel. Dort erschien der WM-Held in bayerischer Tracht mit Edelweiß auf den Hosenträgern, feierte bis weit nach Mitternacht coronakonform eine Leistung, die ihm der eine oder andere zwar zugetraut, aber niemand erwartet hatte. „Was er geleistet hat, verdient allerhöchsten Respekt“, sagte Kollege und Kumpel Markus Eisenbichler, „seine WM war einfach saugeil, ich bin extrem stolz auf ihn.“

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Der finale Wettbewerb war die Krönung. Mit dem letzten Sprung am Samstagabend hatte Geiger dem deutschen Quartett vor Österreich und Polen Teamgold gesichert, danach tanzte er mit Eisenbichler, Pius Paschke und Severin Freund unterhalb der Schanze den Ski-Pogo. Wieder einmal hatte er die mentale Stärke gezeigt, die ihn von anderen Skispringern abhebt. „Das war ein unglaublicher, unfassbarer Wettkampf. Die Dynamik in unserer Mannschaft ist sensationell“, sagte Geiger, der mit seinen vier Medaillen in vier Springen (Gold im Männer- und Mixed-Team, Silber von der Normal- und Bronze von der Großschanze) die deutsche WM-Bilanz fast im Alleingang rettete. „Ich bin so stolz, dass ich hier abliefern durfte“, meinte der Lokalmatador gerührt, „ich freue mich schon fünf Jahre auf die Heim-WM. Ich hoffe, dass ich mit meiner Leistung den vielen Helfern und den Organisatoren, die das echt klasse gemacht haben, ein bisschen was zurückgeben konnte.“ Daran gibt es keinen Zweifel.

Die Pflicht erfüllt, die Kür fällt aus

Doch nicht alle Athleten fanden auf der Schanze derart reibungslos in die Spur. Die deutschen Kombinierer zum Beispiel holten lediglich die zwei Medaillen, die Pflicht waren: erst Silber in der Staffel hinter Norwegen, dann am Samstag Bronze im Zweier-Teamsprint vor Japan, nach einer dramatischen Aufholjagd von Fabian Rießle und Eric Frenzel in der Loipe. Die Athleten waren damit zufrieden („Es fühlt sich an wie Gold“), der Bundestrainer nur bedingt, denn die Ansprüche von Hermann Weinbuch sind höher. Kein Titel? Keine Einzelmedaille? Das hatte er sich besser vorgestellt. „Letztlich sind wir gerade noch mal davongekommen. Angesichts der Leistungen der Weltspitze werden die Erwartungen an uns künftig nicht mehr ganz so hoch sein, das ist vielleicht ganz gut“, meinte der erfolgsverwöhnte Coach, der aber auch seine Athleten in die Pflicht nahm: „Die Jungs müssen verstehen, dass viel Arbeit nötig ist, wenn sie ganz nach oben kommen wollen. Nicht nur im Training, sondern man muss sich mit der ganzen Sache auch auseinandersetzen, sich selber studieren und seine Schwächen ausmerzen. Da braucht der eine oder andere bei uns noch eine Entwicklung.“

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An wen Hermann Weinbuch dabei gedacht hat, lag auf der Hand: Vinzenz Geiger (23) galt vor der WM als formstärkster deutscher Kombinierer. Als der Mann, der verhindern kann, dass der norwegische Dominierer Jarl Magnus Riiber vier Titel holt. Als der Läufer, der im Zweier-Teamsprint und in der Staffel viel Zeit gutmachen kann. Doch es kam anders, ganz anders.

Die Heim-WM als Enttäuschung

Geiger stürzte auf der Schanze ab, übernahm sich im Auftakteinzel beim Versuch, den Rückstand nach vorne möglichst schnell wettzumachen. In der Staffel brachte er Platz zwei nach Hause, ansonsten war die Heim-WM für den Oberstdorfer eine große Enttäuschung. „Ich habe es einfach beim Springen nicht rübergebracht“, sagte Geiger, der deshalb auch nicht für den Teamsprint nominiert wurde, ziemlich frustriert. „Noch ist er auf der Schanze nicht beständig genug, um auch der Nervenanspannung bei einer so schweren Aufgabe wie einer Heim-WM standhalten zu können“, meinte Weinbuch, „so weit ist er noch nicht, das war hier in Oberstdorf deutlich zu sehen.“ Was auch Karl Geiger aufgefallen ist.

Der Skispringer und der Kombinierer sind über die väterliche Linie entfernt verwandt, während der Titelkämpfe fühlte Karl Geiger mit seinem Kollegen: „Vinzenz ist ein hervorragender Athlet, aber man kann bei einer Heim-WM halt nicht immer zaubern. Es hätte auch bei mir in eine andere Richtung gehen können.“

Weil ein Großereignis vor der eigenen Haustüre immer eine diffizile Sache ist.

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